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Solingen-Prozess: Das Grinsen und Lachen des Issa al Hasan

Solingen-Prozess: Das Grinsen und Lachen des Issa al Hasan
Dreifachmörder Issa al Hasan

Beim Prozess gegen den Solinger Messer-Attentäter Issa al-H. schildert ein Festival-Besucher den Tod seiner Frau: „Während ich noch behandelt wurde, wurde der Leichensack schon abtransportiert.“ Der 27-jährige al-H. hingegen fällt immer wieder durch Grinsen auf, wenn auf seinen Handys gefundene Inhalte im Saal gezeigt oder verlesen werden.

von Peter Hemmelrath

Als der Prozess gegen den Solinger Messer-Attentäter Issa al-H. am Montag im Hochsicherheits-Gerichtssaal des Düsseldorfer Oberlandesgerichts (OLG) fortgesetzt wurde, geriet dies anfänglich zu einer zugleich langatmigen und wenig ergiebigen Angelegenheit: So wurde als erster Zeuge nach der Sommerpause ein Mitarbeiter des Bundeskriminalamts (BKA) befragt, der die beiden Handys des 27-jährigen syrischen Flüchtlings ausgelesen hatte. Da sich der junge Mann zu jedem einzelnen seiner Aktenvermerke erklären musste, dauerte die Befragung – Pausen nicht mitgerechnet – insgesamt rund vier Stunden. Regelmäßige Prozessbeobachter erklärten sich den ungewöhnlichen Vorgang damit, dass der 5. Strafsenat des OLG kurz vor dem Ende des Prozesses gegen Issa al-H. besonders gründlich vorgehen wollte.

Neue beweiserhebliche Tatsachen ergaben sich aus der Befragung des BKA-Mitarbeiters aber nicht. Auf den Handys gefundene Inhalte der Terror-Organisation Islamischer Staat (IS), der syrischen Terror-Organisation HTS sowie der Muslimbruderschaft rundeten das bereits bestehende Bild einer fanatisch religiösen Person allenfalls ab. Die Bundesanwaltschaft wirft Issa al-H. vor, am 23. August 2024 auf dem „Festival der Vielfalt“, mit dem die Stadt Solingen ihr 650-jähriges Bestehen feiern wollte, als „Soldat des IS“ mit einem Messer drei Menschen ermordet und zehn weitere in Mordabsicht verletzt zu haben. 

Seine Taten hatte al-H. bereits zum Prozessauftakt Ende Mai zugegeben. Zuvor hatte er sie gegenüber einem psychiatrischen Sachverständigen damit erklärt, auf der Festival-Bühne „zerfetzte Babys aus Gaza“ sowie einen darüber lachenden israelischen Polizisten gesehen und dann im Affekt gehandelt zu haben. Die bisherige Beweiserhebung zeichnete aber schnell das Bild einer gründlich vorbereiteten Tat sowie bereits länger bestehender Bezüge zum IS.

Einen ähnlichen Eindruck vermittelten auch auf den Handys gefundene Chats, die am Montag sowie am Dienstag in den Pausen zwischen den Zeugenvernehmungen verlesen wurden. In diesen Chats hatte sich al-H. zwischen dem 14. und dem 23. August 2024 mit Gesprächspartnern ausgetauscht. „Warte mal ab bis es dunkel wird, dann wird es viele Tote geben“, hieß es darin etwa. „Auf die Aufrichtigkeit des Vorsatzes kommt es an. Bewaffne dich gegen sie mit der Hilfe Allahs“, wurde ihm darauf geantwortet. „Du Herzensguter, vergiss nicht, die Feinde richtig zu malträtieren“, lautete eine andere Antwort. „Euer Sohn wird, Insch’allah (So Gott will), heute zum Märtyrer werden“, richtete er das Wort auch an seine Eltern. „Vergesst Palästina nicht. Und bestraft die Juden auf das Schärfste.“ Auch vom Ergebnis seiner Taten hatte Issa al-H. offenbar konkrete Vorstellungen: „Ich werde am Monatsende, Insch’allah, nicht mehr am Leben sein. Ich werde im Jenseits sein. Ich bete zu Allah, er möge mich mit der obersten Stufe des Paradieses belohnen.“ An anderer Stelle war davon die Rede, dass er „zum Jihad gehe, um Allah zu gefallen“.

„Das war nicht zu begreifen“

Als am Dienstagvormittag der Witwer der getöteten Ines W. den Anschlag schilderte, war dies erneut mit verstärktem Medieninteresse verbunden. Auch waren wieder vermehrt Zuschauer aus Solingen im Saal. Der 58-jährige IT-Berater wurde bei dem Anschlag durch zwei Messerstiche schwer verletzt. Laut seiner Ärztin hatte der Mann nur „durch Zufall“ überlebt, da seine Hauptschlagader knapp verfehlt wurde. Seine Frau aber verblutete in seinen Armen.

„Meine Frau hat getanzt“, schilderte W. den Moment des Angriffs. „Plötzlich habe ich einen schweren Schlag auf die Schulter bekommen.“ Da er sich den „Schlag“ aber mit einem Betrunkenen erklärt hatte, habe er das Konzert weiter verfolgt. „Aber dann ist der Besoffene an mir vorbei in Richtung meiner Frau gestolpert. Meine Frau tanzte nicht mehr. Sie saß auf der Erde vor mir. Ich habe sie hochgehoben, aber sie konnte nicht sprechen. Sie hat nur auf ihren Halsausschnitt gezeigt. Da spritzte das Blut.“ Dann habe er sie in der Nähe der Krankenwagen auf den Boden gelegt. „Ich habe immer wieder versucht, die Blutung zu stoppen. Aber das ging nicht“, berichtete der 58-Jährige dem Gericht. „Und dann gingen ihre Augen zu. Da wusste ich: Das war’s. Das war furchtbar und für mich nicht zu begreifen.“

Danach sei eine Notärztin gekommen und habe die Helfer angewiesen, sich um ihn zu kümmern. Bei seiner Frau sei „nichts mehr zu machen“, habe die Ärztin gesagt. „Während ich noch behandelt wurde, wurde der Leichensack schon abtransportiert“, erzählte er dem Gericht. „Das war nicht zu fassen.“ Dann sei er in ein Krankenhaus gebracht und notoperiert worden. „Eigentlich realisiert habe ich das alles erst nach dem Aufwachen im Krankenhaus.“ Als auf einer Großleinwand im Saal Bilder seiner eigenen zentimeterlangen Stichwunden sowie seiner OP-Narben gezeigt wurden, waren im ansonsten stillen Zuschauerraum plötzlich leise Rufe wie „Oh, Gott“ oder Aufstöhnen zu hören.

Er selbst sei am 24. September wieder arbeiten gegangen, schilderte der Witwer weiter. „Ich wollte mein Leben möglichst schnell wieder zurück.“ Sein Sohn aber sei nach dem Tod seiner Mutter Ines „völlig daneben“ gewesen. „Er hat lange gebraucht“, berichtete der 58-Jährige. „Er war lange krankgeschrieben.“ Unmittelbar nach seiner Zeugenvernehmung verließ er das Gericht wieder. Ähnlich wie bereits andere Überlebende vor ihm, hatte auch er kein Interesse daran, den Prozess vor Ort zu verfolgen. Zuvor hatte der 58-Jährige über seine Anwältin Carola Drewes mitteilen lassen, dass er nicht fotografiert werden und nicht mit Journalisten sprechen möchte. 

Will Issa al-H. noch etwas sagen?

Damit, den Prozess nicht selber verfolgen zu wollen, dürfte sich der Witwer einen großen Gefallen getan haben. Denn erst am Tag zuvor fiel Issa al-H. zum wiederholten Male mehrfach dadurch auf, auf die Erörterung ihn betreffender Beweismittel mit deutlich sichtbarem Grinsen oder Schmunzeln zu reagieren. Auch meldete sich der 27-Jährige zuletzt immer häufiger selbst zu Wort. So etwa am Montagnachmittag, als er seine „Hilfe“ bei der Übersetzung eines seiner Chats anbot. In diesem Chat vom 22. August ging es auch darum, wie sich der IS nach seiner Tat zu dem Anschlag bekennen wird. Das Gericht aber überließ die Chat-Übersetzung einem ihm lange bekannten vereidigten Dolmetscher.

Mit diesem Verhalten durchkreuzt der Syrer, der 2022 illegal nach Deutschland gekommen war, aber auch immer häufiger die Strategie seines Verteidigers Daniel Sprafke. Die hatte von Anfang an darin bestanden, ihn vom Reden abzuhalten. Auch führt sein jetziges Verhalten dazu, dass immer häufiger in Sitzungspausen über die Gründe dafür spekuliert wird. Da seine kurzen Wortmeldungen in ihrer Bewertung zumeist zu einer Bekräftigung der Anklagevorwürfe führen, wird von einigen regelmäßigen Prozessbeobachtern vermutet, dass al-H. damit seine „Leistungen“ zur Vorbereitung und Durchführung seiner Tat entsprechend hervorgehoben wissen will.

Nach weiteren Vernehmungen von Augenzeugen kündigte der Senatsvorsitzende Winfried van der Grinten am Dienstagmittag an, den Prozess nunmehr rasch beenden zu wollen. Am 26. August werde die letzte Zeugin vernommen, kündigte er an. Sollten keine weiteren Beweisanträge mehr kommen, wolle er die Beweisaufnahme nach dem für 2. September geplanten psychiatrischen Gutachten schließen, damit bereits am Tag darauf die Plädoyers erfolgen können, erläuterte van der Grinten. Sollte dies tatsächlich so ablaufen, hätte das eine Urteilsverkündung am 9. oder 10. September zur Folge.

Überraschenderweise wendete sich Winfried van der Grinten bei seinen zeitlichen Planungen aber auch an Issa al-H., um den Syrer darauf hinzuweisen, dass der 27. August damit die letzte Möglichkeit wäre, sich „umfangreich einzulassen“. Damit war klar, dass es dem Strafsenat nicht entgangen war, dass der Syrer zuletzt ein verstärktes Mitteilungsbedürfnis gezeigt hatte. „Wir haben das im Blick“, antwortete Daniel Sprafke kurz angebunden. Dem Verteidiger dürfte es schon jetzt nicht gefallen, dass sein Mandant ausgerechnet in der Schlussphase der öffentlichen Hauptverhandlung immer häufiger durch Grinsen, Lachen oder verbale Bekräftigungen seiner Tatplanungen auffällt.

An Spekulationen, ob es noch zu einer solchen Einlassung kommt und was davon zu erwarten wäre, wollte sich Nebenklage-Anwalt Simon Rampp jedoch nicht beteiligen: „Das ist für das Strafmaß unerheblich. Für uns ist entscheidend, dass sich alle Anklagevorwürfe in der Beweiserhebung eindeutig bestätigt haben. Das gilt für den dreifachen Mord ebenso wie für den zehnfachen Mordversuch und die IS-Mitgliedschaft“, sagte er nach Sitzungsende am Dienstag. Rampp vertritt sechs Überlebende und drei Hinterbliebene, darunter auch die Mutter von Ines W. Zusammen mit seiner Kollegin Carola Drewes hatte er bereits vor Wochen in einem Interview mit Achgut angekündigt, bei den Plädoyers eine lebenslange Haftstrafe für Issa al-H. sowie die Anerkennung der besonderen Schwere der Schuld zu fordern.

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