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Lügenpresse: Wie deutsche Medien KZs für Schwule in Tschetschenien erfinden

Lügenpresse: Wie deutsche Medien KZs für Schwule in Tschetschenien erfinden
Demonstration am 8. April 2017 in Berlin gegen die angebliche Deportation und Folter "von Hunderten tschetschenischen LGBT-Aktivisten" in Grosny. Faktisch belegt ist dieser Vorwurf bisher jedoch nicht.

Konzentrationslager für hunderte Schwule, Folter und Mord: Das alles soll sich, glaubt man westlichen Medien und NGOs, in der autonomen russischen Kaukasusrepublik Tschetschenien zutragen. Einzig die dortige Gay-Community weiß nichts darüber.

von Gert-Ewen Ungar

Die Anschuldigungen sind gravierend. Hunderte von homosexuellen Männern sollen in der autonomen russischen Republik Tschetschenien in Konzentrationslagern für Homosexuelle interniert worden sein. Es werde gefoltert und gemordet. Westliche Medien und LGBT-Organisationen sprechen bereits von einem angeblichen Genozid und fordern harte Reaktionen gegen Russland.

Auch auf politischer Ebene sind die Vorwürfe inzwischen in ganz großem Rahmen ein Thema. Sowohl die OSZE als auch die UNO haben sich an Russland gewendet und fordern das Land dazu auf, den Vorwürfen nachzugehen.

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Screenshot: Kampagne auf der unter anderem vom umstrittenen so genannten Philanthropen George Soros geförderten Plattform Avaaz.

Auf Facebook kann man sein Profil seit einigen Tagen mit einem rosa Winkel und dem auch auf Twitter kursierenden Hashtag #chechnya100 schmücken und so seine Sorge und seine Solidarität mit tschetschenischen Schwulen ausdrücken. Auch als T-Shirt ist dieses Symbol der Solidarität erhältlich. Eine ähnliche Solidaritätsbekundung nach dem Attentat in Sankt Petersburg war hingegen ausgeblieben.

Doppel-Jackpot: Fake-Berichte treffen Russland und Islam gleichzeitig

Die einzige Quelle für diese Behauptung ist bislang die Novaja Gaseta, von der anschließend einige Clickbait-Portale abgekupfert hatten. Einzig The Guardian will eine zweite Quelle aufgetan haben und zitiert einen Mann namens Achmed. Dessen Geschichte ist jedoch genauso grausam wie hermetisch gegen jede Überprüfung abgesichert. Ihre Glaubwürdigkeit stünde, würde die identische Darstellung einen Sachverhalt in einem westlichen Land schildern, vermutlich in Frage.

Während es anfänglich noch um maximal einhundert Internierte ging, ist inzwischen von Hunderten die Rede. Überprüfbar seien die Schilderungen nicht, weil sie sich faktisch nicht überprüfen ließen. Niemand redet, macht uns The Guardian weis. Aus Angst vor Verfolgung selbstverständlich. Russland eben. Und – was das Ganze zum Sechser mit Zusatzzahl macht – der Islam eben, denn Tschetschenien ist eine überwiegend muslimische Republik. Alle Vorurteile auf einmal bedient.

Dabei wirft alleine der Common Sense schon einige Fragen auf. Grosny, die Hauptstadt Tschetscheniens, hat rund 200.000 Einwohner und ist damit so groß wie Kiel, Halle oder Krefeld. Sollten dort Hunderte von Menschen aus einer Subkultur verschwinden, kann das nicht unbemerkt bleiben, zumindest nicht innerhalb dieser selbst. Selbst mit Blick auf Tschetschenien mit seinen gerade mal 1,3 Millionen Einwohnern liegt diese Überlegung nahe.

Mangel an Fakten durch ein Mehr an Empörung ersetzt

Entsprechend dieser Logik haben Aktivisten damit begonnen, über Subkultur-spezifische Netzwerke einfach nachzufragen, was an der Meldung der Novaja Gaseta dran ist. Sie erhalten immer die gleiche Auskunft: nichts.

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Screenshot: Anfrage an die Nutzer “Ibrahim” und “Rusik” über die Szene-App Hornet.

Doch wenn es um Russland geht, ist Evidenz unerheblich. Auch dass die russische Menschenrechtsbeauftragte zugesagt hat, sich der Vorwürfe anzunehmen, kann beiseite gewischt werden. Und wenn, wie gestern Interfax meldet, sich auch noch die tschetschenische Staatsanwaltschaft mit den Vorwürfen beschäftigen wird, dann beruhigt das hierzulande niemanden. Die Empörungsmaschine läuft auf Hochtouren und lässt sich durch ein paar lächerliche Fakten nicht abbremsen.

Dass die Berichterstattung im Westen über die die mutmaßlichen Vorfälle alles andere als sauber und neutral ist, fällt dabei unter den Tisch. Die Organisation avaaz.org versah ihren Bericht über die angeblichen Gräueltaten in Tschetschenien mit einem Bild von einer Demonstration im Jahr 2010, auf der sich der LGBT-Aktivist Nikolaj Alekseew von der Polizei weggetragen lässt. Amnesty International übernimmt das Bild und suggeriert auf diese Weise gleich in einem Aufwaschen auch, dass es in Tschetschenien ein erhebliches Problem mit Polizeigewalt gäbe. Auch hierfür fehlt es an belastbaren Belegen.

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Nikolaj Alekseew hat auf seiner Facebookseite unterdessen angekündigt, gegen Novaja Gaseta wegen der Verbreitung von Falschnachrichten klagen zu wollen.

Russische LGBT-Gruppen wittern Instrumentalisierung

Generell ist das Verhältnis zwischen westlichen LGBT-Organisationen und russischen eher gestört, um es mal freundlich auszudrücken. Aus russischer Sicht geht es den westlichen Fürsprechern eben nicht um ein solidarisches Miteinander über Grenzen hinweg. Aus der Sicht vieler russischer LGBT-Organisationen lassen sich westliche Gruppen einfach für ein gegen Russland gerichtetes politisches Spiel missbrauchen oder betreiben dieses sogar selbst aktiv mit. Im Interesse der russischen LGBT-Bewegung sind die hiesigen Aktionen jedenfalls nicht.

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Die russische LGBT-Community ist nicht restlos davon überzeugt, dass es den westlichen Gruppen tatsächlich um grenzüberschreitende Solidarität geht.

Dass sich das Gros der russischen Medien aus der Berichterstattung über ein angebliches Konzentrationslager für Schwule in Tschetschenien weitgehend zurückgezogen hat, diese sich inzwischen auf Novaja Gaseta und Radio Swoboda beschränkt, ein Propagandatool aus dem Kalten Krieg, das im Zusammenhang mit dem Ukrainekonflikt reaktiviert wurde, verkaufen westliche Organisationen nun als Beweis dafür, dass es in Russland ein generelles Desinteresse an LGBT-Themen gibt. Das ist allerdings nicht der Fall.

Dass es sich einfach um Fake News handeln könnte, darauf kommt man in der westlichen Community nicht und geht fleißig weiter auf die Straße. Auf diese Weise spitzt man weiter zu, wo eigentlich eine vernünftige Bestandsaufnahme notwendig wäre.

Mit Aufklärung und Emanzipation hat der blinde Aktionismus westlicher LGBT-Organisationen jedenfalls nichts zu tun. Beim letzten Mal, als der Begriff “Genozid” mit Blick auf Ereignisse in Osteuropa breit in die Öffentlichkeit getragen wurde, wurde damit der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen Jugoslawien begründet. Diesen angeblichen Genozid freilich hat es nie gegeben.

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