Die CDU will das Arbeitszeitgesetz reformieren und die tägliche Höchstarbeitszeit durch eine wöchentliche Regelung ersetzen. CDU-Generalsekretär Linnemann ruft zu mehr Einsatz auf – Gewerkschaften warnen vor einem Rückschritt bei Arbeitnehmerrechten. Die Gesellschaft zeigt sich gespalten.
von Reinhard Werner
In Deutschland reißt die Debatte um eine mögliche Flexibilisierung der Wochenarbeitszeit nicht ab. Gegenüber dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) hat CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann die Bevölkerung zu mehr Einsatz und Produktivität aufgerufen. Darauf beruhten der Wohlstand, die sozialen Sicherungssysteme und die Funktionsfähigkeit des Landes insgesamt.
Der CDU-Politiker äußerte, Work-Life-Balance sei „nichts Verwerfliches“. Er habe allerdings manchmal den Eindruck, dass „es nicht mehr um Work-Life-Balance geht, sondern um Life-Life-Balance“.
Koalitionsvertrag sieht Flexibilisierung der Arbeitszeit vor
Neben der Aktivrente solle dabei vor allem die Flexibilisierung der Wochenarbeitszeit eine tragende Rolle spielen. Diese solle zum einen Familien mit Kindern oder pflegebedürftigen Personen, zum anderen jungen Menschen, die einen Beruf erlernen und sich selbst etwas aufbauen müssten, zugutekommen. Auch im Koalitionsvertrag ist eine Flexibilisierung der Arbeitszeit als Ziel der Regierung Merz ausgegeben.
Man wolle die Möglichkeit einer wöchentlichen statt einer täglichen Höchstarbeitszeit schaffen. Dies sei „auch und gerade im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ angedacht. Richtgröße seien die Vorgaben der europäischen Arbeitszeitrichtlinie. Über die konkrete Ausgestaltung wolle man einen „Dialog mit den Sozialpartnern“ führen – eine Pflicht zur elektronischen Erfassung von Arbeitszeiten wolle man „unbürokratisch regeln“.
Aktuell gilt in Deutschland eine tägliche Höchstarbeitszeit von maximal 8 Stunden. Eine Verlängerung auf bis zu 10 Stunden kann stattfinden, wenn der 8-Stunden-Schnitt pro Tag innerhalb eines Ausgleichszeitraums von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen werktäglich nicht überschritten wird.
Bereits jetzt gibt es Spielraum für Ausnahmen
Darüber hinaus haben auch die Tarifpartner und die Akteure auf Betriebsebene einen gewissen Spielraum, um die Arbeitszeiten flexibler zu gestalten. So können sie die tägliche Arbeitszeit sogar auf mehr als 10 Stunden verlängern, wenn ein wesentlicher Teil davon aus Bereitschaftsdienst oder Arbeitsbereitschaft besteht.
Mit Zustimmung des Betriebsrates und dort, wo kein solcher besteht, können auch einzelvertraglich in nicht tarifgebundenen Unternehmen entsprechende Regelungen getroffen werden. Das Arbeitszeitgesetz kennt auch einige Flexibilisierungsoptionen, die auf spezifische Notwendigkeiten bestimmter Branchen ausgerichtet sind. Diese erlauben Modifikationen der täglichen Arbeitszeit ebenso wie der Pausen oder Ruhezeiten.
Unter den Berufsgruppen, die davon Gebrauch machen können, sind etwa Einsatzkräfte wie Feuerwehr, Rettung oder Polizei, aber auch Rundfunkmitarbeiter, Künstler, Messemitarbeiter oder landwirtschaftliche Arbeitskräfte. Sonderbestimmungen sind auch für Kranken- und Pflegeeinrichtungen, Gaststätten oder Tierhaltungsbetriebe möglich. Hier kommt es regelmäßig darauf an, dass die gesetzliche Höchstarbeitszeit beispielsweise durch Zeitausgleichsregelungen gewährleistet bleibt. Das Bäckereihandwerk soll ebenfalls explizit in diesem Kontext Erwähnung finden.
CDU will nur noch Wochenarbeitszeit als Richtschnur
Auf bis zu 12 Stunden täglich lässt sich die Arbeitszeit in vollkontinuierlichen Schichtbetrieben ausdehnen, wenn dadurch zusätzliche freie Schichten an Sonn- und Feiertagen entstehen. Sollte ein öffentliches Interesse daran bestehen, können Betriebe die Genehmigung von Ausnahmen von den Arbeitszeitregelungen durch die zuständige Aufsichtsbehörde beantragen.
Nicht uneingeschränkt gilt das Arbeitszeitgesetz für leitende Angestellte, Chefärzte oder ähnliche Personengruppen. Keine behördliche Genehmigung ist im Vorfeld der Abweichung von Arbeitszeitvorschriften erforderlich, wenn Notfälle oder außergewöhnliche Situationen greifen. Dies ist beispielsweise bei Naturkatastrophen, technischen Störungen oder unaufschiebbaren Reparaturarbeiten der Fall.
Nun will die Regierung – und dabei insbesondere die CDU – das System als solches grundlegend ändern. Es soll demnach nur noch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit geben. Die feste Grenze von 8 Stunden pro Tag solle wegfallen, damit die Arbeitszeiten flexibler über die Woche verteilt werden können. So könnte eine 38-Stunden-Woche in einem Betrieb auf 12 Stunden am Montag, jeweils 10 am Dienstag und Mittwoch und 6 am Donnerstag aufgeteilt werden.
DGB verweist auf medizinische Erkenntnisse zur Arbeitszeit
Arbeitgeberverbände befürworten diese Option, da sie eine flexiblere Anpassung der Arbeitszeit an die Bedürfnisse von Unternehmen und Arbeitnehmern ermöglicht. Betriebe könnten besser auf Auftragsspitzen und Personalengpässe reagieren. Zudem sollen Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität für Fachkräfte steigen.
Gewerkschaften hingegen befürchten eine Übervorteilung der Beschäftigten. DGB-Chefin Yasmin Fahimi unterstreicht, dass das Arbeitszeitgesetz nicht nur eine symbolische Errungenschaft ist, sondern auch auf arbeitsmedizinischen Erkenntnissen fuße. Es gebe Studien, wonach bei Arbeitszeiten über 8 Stunden die Unfallneigung steige. Der 8-Stunden-Tag, der bereits eine der zentralen Forderungen der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert war, geht auf den britischen Sozialrechtler Robert Owen zurück. Er hielt 8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Freizeit und 8 Stunden Schlaf für die optimale Form der Work-Life-Balance an Werktagen.
Auf EU-Ebene gibt es ebenfalls nur eine wöchentliche Höchstvorgabe zur Arbeitszeit. Diese liegt bei maximal 48 Stunden inklusive Überstunden. Die Union fordert nun, diesen Rahmen im Kern auch zur Richtschnur auf nationaler Ebene zu machen.
Bevölkerung deutlich gespalten – 37 Prozent wollen jedoch kürzere Arbeitswoche
Die Hans-Böckler-Stiftung bezweifelt, dass Einbußen im deutschen Wohlstand auf zu geringen Arbeitseifer der Beschäftigten zurückzuführen wären. Sie verweisen auf eine Zahl an Arbeitsstunden, die zwischen 1991 bis 2023 von 52,2 auf 54,7 Milliarden Stunden angewachsen sei. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit sei lediglich im gleichen Zeitraum von 38 Stunden und 54 Minuten auf 36 Stunden und 32 Minuten gesunken, weil es mehr Teilzeitbeschäftigte gebe.
Auch in der Bevölkerung selbst sind die Meinungen gespalten. Einer jüngst veröffentlichten Ipsos-Umfrage zufolge sprachen sich 46 Prozent der Befragten für eine Reform hin zu Wochenarbeitszeiten aus. Demgegenüber wollen 44 Prozent die derzeit geltende Regelung beibehalten. Allerdings würden einer YouGov-Umfrage vom Mai zufolge 37 Prozent eine 4-Tage-Woche mit jeweils 10 Stunden Arbeit bevorzugen. 28 Prozent wollen das reguläre 5-Tage-System behalten.
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