Schläge, Tritte, Reizgas: An einer Cottbuser Grundschule mit hohem Migrantenanteil eskaliert die Gewalt. Selbst ein Sicherheitsdienst bringt die Lage nicht unter Kontrolle. Nun wehren sich verzweifelte Eltern mit einem offenen Brief.
von Sandro Serafin
Ein Kind, das bis zur Gehirnerschütterung geprügelt wird, Schüler, die schlagen und treten, Reizgas versprühen und Mitschüler erpressen: An einer Cottbuser Grundschule mit hohem Migrantenanteil ist die Gewalt derart eskaliert, daß sich die Elternvertretung am Mittwoch mit einem offenen Brief an Verantwortungsträger der Stadt gewandt hat. Das Schreiben ist sehr ausführlich und erkennbar gewissenhaft vorbereitet – und es kommt einem verzweifelten Hilfeschrei gleich.
Im Mittelpunkt der Eskalation: Die Regine-Hildebrandt-Grundschule im Süd-Cottbuser Stadtteil Sachsendorf. „Allen Schülerinnen und Schülern, egal welcher Herkunft und individueller Begabung, soll ein weitestgehend chancengleiches Lernen ermöglicht werden, um sie in ihren individuellen Fähigkeiten zu fördern“, wirbt die Schule auf ihrer Website für sich selbst.
„Kinder gehen mit Angst zur Schule“
Doch in der Realität scheint Lernen hier derzeit, wenn überhaupt, nur noch eingeschränkt möglich zu sein – weil immer neue Vorfälle nicht nur die Aufmerksamkeit von Lehrern und Schülern binden, sondern auch ein regelrechtes Klima der Furcht geschaffen haben. „Viele unserer Kinder gehen inzwischen mit großer Angst und typischen Symptomen wie Bauchschmerzen in die Schule, erzählen von Angst vor bestimmten Wegen, vor einzelnen Gruppen von Mitschülern und davor, etwas zu sagen und dafür bestraft zu werden“, klagen die Eltern in dem Brief.
„Als Eltern stehen wir morgens an der Tür, sehen die Unsicherheit in den Augen unserer Kinder und sollen ihnen gleichzeitig vermitteln, daß Schule ein sicherer Ort ist.“ Im Schulalltag könne ein erheblicher Teil der Unterrichtszeit nicht mehr für den eigentlichen Bildungsauftrag genutzt werden, weil Vorfälle aufgearbeitet und eine Deeskalation herbeigeführt werden müßten. Lernlücken würden sich so immer weiter verschieben.
Der Brief nennt auch konkrete Beispiele: „Ein Kind wurde derart heftig angegriffen, daß Rippenprellungen und eine Gehirnerschütterung diagnostiziert wurden“, heißt es da etwa. Oder: „Kinder wurden bedroht mit Aussagen, sinngemäß: ‘Wenn du etwas sagst, bekommst du Schläge.‘“ Oder: „Es wurde Reizgas versprüht. Mehrere Kinder hatten gesundheitliche Beschwerden und mußten teilweise medizinisch betreut werden.“
43 Prozent der Schüler haben Migrationshintergrund
Über die Ursachen für die Entwicklung läßt der Brief keine Illusionen zu: Es hat etwas mit Migration tun. Laut einer Auskunft der Brandenburger Landesregierung hatten zum Schuljahresstart in diesem Jahr 43 Prozent der insgesamt 464 Kinder an der Regine-Hildebrandt-Grundschule einen Migrationshintergrund. 13 Prozent stammen aus Syrien, sechs Prozent aus Rußland, fünf Prozent aus Afghanistan. Die Schule bietet Eltern daher auch Formulare auf Arabisch, Russisch und Türkisch an.
In dem Brandbrief heißt es nun, daß Sprachbarrieren bei Schülern zu Unklarheiten über Regeln führten und die verbale Konfliktlösung erschwerten. „Hinzu kommen in Teilen patriarchale Strukturen in einzelnen Familien, die in der täglichen Arbeit sichtbar werden.“ Es gebe autoritäre Rollenvorstellungen für Jungen und die Vorstellung, daß sich Mädchen unterzuordnen hätten.
Neu sind diese Probleme nicht. Die Lokalpresse hatte bereits in den vergangenen Monaten über die Situation an Cottbuser Schulen berichtet. Oberbürgermeister Tobias Schick (SPD) kritisierte im August bei einer Pressekonferenz, es seien Dinge zu lange schöngeredet und „einfach hingenommen“ worden. Mit Blick auf ganz Cottbus sprach er von 50 bis 60 involvierten Jugendlichen, die im Visier der Polizei seien. „Was früher mit so einer Schulhofhänselei irgendwie zum Alltag auf Schulhöfen gehörte, artet heute sehr schnell aus in Prügeleien.“
Auch andere Schulen haben Probleme
An der betroffenen Grundschule ist mittlerweile Sicherheitspersonal in Zivil unterwegs. Auch in anderen Cottbuser Schulen haben die Verantwortlichen Maßnahmen ergriffen, lassen etwa das Schulgelände einzäunen und den Zutritt zum Schulgebäude über Gegensprechanlagen kontrollieren. Zudem wurden Täter und ihre Familien mit Gefährderansprachen konfrontiert.
Die Eltern an der Regine-Hildebrandt-Grundschule zeigen sich in ihrem offenen Brief mit Blick auf ihre Schule dennoch desillusioniert. Die Maßnahmen hätten anfangs zu einer geringfügigen Beruhigung geführt. Aber: „Nach wenigen Wochen verpuffte die Wirkung nahezu vollständig, und es kam erneut zu einer Häufung schwerwiegender Vorfälle.“
Bei alledem nimmt das Schreiben die Schulleitung in Schutz. Aber es fordert die Politik dazu auf, konsequenter durchzugreifen. „Wir bitten Sie ausdrücklich, sich in dieser Frage nicht hinter der Aussage ‘Die Rechtslage läßt es nicht zu‘ zu verstecken. Recht ist kein Naturgesetz, sondern veränderbar, wenn sich eine demokratische Mehrheit dazu entschließt.“
Minister war bereits zu Sicherheitskonferenz in der Stadt
Konkret verlangen die Eltern etwa eine Stärkung des Sicherheitsdienstes, konsequente Ordnungsmaßnahmen, politische Rückendeckung für Lehrer, wenn diese durchgreifen, und einen Ausbau der Schulsozialarbeit. „Die Elternschaft der Regine-Hildebrandt-Grundschule sagt dies mit allem Respekt, aber in großer Klarheit: Wir haben keine Kraft mehr für Ankündigungspolitik oder Beschwichtigungen.“

Nach Informationen der Redaktion sorgte der Brief am Donnerstag in der Stadt bereits für erhebliches Aufsehen. Er war ursprünglich an verschiedene lokale Verantwortungsträger geschickt worden, fand seinen Weg dann aber auch zu Radio Cottbus, das ihn im Wortlaut veröffentlichte. Die Stadt teilte am Donnerstag mit, bereits Kontakt zur Schulleitung aufgenommen zu haben. „Wesentliche Inhalte des Briefes bestätigen das, worauf in den vergangenen Monate mehrfach hingewiesen wurde. Die bereits eingeleiteten Schritte müssen langfristig wirken.“
Die Eltern planen derweil eine Elternsprecherkonferenz zum Thema. Möglicherweise wird sich auch Landesbildungsminister Steffen Freiberg (SPD) zur Lage an der Regine-Hildebrandt-Grundschule verhalten müssen. Freiberg hatte bereits im September an einer „Sicherheitskonferenz“ in Cottbus teilgenommen. Seinerzeit verwies er auf Sprachkenntnisse als „entscheidendem Schlüssel“ für Schulerfolge. Es sei nicht auszuschließen, „daß es eine gezielte Verteilung von schlecht Deutsch sprechenden Kindern auf mehrere Cottbuser Schulen geben müßte“.
Zugleich betonte der Sozialdemokrat, daß die Zunahme der Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen ein gesamtgesellschaftliches Problem darstelle. Und sein Ministerium verkündete seinerzeit freudig: „Der Start in das neue Schuljahr verlief in der ersten Woche störungsfrei.“
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