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Das Brodeln in der Wüste: Die neue Migrationskrise

Das Brodeln in der Wüste: Die neue Migrationskrise
Migration: Millionen von Afrikanern strömen nach Europa

Im Sudan tobt ein Bürgerkrieg, Millionen verlassen ihre Heimat. Die ganze Region ist instabil und immer mehr Menschen machen sich auf nach Europa. Es ist auch ein Versagen der EU in der Region.

von Max Roland

Die UNO-Flüchtlingshilfe spricht von der derzeit größten Vertreibungskrise Afrikas: Der Bürgerkrieg im Sudan ist ein Konflikt, der seit einem Jahr weitgehend unbeachtet bleibt. Seit April 2023 kämpfen Armeeeinheiten des sudanesischen Militärs und die sogenannten schnellen Eingreiftruppen Rapid Support Forces (RSF) gegeneinander. Für die Menschen im Sudan mit schweren Konsequenzen: Mehr als 1,8 Millionen Menschen sollen inzwischen in Nachbarländer geflohen sein. Eine Migrationskrise, die sich bald auch nach Europa durchschlagen wird, gar schon durchschlägt.  

Kürzlich präsentierten UN-Mitarbeiter bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung im Niger, einem wichtigen Transitland Afrikas auf dem Weg nach Europa, aktuelle Zahlen. Darüber berichtet die Welt. Seit Jahresbeginn seien demnach über 160.000 Migranten aus den Transitländern der südlichen Sahelzone, insbesondere aus dem Tschad, nordwärts unterwegs gewesen, wobei etwa 40.000 nach Algerien und der Rest nach Libyen strömten – eine deutliche Zunahme, wie die UN-Vertreter betonten. Sollte die Quantität auch nur gleich bleiben, wären das aufs Jahr gerechnet 384.000 Menschen.

Jeden Tag machen sich Tausende auf den Weg

Tatsächlich ist davon auszugehen, dass der Migrationsdruck noch steigen wird – denn die Lage im Sudan verschärft sich immer weiter. Jeden Tag müssen laut Internationaler Organisation für Migration 20.000 Menschen ihr Zuhause im Sudan verlassen. Dabei sind die allermeisten Kriegsflüchtlinge im Sudan nach wie vor Binnenvertriebene sind, verbleiben also aktuell noch im Sudan. Wie lange noch? Das ist unklar. Aber immer mehr Menschen dürften sich auf den Weg in den nordafrikanischen Maghreb und dann nach Europa machen.

Denn im Sudan ist die Situation inzwischen katastrophal. Seit über einem Jahr schon können internationale Hilfsorganisationen kaum noch helfen. Das Binnenflüchtlingslager Samsam in der besonders von Kämpfen und Gewalt betroffenen Region Dafur ist für die Lage beispielhaft. „Wir schätzen, dass in dem Lager alle zwei Stunden mindestens ein Kind stirbt; pro Tag sind es nach unseren aktuellen Schätzungen 13 Kinder pro Tag“, sagt Claire Nicolet, Leiterin der Nothilfe von Ärzte ohne Grenzen im Sudan. „Die Bedingungen im Lager sind grauenhaft.“

Dabei war der Westen und insbesondere die EU lange mit viel Geld im Sudan engagiert – ironischerweise, um Migrationsbewegungen einen Riegel vorzuschieben und Massenmigrationen nach Europa zu verhindern. Der Sudan war Kernland der „EU Horn of Africa Migration Route Initiative“. Diese Initiative, auch Khartum Prozess genannt, ist ein Bündnis verschiedener europäischer wie afrikanischer Länder, um illegale Migration nach Europa frühzeitig einzudämmen. Seit 2014 besteht sie und brachte dem Sudan viele Förderungen ein, vor allem für das Militär und Milizen, die sich jetzt im dortigen Bürgerkrieg bekämpfen. Die von der EU finanzierten und durchgeführten Programme im Sudan zur Stärkung der Migrationskontrolle waren von Intransparenz geprägt und eher schwer nachvollziehbar.  Die Kontrolle der Migration wurde auch mit EU-Förderung in die Hände einer Miliz gelegt, die selbst für die Massenvertreibung verantwortlich war – die „Rapid Support Forces“, kurz RSF. Die führt seit einem Jahr Krieg mit dem Militärregime der Zentralregierung und der regulären Armee.

Der Kollaps des Sudan ist auch ein Kollaps der EU-Migrationspolitik: Die Partnerschaft mit Karthoum wurde in den folgenden Jahren zur Blaupause für andere Deals – etwa der mit Tunesien, wo die Migrationskontrolle auch absolut versagt. Auch Mali und Niger spiegeln das Sudan-Scheitern der EU.

Auch die aktuellen Sudan-Hilfen, die etwa jüngst im Format der Pariser Sudan-Konferenz beschlossen wurden, wirken eher aktionistisch – und tragen offenbar nicht dazu bei, die Situation nachhaltig zu verbessern. Deutschland trägt als zweitgrößter Geber viel bei, bewirkt aber wenig: „Letztes Jahr belief sich die deutsche humanitäre Hilfe im Sudan-Kontext auf 250 Mio. Euro“, heißt es auf der Website des Auswärtigen Amtes.

Versorgung in Nachbarstaaten kollabiert – neues Ziel Europa

Die Nachbarländer des Sudans sind nach dem internationalen Recht primär in der Verantwortung, die Flüchtlinge von dort aufzunehmen. Doch auch die dortigen Versorgungskapazitäten sind schon seit langem am Ende: In Äthiopien musste das UN-Welternährungsprogramm (WFP) bereits 2023 die Rationen für Flüchtlinge um 40 Prozent zusammenstreichen. Im Tschad hatte das WFP Anfang April letzten Jahres gewarnt, dass ab Mai „absolut kein Geld“ für Vertriebene mehr da sei. Und so ziehen auch viele Sudanesen weiter, gemeinsam mit vielen Armuts-Migranten aus dem Tschad. Das schlägt sich in den Zahlen nieder. Seit Jahren schon steigt die Zahl der illegalen Einreisen nach Europa: Sank sie nach Zahlen der EU-Kommission seit 2015 kontinuierlich, ist seit 2021 wieder ein stetiger Anstieg zu beobachten.

Über 385.000 Menschen kamen im vergangenen Jahr illegal in die Europäische Union. Migranten aus dem Sudan spielen bei dieser Zunahme eine Rolle: Bei den zahlreichen Bootsmigranten, die beispielsweise in den vergangenen Monaten auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa anlandeten, waren auffällig viele Sudanesen. Nicht in ihrer Gesamtzahl – 2023 machten Sudanesen nur zwei Prozent aller Mittelmeer-Ankömmlinge aus. Aber der Anstieg ist dabei brisant: Die EU-Grenzschutzagentur Frontex registrierte im Jahr 2023 6931 Sudanesen, was einen sechsfachen Anstieg gegenüber dem Vorjahr darstellt. Aus dem Sudan kommen auch viele andere Migranten, die ursprünglich aus Nachbarländern in den Sudan flohen und jetzt erneut migrieren. Der Sudan war lange auch ein Aufnahme- und Transitland: „Die ganze Region gleicht einem Flüchtlingskarussell“, schrieb die Zeit vor einem Jahr im Mai 2023. Das dreht sich weiter und weiter – und reicht bis nach Europa.

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