Medien

Reinhardswald: Wie der Hessische Rundfunk Kritiker diffamiert

Reinhardswald: Wie der Hessische Rundfunk Kritiker diffamiert
Kann weg fürs Klima: Verwunschene Eichen im Reinhardswald

Nicht ohne Grund wird der Reinhardswald auch als Märchenwald bezeichnet. Historische Burgen, alte Bäume und idyllische Bäche inspirierten bereits die Brüder Grimm zu ihren bekannten Märchen. Nun wird das einzigartige Naturdenkmal dem Bau von Windrädern geopfert. Bürger, die das kritisieren, werden systematisch durch den Hessischen Rundfunk diffamiert. Eine Recherche.

von Thomas Hartung

Am Anfang steht ein Satz: „Die Windräder im Reinhardswald: Jahrelang hat eine Allianz aus vorgeblichen Naturschützern, Kommunalpolitikern, Querdenkern und Rechtsextremen versucht, sie zu verhindern.“ So lautet die Anmoderation der zwangsgebührenfinanzierten “hessenschau” im Herbst über den Kahlschlag im naturgeschützten nordhessischen Reinhardswald zugunsten des auch dort ideologisch durchgedrückten Windkraftausbaus. Ein Satz wie ein Schlag – aber nicht etwa gegen die Windräder, sondern gegen jene, die sie kritisieren. Ein Satz, der auf den ersten Blick nur dynamisch klingt, aber auf den zweiten Blick das Vokabular einer neuen inneren Feinderklärung entfaltet. “Vorgebliche Naturschützer“: Das ist keine journalistische Beschreibung, das ist ein Urteil, gefällt von eigentlich zur Objektivität verpflichteten öffentlich-rechtlichen Medienschaffenden. Es gilt ausgerechnet jenen Bürger, die sich für einen der symbolträchtigsten, idyllischsten und verwunschensten Wälder Deutschlands einsetzen: den Reinhardswald, jenen Märchenwald, in dem die Grimm’schen Geschichten ihren topographischen Hintergrund haben und der bis heute als eine der größten, weitgehend unzerschnittenen Waldlandschaften Hessens gilt.

Dass in diesem Wald nun 18 Windkraftanlagen mit Höhen um die 240 (!) Meter entstehen sollen – eine industrielle Inwertsetzung im Gewand der Klimamoral –, ist für sich genommen schon eine vandalistische Zumutung und ein massiver Eingriff in eine historisch, kulturell und ökologisch hochsensible Landschaft. Aber darum geht es in der Anmoderation der “hessenschau” nicht; es geht nicht um Wald, nicht um Artenvielfalt und Biodiversität, nicht um Landschaft, nicht um die Frage, ob die “Energiewende” auch ganz anders gedacht werden könnte. Nein: Es geht darum, wer protestiert – und wie man diese Menschen sprachlich so sortiert, dass sie aus dem Kreis der ernst zu nehmenden Bürger entfernt werden.

Die Semantik der Delegitimierung

Man sollte sich diesen Satz als Textbaustein einmal genauer ansehen. Er besteht aus vier Figuren: den „vorgeblichen Naturschützern“, den “Kommunalpolitikern”, den “Querdenkern” und den “Rechtsextremen”. Der dramaturgische Trick ist simpel: Man reiht legitime, halb-legitime und delegitimierte Rollen so aneinander, dass sie eine einzige, kontaminierte Gruppe bilden. Die mutaufgezählten Kommunalpolitiker fungieren hier als Brücke – sie stehen irgendwo zwischen „Bürger“ und „Politik“ und werden in diesem Propagandadrehbuch in eine Art lokalen Kollaborationsstatus versetzt. Auf der einen Seite: die behauptetermaßen nur „vorgeblichen“ Naturschützer, auf der anderen „Querdenker“ und „Rechtsextreme“ als Negativfolie. Dazwischen jene Lokalpolitiker, die zu dumm oder zu schwach sind, sich von „den Falschen“ zu distanzieren – so die unausgesprochene Moralbotschaft. Sprachlich ist das ein Lehrstück: Denn „vorgeblich“ verrät mehr über den Sprecher als über den Beschriebenen. Hier spricht nicht die Reportage, hier spricht das Verdachtsregime. „Vorgeblich“ bedeutet: Diese Menschen sind in Wahrheit Betrüger. Sie behaupten, Naturschutz zu betreiben, in Wahrheit aber sind sie Teil einer finsteren Allianz mit den Feinden der Demokratie.

Die Begrifflichkeit „Allianz“ – verstärkt dieses Bild einer amoralischen Verschwörung. Aus einem heterogenen Protestgeschehen – Bürgerinitiativen, Naturschutzverbände, lokale Bündnisse, klagende Organisationen, kritische Bürgermeister – wird ein quasikonspirativer Block gemacht. Tatsächlich begehren im Reinhardswald seit Jahren Bürgerinitiativen, Verbände, Fachleute und Kommunalpolitiker gegen die Industrialisierung des Waldes auf. Doch anstatt diese Vielfalt abzubilden, wird sie in der Anmoderation auf ein einziges Bild hin montiert: die „Allianz“ mit Rechtsaußen. Das ist kein journalistischer Zugriff mehr, sondern die Übernahme eines Sicherheitsdiskurses: Wer hier inhaltlich opponiert, wird semantisch in den Gefahrenbereich des Verfassungsfeindes verlegt.

Der Märchenwald als Testfeld der „richtigen“ Haltung

Der Reinhardswald ist nicht irgendein Gewerbegebiet am Stadtrand. Er ist – im Selbstverständnis der Region, in der Kulturlandschaft Deutschlands – eine symbolische Landschaft erster Ordnung: Märchenwald, Urwald Sababurg, jahrhundertealte Eichen, weitgehend unzerschnittene, historisch gewachsene Waldbestände. Gerade solche Orte haben in modernen Gesellschaften eine doppelte Funktion: Sie sind natur- und kulturhistorische Archive – und sie dienen als Projektionsfläche dessen, was eine Gesellschaft bereit ist zu opfern. Wo früher Kathedralen standen, stehen heute Windräder; wo früher Altäre waren, stehen Konverterstationen. Die Energiewende, wie sie in Deutschland organisiert wurde, ist nicht nur ein technisches, sondern ein religiöses Projekt im säkularen Gewand: Sie kennt heilige Ziele („1,5 Grad“), Sünden (“CO2-Fußabdruck”), Ketzer (“Klimaleugner”) und Ablasshandel (“CO2-Preis”, “Klimazertifikate” und andere Kompensationen).

In diesem quasi-religiösen Deutungsrahmen ist der Wald nur noch Rohstoff – entweder Holz, CO2-Senke oder symbolisches Opfer. Er ist nicht mehr Eigenwert, sondern Kulisse eines höheren Plans. Und wer sich diesem Plan in den Weg stellt, kann in solch einem Regime nicht mehr einfach Bürger sein. Er kann nicht „Anwohner“ bleiben, nicht „Naturschützer“, nicht „lokal Betroffener“. Er muss umkodiert werden: zum „vorgeblichen Naturschützer“, zum dumpfen Störer, zum Randfiguren-Statisten in einem Drama, dessen moralische Hauptrollen anderswo besetzt sind. Deshalb passt der Reinhardswald so gut ins Drehbuch: Ein Märchenwald, medienwirksam, emotional aufgeladen – ideal, um die neue Staatsmoral am Beispiel der störrischen Provinz zu demonstrieren. Der Wald wird zur Kulisse einer innerdeutschen Gesinnungserziehung.

Vom Bürger zum Gefährder: Die Logik der Kontaktschuld

Die entscheidende Funktion des “hessenschau”-Satzes liegt in der Konstruktion einer Kontaktschuld. Wer mit „Querdenkern und Rechtsextremen“ in einer „Allianz“ steht, der ist natürlich mitkontaminiert. Das heißt: Nicht nur muss sein Anliegen falsch sein, sondern auch sein gesamter moralischer Habitus. Diese Kontaktschuld funktioniert in drei Schritten. Zunächst verschwimmen die Grenzen: Es genügt, dass irgendwo im weiten Feld des Protestes auch Personen auftreten, die man dem Milieu von “Querdenkern” oder “Rechtsextremen” zurechnen kann. Dass bei einem Konflikt, der seit Jahren schwelt, verschiedenste Milieus mitlaufen – von konservativ-bürgerlich über ökologisch bis hin zu schrillen Randfiguren – ist in einer pluralen Gesellschaft eine triviale Binse.

Aus diesem Fakt wird aber, zweitens, eine moralische Infektion gemacht: Wer nicht aktiv, öffentlich und demonstrativ gegen diese Randfiguren auftritt, ist Teil derselben „Allianz“. Die Bürgerinitiative wird so zum politischen Seuchengebiet erklärt. Es folgt, drittens, die politische Verwertung: Wenn das Etikett einmal sitzt, müssen sich fortan Behörden, Kirchen, Verbände, Parteien rechtfertigen, sobald sie auch nur in sachliche Gespräche mit solchen Bürgergruppen eintreten. Der Protest verliert seine Anschlussfähigkeit. Der „dialogbereite“ Akteur riskiert, auf die schwarze Liste zu geraten. Die “Energiewende” erhält so eine antidiskursive Schutzglocke: Wer sie kritisiert, wird moralisch prekär und macht sich verdächtig. Dass diese Logik längst über den Reinhardswald hinausweist, ist offenkundig. Die Kombination „Rechtsextreme und Querdenker“ ist seit Corona das affektive Standardmuster der Gegenwart: Sie taucht auf bei Bauernprotesten, bei Impfdebatten, bei Kritik an Migrationspolitik und nun auch bei der Verteidigung eines Waldes. Es ist eine Art semantischer Gummiparagraph, mit dem jede unerwünschte Protestform in den Bereich des Verdachts verschoben werden kann

„Vorgeblich“: Der Angriff auf die Integrität des Motivs

Besonders verräterisch ist der Begriff „vorgeblich“ im Zusammenhang mit „Naturschützern“. Er sagt: Diese Menschen meinen es nicht ernst mit der Natur. Sie missbrauchen nur den Naturschutz, um ihr angeblich wahres, nämlich politisch problematisches, Anliegen zu tarnen. Aber was heißt das konkret im Fall Reinhardswald? Seit Jahren warnen Forstleute, Biologen und Naturschützer vor den ökologischen Folgen eines massiven Windkraftausbaus in sensiblen Waldgebieten: Zerschneidung von Lebensräumen, Gefährdung geschützter Arten, Verdichtung und Versiegelung durch Zufahrtsstraßen, Verlust ruhiger Großlebensräume. Bürgerinitiativen und Verbände berufen sich auf genau diese klassischen Anliegen des Naturschutzes: Schutz von Landschaft, Arten, Lebensräumen vor industrieförmiger Überformung.

Das alles ist nicht „vorgeblich“, sondern Naturschutz nach klassischem Verständnis. Vorgeblich ist eher der umgekehrte Anspruch, man könne Natur zerstören, um Natur zu retten: auf der einen Seite Beton, Stahl, Rotoren, Zufahrtswege – auf der anderen Seite ein abstrakter Klimanutzen, der sich im globalen CO₂-Buchhaltungssystem irgendwo niederschlagen soll. Was sich hier gedreht hat, ist der normative Kompass: Derjenige, der den konkreten, sichtbaren, ortsgebundenen Naturraum schützt, wird zum Verdächtigen erklärt. Derjenige, der diesen Raum einem globalistischen, modellhaften Plan unterwirft, gilt als „Klimaschützer“ – selbst dann, wenn der lokale Schaden irreversibel ist.

Der “Hessische Rundfunk” als Haltungsapparat

Der “Hessische Rundfunk” ist aber keine Privatredaktion. Er ist Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems, das sich selbst gern als „staatsfern“ beschreibt, faktisch aber durch Rundfunkräte, Parteienproporz und Gebührenfinanzierung tief in das institutionelle Gefüge der Republik eingewoben ist. Genau diese Verschiebung – weg von der Bühne pluraler Stimmen hin zum moralischen Schiedsrichter über Zugehörigkeit – ist Wochen zuvor bereits beim “Südwestrundfunk” sichtbar geworden: Din Beitrag hatte da ganz selbstverständlich zwischen „Bürgern“ und „AfD-Anhängern“ unterschieden und letztere sprachlich aus dem Kreis der vollgültigen Staatsbürger hinausdefiniert. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk erscheint hier nicht mehr als Labor der Demokratie, sondern als pädagogischer Apparat, der seinen Zuschauern das Urteilen nicht zutraut, sondern sie vor vermeintlicher „Desinformation“ und „Radikalisierung“ schützen muss. An die Stelle der Streitkultur ist eine therapeutische Ansprache getreten, in der der Bürger als Gefährdeter, als Patient eines moralisch überformten Gemeinwesens behandelt wird. Genau in diesem Sinn funktioniert auch die “Hessenschau”-Formel von den „vorgeblichen Naturschützern“: Sie sortiert nicht Argumente, sondern Menschen – in eine Öffentlichkeit der Zustimmung und eine Öffentlichkeit des Verdachts.

Wenn eine solche Institution in ihrer Prime Time kritische und besorgte Bürger als „vorgebliche Naturschützer“ in einer „Allianz mit Rechtsextremen“ adressiert, dann ist das keine unglückliche Formulierung mehr, sondern ein Symptom dessen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich von der Idee pluralistischer Öffentlichkeit entfernt und in die Rolle eines Haltungsapparates gerutscht ist. Seine Aufgabe sieht er nicht mehr primär darin, Konflikte ergebnisoffen abzubilden, sondern darin, eine politisch erwünschte Richtung zu markieren und Abweichungen moralisch zu sanktionieren. Man erinnere sich an die klassische Funktion seriöser Berichterstattung: Sie trennt sauber zwischen Nachricht und Kommentar, sie benennt Akteure als das, was sie sind – Bürgerinitiative, Verband, wissenschaftlicher Beirat, Gemeindevertretung –, sie zitiert, sie kontextualisiert, sie verzichtet auf Unterstellungen. Die Anmoderation zur Windkraft im Reinhardswald bricht mit all dem. Sie ordnet zu. Sie teilt in Gut und Böse. Sie moralisiert, bevor sie informiert.

Damit wird der öffentliche Diskurs verengt: Naturschutz, der nicht mit dem Regierungsnarrativ kompatibel ist, wird zur „Maske“ erklärt. Kommunalpolitik, die sich gegen Landes- oder Bundesvorgaben wehrt, wird in eine rechte Nähe gerückt. Und Bürgerprotest wird zum Sicherheitsproblem. Das ist die Logik eines politischen Systems, das zunehmend Probleme mit der eigenen demokratischen Grundlagenarbeit hat: mit der Anerkennung widerständiger Minderheiten, mit der Zumutung offener Konflikte, mit dem Risiko veränderten Mehrheitswillens.

Die neue Ökologie: Landschaft als Verfügungsmasse

Bemerkenswert ist auch, wie sich unter der Hand, ganz beiläufig der Begriff der Ökologie verschoben hat. Früher war „ökologisch“ das, was Eingriffe in komplexe Ökosysteme kritisch betrachtete, das den Eigenwert von Landschaft betonte, das industrielle Überformung – ob durch Autobahnen, Staudämme oder Großkraftwerke – skeptisch sah. Heute gilt als ökologisch, was in die Emissionsbilanzen eines „Green Deal“ passt. Der Reinhardswald ist in dieser Logik nur noch eine variable Größe: ein Prozentbruchteil hier, ein paar Hundert Hektar dort – eine arithmetische Fläche in einem Planungsprogramm. Wer aber den Wald kennt, weiß, dass es nicht um Prozentsätze geht, sondern um räumliche Qualität: um unzerschnittene Großräume, um Querungskorridore, um Ruhe, Dunkelheit, Habitatkontinuität. Ein einziges Erschließungssystem kann in einem sensiblen Gebiet mehr zerstören, als die abstrakte Zahl vermuten lässt.

Die neue Ökologie interessiert sich dafür kaum noch. Sie operiert mit Satellitenbildern, Szenarien, Zielzahlen. Das Individuelle, das Konkrete, das Ortsspezifische – all das verschwindet in Excel-Tabellen und Klimamodellen. Genau dagegen wehren sich die Bürger im Reinhardswald: gegen die Reduktion ihrer Landschaft auf eine Planungsvariable. Der Angriff auf sie, sie seien nur „vorgebliche Naturschützer“, richtet sich in Wahrheit gegen die ältere, konservative Ökologie: gegen jene, die den Wert der gewachsenen Landschaft höher gewichten als den Wert abstrakter Klimaziele.

Der Märchenwald als politisches Symbol

Dass ausgerechnet der Reinhardswald zum Schlachtfeld der Energiewende wird, ist ironisch. Dieser Wald, der mit Grimms Märchen verbunden ist, erinnert an eine Zeit, in der das Böse noch als Wolf oder Hexe verkleidet war – fassbar, personifiziert, eingelagert in Geschichten. Heute erscheint das Böse als „Rechtsextremer“ in jeder beliebigen Kontroverse – ein universales Schreckbild, das man jederzeit heranziehen kann, um Unwillige moralisch zu isolieren. Die Märchen erzählten von Prüfungen, von Wegen, Umwegen, Verirrungen, von der Notwendigkeit, den eigenen Verstand zu gebrauchen und die eigenen Sinne zu schärfen. Die moderne politische Kommunikation dreht dieses Motiv um: Sie möchte die Sinne abstumpfen, die Komplexität reduzieren, die Rollen klar verteilen – hier die Guten, dort die Bösen. Wer in dieser Ordnung stört, wird nicht argumentativ widerlegt, sondern etikettiert.

Die Bürger im Reinhardswald, die Verbände, die Wissenschaftler, die Kommunalpolitiker, die über Jahre gegen die Industrialisierung ihres Waldes gekämpft haben, wissen längst, dass sie nicht mehr in einer neutralen Agora sprechen, sondern in einem Raum, in dem die Mikrofone von vornherein in eine Richtung ausgerichtet sind.

Verteidigung der Bürgerwürde

Am Ende geht es nicht nur um Bäume, Rotorblätter und Naturschutzrecht. Es geht um die Integrität der Bürgerrolle. In einer gesunden politischen Kultur ist es selbstverständlich, dass Bürger gegen Großprojekte opponieren dürfen – ob gegen Autobahnen, Flughafenerweiterungen, Tagebaue oder eben Windparks. Es ist selbstverständlich, dass sie dazu Verbände gründen, Gutachten in Auftrag geben, vor Gericht ziehen, demonstrieren, Petitionen verfassen. Wenn aber die große öffentlich-rechtliche Bühne diesen Bürgern die Maske vom Gesicht reißen will und verkündet, sie seien nur „vorgeblich“ das, was sie sind, dann wird ihnen etwas Fundamentales entzogen: das Recht, aus ihrem Gewissen heraus öffentlich zu handeln, ohne unter Generalverdacht gestellt zu werden.

Der Reinhardswald ist ein Testfall: Nicht nur für die Frage, wie viel Natur ein Land bereit ist, für ein fragwürdiges Energie-Design zu opfern. Sondern auch für die Frage, wie viel Bürgerwürde ein Land bereit ist, für die Durchsetzung einer politischen Linie zu riskieren. Wer hier schweigt, weil es ja “nur um ein paar Windräder“ geht, wird sich später fragen müssen, warum es irgendwann „nur um ein paar Bauern“, „nur um ein paar Autofahrer“, „nur um ein paar Eltern“ oder „nur um ein paar kurz vor der Rente stehende Facharbeiter“ geht, die ebenfalls als „vorgebliche“ Vertreter ihres jeweiligen Anliegens diffamiert werden.

Rückkehr zur Realität

Die Realität im Reinhardswald ist ernüchternd schlicht: Ein historisch und ökologisch bedeutsamer Wald soll teilweise industrialisiert werden. Ein Teil der Bevölkerung – Verbände, Bürger, Kommunalpolitiker, Wissenschaftler – hält das für falsch und wehrt sich mit demokratischen Mitteln dagegen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk berichtet darüber nicht nüchtern, sondern in der Sprache der Kontaktschuld und der moralischen Delegitimierung. Man kann zu Windkraft im Wald verschiedener Meinung sein. Man kann den Eingriff begrüßen, man kann ihn ablehnen, man kann Kompromisse suchen. Aber wer die Kritiker mit einem Federstrich zu „vorgeblichen Naturschützern“ in einer „Allianz mit Rechtsextremen“ erklärt, der verlässt den Raum der demokratischen Auseinandersetzung.

Ein Erwachsensein der Republik bestünde darin, das Gegenteil zu tun: Den Naturschützer zunächst einmal ernst zu nehmen, wenn er Natur schützen will. Den Kommunalpolitiker ernst zu nehmen, wenn er für seine Gemeinde kämpft. Und den Bürger ernst zu nehmen, wenn er gegen ein Projekt protestiert, das in sein Lebensumfeld eingreift. Und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk daran zu erinnern, dass seine Aufgabe nicht die Erziehung von Untertanen, sondern die Information von Bürgern ist. “Ist der Hessische Rundfunk noch tragbar?”, fragt die “Naturschutz Initiative”, und forderte Mitte November sowohl eine öffentliche Entschuldigung des Senders an gleicher Sendestelle als auch die “Entlassung derjenigen, die für diesen haltlosen und diskriminierenden Satz gegenüber engagierten Bürgern, Kommunalpolitikern und Naturschutzverbänden verantwortlich sind”. Eine Reaktion des Senders folgte tatsächlich: Am 14. November tauchte bei “HR-Online” folgender Text auf: “In der hessenschau vom 30.10.2025 berichteten wir über den Windpark im Reinhardswald. Die Anmoderation des Beitrags entsprach nicht unseren Standards. In der Moderation wurde gesagt ‘Die Windräder im Reinhardswald: Jahrelang hat eine Allianz aus vorgeblichen Naturschützern, Kommunalpolitikern, Querdenkern und Rechtsextremen versucht, sie zu verhindern’ – diese Aussage ist weder belegt noch aus dem Beitrag herzuleiten.” Ende. Keine Entschuldigung, keine Pointe. Oder besser: Das ist die Pointe.

Die Frage, ob wir in einem Land leben wollen, in dem Staatsmedien den eigenen Bürgern routinemäßig das Bürgersein absprechen, wird allerdings nicht in der Politik und auch nicht in den Senderzentralen entschieden. Sondern in der Aufmerksamkeit jener, die solche Sätze nicht einfach wegzappen, sondern sie als das erkennen, was sie sind: Ein Symptom dafür, dass der Märchenwald längst nicht der einzige Ort ist, an dem eine Zerstörung droht.

🆘 Unserer Redaktion fehlen noch 67.000 Euro!

Um auch 2025 kostendeckend arbeiten zu können, fehlen uns aktuell noch 67.000 von 125.000 Euro. In einer normalen Woche besuchen im Schnitt rund 250.000 Menschen unsere Internetseite. Würde nur ein kleiner Teil von ihnen einmalig ein paar Euro spenden, hätten wir unser Ziel innerhalb kürzester Zeit erreicht. Wir bitten Sie deshalb um Spenden in einer für Sie tragbaren Höhe. Nicht als Anerkennung für erbrachte Leistungen. Ihre Spende ist eine Investition in die Zukunft. Zeigen Sie Ihre Wertschätzung für unsere Arbeit und unterstützen Sie ehrlichen Qualitätsjournalismus jetzt mit einem Betrag Ihrer Wahl – einmalig oder regelmäßig:

🤍 Jetzt Spenden

Das könnte Sie interessieren!👌😊

Teilen via