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Reformer und Arzt: Wer ist der neue Präsident des Iran?

Reformer und Arzt: Wer ist der neue Präsident des Iran?
Iranischer Präsident Masoud Peseschkian

Im Iran haben nach dem Tod von Staatspräsident Ebrahim Raisi bei einem Hubschrauberabsturz vorgezogene Wahlen stattgefunden. Der Sieger heißt Masoud Peseschkian. Doch wer ist der Mann, der in den nächsten vier Jahren an der Spitze der iranischen Exekutive stehen wird?

von Thomas Röper

Massud Peseschkian wurde 1954 in einer ethnisch gemischten Familie in Mechabad, dem Verwaltungszentrum der iranischen Provinz West-Aserbaidschan, geboren. Sein Vater ist Aserbaidschaner und seine Mutter ist Kurdin. Im ersten Wahlgang erhielt Peseschkian die Mehrheit der Stimmen in den Regionen der ethnischen Minderheiten und in der Provinzhauptstadt. Der konservative Dschalili erhielt mehr Stimmen im Zentrum des Landes, das hauptsächlich von ethnischen Persern bewohnt wird.

Berufliche Karriere

Als er volljährig wurde, wurde er zum Militärdienst eingezogen, den er in Zabol, einer der ärmsten Städte der Provinz Sistan und Belutschistan, ableistete. Nach seinem Dienst kehrte er in seine Heimatprovinz zurück, wo er 1976 an der Universität für medizinische Wissenschaften in Täbris immatrikuliert wurde.

Während des Ersten Golfkrieges diente er als Militärarzt. Nach Angaben iranischer Medien verbrachte Peseschkian viel Zeit an der Front, wo er die Bewegungen der medizinischen Einheiten koordinierte und auch direkt an Kampfhandlungen beteiligt war. Nach seinem Dienst an der Front setzte er seine Ausbildung in Allgemeinchirurgie in Täbris fort und erhielt seinen Abschluss erst 1985. Später wurde er Herzchirurg, nachdem er 1993 seine Ausbildung an der Universität für medizinische Wissenschaften des Iran absolviert hatte.

Peseschkians erste administrative Position war die des Rektors der Täbriser Universität für medizinische Wissenschaften, die er von 1994 bis 1999 leitete. Peseschkians Ernennung zum Rektor fiel mit einer persönlichen Tragödie zusammen: 1994 kamen seine Frau und sein achtjähriger Sohn bei einem Autounfall ums Leben. Er heiratete nie wieder und zog seine beiden verbliebenen Söhne und seine Tochter allein auf. In der iranischen Gesellschaft wird diese Tatsache in Peseschkians Biografie, die bei vielen Menschen Mitgefühl und Empathie hervorruft, als ein wichtiger Bestandteil seines politischen Profils wahrgenommen.

Politische Karriere

Peseschkians politische Karriere begann 1997, als er als stellvertretender Gesundheitsminister in die Regierung von Präsident Mohammad Chātami eintrat. Anschließend wurde er zum Gesundheitsminister ernannt und hatte dieses Amt von 2001 bis 2005 inne. Peseschkian wurde fünfmal als Abgeordneter der Stadt Täbris in das iranische Parlament gewählt. Sein erstes Mandat erhielt er im Jahr 2008 und er war von 2016 bis 2020 stellvertretender Parlamentspräsident.

Im Parlament positionierte sich Peseschkian als unabhängiger Politiker und distanzierte sich von Wahlblöcken. Während des Wahlkampfs verband er sich jedoch mit den Reformern, da er von den Führern dieser politischen Strömung – den ehemaligen Präsidenten Hassan Ruhani und Mohammad Chātami, dem ehemaligen Außenminister Mohammad Javad Zarif sowie Führern reformorientierter Parteien und Bewegungen – unterstützt wurde.

Peseschkian hat zweimal für das Präsidentenamt kandidiert. Im Jahr 2013 zog er seine Kandidatur zurück und unterstützte den Reformisten Ali Akbar Hāschemi Rafsandschāni. Im Jahr 2021 untersagte der Rat der Verfassungshüter Peseschkian und anderen prominenten Reformern die Kandidatur.

Loyale Kritik an Gewalt

Als eine der ersten aufsehenerregenden Äußerungen von Peseschkian gilt seine Rede vor dem Parlament, die er vor dem Hintergrund der Massenproteste von 2009 hielt. Tausende von Anhängern des Reformkandidaten Mir Hossein Mousavi gingen auf die Straße, nachdem die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen bekannt gegeben worden waren, aus denen Mahmoud Achmadinedschad als Sieger hervorging. Die Proteste, die in Krawalle ausarteten, wurden schnell und gewaltsam niedergeschlagen. Peseschkian kritisierte das Vorgehen der Regierung gegen die Demonstranten und verärgerte damit die Konservativen im Parlament, die versuchten, ihn zu unterbrechen.

Ähnlich reagierte Peseschkian auf die Proteste, die 2022 durch den Tod von Mahsa Amini ausgelöst wurden. Die junge Frau starb, nachdem sie von der Sittenpolizei wegen eines angeblichen Verstoßes gegen den Hidschab festgenommen worden war. Nach dem Tod von Mahsa Amini kam es zu einer Welle von Massenprotesten im ganzen Land, bei denen mehr als 500 Menschen, darunter auch Polizeibeamte, getötet wurden. Die iranischen Sicherheitskräfte nahmen Zehntausende von Demonstranten fest, von denen viele wegen Unruhen und anderer schwerer Vergehen angeklagt wurden.

Peseschkian stellte insbesondere die offizielle Version in Frage, Amini sei in Polizeigewahrsam an einem Herzinfarkt gestorben, und forderte eine glaubwürdige und transparente Untersuchung der Todesursache. Inmitten der Proteste warnte er die Demonstranten jedoch vor „Aktionen, die zu nationaler Instabilität führen könnten“.

Trotz gelegentlicher Kritik an der Regierung bleibt der gewählte Präsident dem Obersten Führer des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, treu. Im politischen System des Irans ist der Präsident die zweite Person, die faktisch die Funktionen des Premierministers ausübt, während die Hauptrichtungen der Entwicklung des Landes vom Obersten Führer bestimmt werden. In dieser Hinsicht erwarten Analysten nach der Wahl des neuen Präsidenten keine grundlegenden Änderungen in der Innen- oder Außenpolitik des Irans.

Die Haltung gegenüber dem Atomabkommen

Peseschkian befürwortet die Wiederbelebung des Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplans (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA) über das iranische Atomprogramm, der 2015 von Iran und einer Gruppe von Ländern, bestehend aus Großbritannien, den USA, Russland, Frankreich, China und Deutschland, die als die sechs internationalen Vermittler bekannt sind, unterzeichnet wurde. Der Abschluss des Atomabkommens markierte das Ende einer Krise, die 2004 begann, als westliche Länder Iran beschuldigten, Atomwaffen zu entwickeln, was zur Verhängung von Sanktionen gegen den Iran führte und das Land international isolierte. Der frühere US-Präsident Donald Trump beschloss 2018, aus dem Abkommen auszusteigen. (Anm. d. Übers.: Details zum Atomabkommen finden Sie bei Interesse hier) https://anti-spiegel.ru/2023/wie-die-bundesregierung-das-voelkerrecht-in-sachen-iran-mit-fuessen-tritt/

„Die wichtigste Frage ist die Perspektive. Wollen wir unsere Probleme mit der Welt lösen oder nicht? Ich glaube, wir müssen aus der Sackgasse herauskommen, um die Probleme des Landes zu lösen“, sagte Peseschkian in einer seiner Wahlkampfreden.

Im Zusammenhang mit der Wiederbelebung des Atomabkommens sprach Peseschkian von der Notwendigkeit eines Dialogs mit den westlichen Ländern und versprach, die internationale Isolation des Landes zu überwinden. Einige Analysten räumen ein, dass die Zugehörigkeit des designierten Präsidenten zum reformistischen Lager und sein tadelloser Ruf zur Entwicklung der Beziehungen zwischen dem Iran und dem Westen beitragen könnten.

Darüber hinaus gilt der ehemalige Außenminister Mohammad Javad Zarif, der das Atomabkommen von 2015 ausgehandelt hat, als einer der wichtigsten Verbündeten von Peseschkian. Wenn Zarif in der Lage ist, nach der Wahl seines Verbündeten zum Präsidenten Einfluss auf die innenpolitischen Prozesse zu nehmen, werden die Befürworter der Wiederherstellung des Atomabkommens einen erheblichen Vorteil erlangen.

Präsidentschaftswahlen

Bei den vergangenen Wahlen war Peseschkian der einzige Kandidat der reformistischen Kräfte. Im Iran gibt es drei klassische politische Lager: Konservative, Gemäßigte und Reformer. Letztere sind für eine Umgestaltung des Regierungssystems und eine Stärkung der Rolle der republikanischen Institutionen. Gleichzeitig halten Vertreter aller Strömungen eine Stärkung des staatlichen Systems des Landes für notwendig, einschließlich des Islams als offizielle Religion im Iran.

Der erste Wahlgang am 28. Juni brachte keinen Sieger hervor, da keiner der Teilnehmer an der Präsidentschaftswahl mehr als 50 Prozent der Stimmen erhielt. Neben Peseschkian traten Vertreter des Obersten Führers im Obersten Nationalen Sicherheitsrat, Saeed Dschalili, Parlamentspräsident Mohammad Bagher Ghalibaf und der ehemalige Innen- und Justizminister Mostafa Pour-Mohammadi an. Alle drei vertraten bei der Wahl das konservative Lager.

Peseschkian und Dschalili haben es mit großem Vorsprung in die zweite Runde geschafft. Der ehemalige Gesundheitsminister erhielt rund 44 Prozent der Stimmen, während das Mitglied des Sicherheitsrates 40 Prozent der Stimmen erhielt. Ghalibaf und Pour-Mohammadi, die aus dem Rennen um die Präsidentschaft ausgeschieden sind, erhielten 14 Prozent bzw. 0,8 Prozent der Stimmen. Am Ende des zweiten Wahlgangs hatte Peseschkian 53,6 Prozent der Stimmen, sein Rivale 44,3 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag im zweiten Wahlgang bei 49,8 Prozent.

Die vorgezogenen Wahlen wurden im Iran nach dem Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi ausgerufen. Ein Hubschrauber mit acht Personen an Bord, darunter der Präsident und der Außenminister, stürzte am Abend des 19. Mai in der iranischen Provinz Ost-Aserbaidschan ab. Keiner der Passagiere und Besatzungsmitglieder überlebte den Absturz.

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