Hintergründe

Atom-Macht Deutschland

Atom-Macht Deutschland
Haigerloch am 24. Mai 1945: US-Soldaten der ALSOS-Mission inspizieren und demontieren den deutschen Atomforschungsreaktor.

Offiziell heißt es, Deutschland habe ab Juni 1942 auf jegliche Atomwaffenforschung verzichtet. Dagegen sprechen mehrere Indizien. Neue Recherchen lassen außerdem keinen Zweifel mehr zu: Nicht nur die Amerikaner, auch Adolf Hitler hatte wohl die Atombombe.

von Friedrich Georg

Am 20. April 1939 erklärte Adolf Hitler in einem Radio-Interview anlässlich seines Geburtstags: «Die Vorsehung stehe uns bei, dass diese Kriegstreiber {gemeint waren die USA und Großbritannien}erfolglos bleiben, denn wir würden in der Lage sein, uns dank neuer Waffenentwicklungen so zu wehren, wie es in der bisherigen Geschichte noch nie möglich war. In meiner Schreibtischschublade verfüge ich über Unterlagen zur Herstellung neuester, modernster Waffen, wozu mich nur ein Wunsch beseelt, sie nie zur Anwendung bringen zu müssen, weil sie alles übersteigen, was bisher als Kriegswaffen zur Verfügung stand. Ich hoffe, nie gezwungen zu sein, diese neuesten, ungeheuer wirksamen Waffen einsetzen zu müssen.» Entweder man sieht darin leeres Prahlen, oder wir haben hier kurz nach der Entdeckung der Atomspaltung durch Otto Hahn Ende 1938 den ersten Hinweis, dass Deutschland schon vor dem Zweiten Weltkrieg ernsthaft über die Atombombe nachdachte.

Weizsäckers Patente

Tatsache ist jedenfalls, dass die deutschen Wissenschaftler Paul Harteck und Wilhelm Groth am 24. April 1939 einen sensationellen Brief an das Heereswaffenamt (HWA) schrieben, in dem sie die Herstellung einer solchen Waffe vorschlugen, da deren Wirkung um ein Vielfaches größer wäre als die der damals gebräuchlichen Sprengstoffe. Nur fünf Tage später gab Walter Dames, Referent im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, der Hoffnung Ausdruck, dass noch vor Ausbruch eines möglichen Krieges, den man damals erst für Ende der Vierzigerjahre erwartete, eine neuartige Bombe entwickelt und auf dem Gelände der Heeresversuchsanstalt Kummersdorf oder besser noch auf offener See getestet werden könne.

«Ich hoffe, nie gezwungen zu sein, diese neuesten, ungeheuer wirksamen Waffen einsetzen zu müssen.» Hitler

Als der Krieg dann im September 1939 ausbrach, besaß Deutschland – als einzige der Weltmächte – eine militärische Dienststelle unter Kurt Diebner, die sich ausschließlich mit dem Studium der militärischen Anwendung der Kernspaltung beschäftigte, auch wenn durch die Veröffentlichung von Hahns Ergebnissen unter anderem auch England, Frankreich, Amerika und die Sowjetunion an Atomwaffen forschten. Im Mai 1941 gab es im Heereswaffenamt eine Besprechung in der – nachdem zuverlässige Agentenberichte aus den USA auf die dort verstärkte Arbeit im Bereich der Kernphysik hingewiesen hatten – verschiedene Möglichkeiten erörtert wurden, mittels Kernspaltung einen Treib- oder Sprengstoff herzustellen. Die Bedeutung der Atomzertrümmerung für die Herstellung von Bomben mit ungeheurer Sprengkraft wurde dabei von bedeutenden Wissenschaftlern wie Friedrich Gladenbeck, dem Präsidenten der Reichspostforschungsanstalt (RPF), klar hervorgehoben. Das HWA beschloss danach den Ausbau der Versuchsstation im Kaiser Wilhelm-Institut (KWI) in Berlin-Dahlem zu diesem Zweck. Ähnliche Versuchsinstitute in Gottow (HWA) und Miersdorf bei Berlin (RPF) wurden aus demselben Grund gebaut.

Der Kernphysiker Carl Friedrich von Weizsäcker reichte 1940/1941 mehrere Patente beim Reichspatentamt ein, die die Nutzung von Uran 235 und einem Ausgangsprodukt der Uran-238-Kernschmelze betrafen, das er mit «Eka Rhenium» bezeichnet hatte. Dabei gab er drei Zwecke an: Atomenergie für Stromerzeugung, Bombe mit Uran 235 für kriegerische Zwecke, Bombe mit Ausgangsprodukt aus Uran-238-Schmelze. Da man neu entdeckte theoretische Explosivstoffe sofort dem HWA melden musste, war es also ab 1940 offiziell bekannt, dass es nicht nur eine Atombombe, sondern zwei dergleichen geben würde, die wir heute als Uran- und Plutoniumbombe bezeichnen.

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Generalmajor und Diplom-Ingenieur: Hitlers Raketen-Chef Walter Dornberger.

Was danach bis 1945 in der deutschen Atomforschung ablief, ist aufgrund der strengen Geheimhaltung noch immer nicht vollständig bekannt. Es gab über 30 verschiedene Uran-Forschergruppen im Dritten Reich, doch die wenigen verfügbaren Informationen betreffen hauptsächlich den zivilen Bereich. Wenn man jedoch annimmt, dass im militärischen Bereich mindestens ebenso viele Entwicklungen betrieben wurden wie am Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik, aber darüber kaum Informationen vorliegen, dann kann kein ernst zu nehmender Historiker ein abschließendes Urteil fällen und behaupten, man hätte nur Uranenergieforschung betrieben und sei auch ungefähr drei Jahre hinter den USA zurückgeblieben.

Die Komödie von Farm Hall

In der offiziellen Geschichtsschreibung wird stets der 6. Juni 1942 als das Datum genannt, an dem Hitler das Streben nach einer Nuklearwaffe schließlich aufgegeben habe. Danach sei es nur noch um die Nutzung der Kernenergie gegangen. Auch Reichsrüstungsminister Albert Speer, der Physik-Nobelpreisträger und zur Zeit des Dritten Reiches führende Uranforscher Werner Heisenberg sowie Generalfeldmarschall Erhard Milch nennen in ihren Nachkriegserinnerungen dieses Stoppdatum.

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Physik-Nobelpreisträger beim Kaffeeklatsch: Werner Heisenberg (l.) und sein dänischer Kollege Niels Bohr, 1934.

Offizielle Papiere mit entsprechenden Führerbefehlen, Einstellungsverfügungen oder auch nur Aktenvermerke über das Beenden der Atomwaffenforschung fehlen jedoch. Hitler, der oberste Befehlshaber der Streitkräfte, sah das wohl etwas anders, denn Ende September 1942 unterrichtete er Generalfeldmarschall Erwin Rommel über die neuen Waffen, die seine Lage in Nordafrika bald erleichtern würden. Zudem sprach er über einen geheimen neuen Sprengstoff, der eine so enorme Explosionskraft besitze, dass «er auf eine Entfernung von über zwei Kilometern einen Mann von seinem Pferd wirft». Damit war nichts anderes als die Atombombe gemeint.

Vieles von dem, was man uns heute über die deutsche Atomforschung im Zweiten Weltkrieg glauben machen will, stammt aus der Tonband-Komödie von Farm Hall. Aus Angst, interniert oder als Kriegsverbrecher angeklagt zu werden, war es Heisenberg gelungen, die anderen im Sommer 1945 von den Alliierten auf dem englischen Landsitz festgehaltenen Wissenschaftler wie von Weizsäcker, Hahn und Diebner zu einer Art Theaterstück zu überreden, um die Sieger von ihrer Harmlosigkeit zu überzeugen. Dazu dienten vorher abgesprochene Gespräche vor laufenden Abhörmikrofonen, von denen die Gefangenen wussten, und ein von allen unterschriebenes Memorandum. Darin erklärten die zehn Forscher, sie hätten während des Krieges ausschließlich an einer «Uranmaschine», also an einem Atomreaktor zur Energieerzeugung, gearbeitet. Es sei jedoch vor Kriegsende nicht gelungen, diesen zum Laufen zu bringen. Dagegen sei der Bau einer Nuklearwaffe nie ernsthaft erwogen worden, da dafür in Deutschland die technischen Voraussetzungen gefehlt hätten, was tatsächlich nicht stimmt. Das Dritte Reich hatte damals die größten Uranreserven der Welt, schweres Wasser, genügend fähige Wissenschaftler und eine Führung, die sehr an einer Atombombe interessiert war.

Selbst laut etablierter Geschichtsforschung waren die Deutschen die Ersten, die mit ihrem Leipziger Meiler L4 eine positive Neutronenproduktion erzielten. Dabei kam es am 23. Juni 1942 zu einem Unfall. Und obwohl zu diesem Zeitpunkt Deutschlands Atombombenprogramm angeblich bereits aufgegeben war, schlüpfte doch eine Äußerung des an dem Versuch beteiligten Professors Robert Döpel durch die Nachkriegszensur. Er hatte, wie David Irving in seinem Buch Der Traum von der deutschen Atombombe (1967) schreibt, nach der Havarie davon gesprochen, dass «noch Hunderte für das letzte Ziel, die Atombombe, fallen würden». Diese Worte, die keinen Sinn ergäben, wenn es seit Juni 1942 gar kein deutsches Nuklearwaffenprogramm mehr gegeben hätte, sollten sich 1944/45 auf schreckliche Weise bewahrheiten.

Wettlauf mit der Zeit

Tatsächlich gab es bis Kriegsende mehrere teils konkurrierende, teils miteinander verflochtene Atomwaffenprogramme, die über das gesamte Reichsgebiet verteilt waren. Eine große Anzahl von deutschen Firmen, unter der Federführung von Siemens, AEG, Krupp und der I. G. Farben, war daran beteiligt, während die staatliche Seite den Reichsforschungsrat, die Forschungsanstalt der Deutschen Reichspost, das Heer (HWA) und die SS (Technisches Amt) umfasste. Nach den Worten von Himmlers Adjutanten Werner Grothmann wurde Hitler nach der Schlacht von Stalingrad im Winter 1942/1943 zum wichtigsten Befürworter und Förderer des deutschen Atomwaffenprojekts. Dessen militärische Leitung ging ab Sommer 1944 schrittweise in die Hände von SS-Obergruppenführer Hans Kammler über.

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Nachbau des Forschungsreaktors im Atomkeller-Museum.

Ganz gleich, was Speer, Heisenberg und Milch in der Nachkriegszeit aus Rücksicht auf die herrschenden politischen Umstände ausgesagt haben: Hitler forderte dringend Atomwaffen aufgrund der immer ungünstigeren Kriegslage ab 1942. Das wird auch durch einen Tagebucheintrag von Goebbels vom 21. März 1942 bestätigt: «Die Forschungen auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung sind so weit gediehen, dass ihre Ergebnisse unter Umständen noch für die Führung dieses Krieges in Anspruch genommen werden können. Es ergäben sich hier bei kleinstem Einsatz derart immense Zerstörungswirkungen, dass man mit einigem Grauen dem Verlauf des Krieges, wenn er noch länger dauert, und einem späteren Kriege entgegenschauen kann. Die moderne Technik gibt dem Menschen Mittel der Zerstörung an die Hand, die unvorstellbar sind. Die deutsche Wissenschaft ist hier auf der Höhe, und es ist auch notwendig, dass wir auf diesem Gebiet die Ersten sind; denn wer eine revolutionäre Neuerung in diesen Krieg hineinbringt, der hat eine umso größere Chance, ihn zu gewinnen.»

_ Friedrich Georg ist Autor zahlreicher Bücher zur Zeitgeschichte, darunter «Atomziel New York» (2004), «Mit dem Balkenkreuz zum Mond» (2008) oder «Unternehmen Patentenraub» (2021), das in unserem Online-Shop (compact-shop.de) erhältlich ist. Die Texte in dieser Ausgabe wurden mit freundlicher Genehmigung des Verlags seinem zweibändigen Werk «Hitlers letzter Trumpf» (2008) entnommen und von der Redaktion bearbeitet.

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