Der Westen hat mit jahrzehntelangen politischen Fehlern und fortwährender Arroganz das Ende seiner eigenen Vorherrschaft besiegelt. Den globalen Takt werden zukünftig vor allem China und Russland vorgeben.
Es war eine Machtdemonstration von seltener Wucht. In Peking marschierten Zehntausende Soldaten im Gleichschritt über den Platz des Himmlischen Friedens, über ihnen zogen Kampfjets in strenger Formation ihre Bahnen. Auf der Ehrentribüne saß Xi Jinping zwischen Wladimir Putin und Kim Jong-un – ein Bild von symbolischer Schärfe. Was offiziell als Gedenkzeremonie für das Ende des Zweiten Weltkriegs vor acht Jahrzehnten firmierte, entfaltete sich als politisches Manifest der Gegenwart.
China präsentierte nicht nur eine Parade, sondern Ordnungsmacht – und demonstrierte zugleich seine Verbündeten. Dass ausgerechnet die beiden am schärfsten geächteten Staatsführer des Westens als Ehrengäste rangierten, war keine Laune der Inszenierung, sondern ein kalkuliertes Signal: Hier formiert sich eine Achse, die den Schatten verlässt und Anspruch auf Sichtbarkeit erhebt.
Xis Rhetorik rahmte das Spektakel in pathetische Formeln: Die Menschheit stehe „vor der Wahl zwischen Frieden und Krieg, Dialog und Konfrontation“, die „Wiedergeburt der chinesischen Nation“ sei unaufhaltsam. In westlichen Hauptstädten klingen solche Sätze nach Zynismus, im Globalen Süden hingegen wirken sie wie eine Offerte: eine alternative Grammatik der Weltpolitik, die nicht in Washington oder Brüssel geschrieben wird, sondern in Peking. Das Pathos war kein Nebel, es war Werkzeug. Xi übersetzte militärische Potenz in politische Semantik – und stellte beides demonstrativ nebeneinander.
Dass die aufmarschierten Waffen nicht Taiwan allein galten, sondern an die Vereinigten Staaten und ihre Bündnisse adressiert waren, blieb in Washington nicht unbemerkt. Präsident Trump sprach auf seinem Netzwerk Truth Social von einer „Verschwörung gegen die USA“. Damit reagierte er auf eine unumstößliche Tatsache: Abschreckung ist für China nicht länger Randnotiz seiner Außenpolitik, sondern der Kern seines Machtanspruchs.
Sinnbild des Scheiterns westlicher Bündnispolitik
Noch deutlicher sprach die Symbolik der Tribüne: Putin, in Europa Aggressor, und Kim, international geächtet, saßen nicht dekorativ, sondern gleichberechtigt neben Xi. Erstmals trat ein Trio vor die Kameras, das seit dem Ende der Sowjetunion undenkbar war – das Sinnbild des Scheiterns westlicher Bündnispolitik seit 1991.
Die Reaktionen fielen prompt und widersprüchlich aus. In Washington wich man ins Spöttische aus, in Brüssel warnte man vor einer „direkten Herausforderung der regelbasierten Ordnung“. Anderswo jedoch registrierte man nüchtern, wie Peking die Lücken nutzt, die eine erratische westliche Politik hinterlassen hat. Wer den Klang dieser Parade verstehen wollte, musste nicht auf die Marschmusik hören, sondern auf ihr Echo in Asien, Afrika und Lateinamerika. Dort dominierten nicht Empörung und Ablehnung, sondern Aufmerksamkeit – und Neugier auf die Konditionen der neuen Offerte.
Um die Bedeutung des Ereignisses zu erfassen, sollte man die Inszenierung nicht als Kulisse, sondern als Verdichtung mehrerer Linien lesen, die seit Jahren aufeinander zulaufen. Erstens die China-Erzählung: Sie hat sich endgültig vom Selbstbild des „aufholenden Entwicklungslandes“ verabschiedet und erhebt nun offen Führungsanspruch. Zweitens die Russland-Erzählung: Sie deutet westliche Ächtung nicht als Grenze, sondern als Einladung zu einer neuen Geometrie. Was im Westen verschlossen wird, öffnet sich im Osten; was im Westen blockiert, findet unter Pekings Schirm Zuflucht. Drittens die Erzählung einer Welt, die den Preis westlicher Moralrhetorik besser kennt als deren konkrete Angebote. Die Parade bündelte diese Stränge – sie verschmolz Bild und Botschaft.
Darin liegt die eigentliche Sprengkraft für Europa. Was auf dem Platz des Himmlischen Friedens vorgeführt wurde, war keine regionale Inszenierung, sondern die Kopplung zweier Fronten: Europa, durch den Krieg in der Ukraine gebunden, und Asien, wo China seine Machtprojektion testet. Die Achse Peking–Moskau spielt auf zwei Brettern zugleich. Die Parade war die visuelle Versicherung dieser Doppelstrategie.
Eine Kraft, die dem Westen gefährlich werden kann
Und sie war der performative Beweis einer Ordnung im Umbau: China beansprucht nicht nur das Recht, bei der Frage von Krieg und Frieden mitzuwirken, sondern die Parameter des Gesprächs selbst zu definieren. Die Präsenz Putins und Kims war mehr als bloße Provokation. Sie war die demonstrative Versicherung, dass im Westen geächtete Akteure einen Ort finden, an dem sie politisch willkommen sind. Darin liegt die Umkehrung der westlichen Logik: Nicht Ausschluss schafft Ordnung, sondern – aus chinesischer Sicht – die Einbindung in Hierarchien, die Peking definiert.
Wer die Parade nicht als Kulisse, sondern als Diagnose liest, erkennt die Formierung einer neuen Symbiose. Die Achse Peking–Moskau ist keine Zweckgemeinschaft zweier Staaten, sondern eine Partnerschaft, die ihre Stabilität aus Komplementarität bezieht. China liefert, was Russland fehlt; Russland stellt bereit, was China benötigt. Technologie und industrielle Kapazität hier, Rohstoffe, geostrategische Tiefe und militärische Schlagkraft dort – in dieser Verbindung liegt das Potenzial.
Chinas Rolle als industrielle Supermacht ist unangefochten. Es kontrolliert die Werkbänke der Welt, beherrscht zentrale Lieferketten von Elektronik über Maschinenbau bis hin zu grünem Technologiewandel. Künstliche Intelligenz, Halbleiter, Drohnentechnik – Peking hat enorme Kapazitäten aufgebaut. Russland dagegen ist reich an Öl, Gas, Kohle und seltenen Metallen; es verfügt über weite Territorien, militärische Erfahrung und atomare Schlagkraft. Für sich genommen sind beide nicht allmächtig. Doch gemeinsam entsteht eine Kraft, die dem Westen gefährlich werden kann: chinesische Technologie auf russischem Rohstofffundament.
Der bilaterale Handel zwischen China und Russland hat seit Beginn des Ukraine-Krieges eine neue Dimension erreicht. 2024 summierte sich das Volumen auf rund 245 Milliarden Dollar – mehr als das Dreifache von 2013 und doppelt so viel wie 2020. Für China ist Russland damit ein zentraler Partner; für Moskau hingegen ist Peking zum ökonomischen Rettungsanker geworden.
Umstrukturierung der Ordnung im asiatisch-pazifischen Raum
Die Struktur des Austauschs unterstreicht die Asymmetrie. Vor 2022 liefen weniger als 2 Prozent des russischen Außenhandels über den Yuan. Bis Anfang 2024 stieg der Anteil auf fast 40 Prozent, heute liegt er – nach verschärften US-Sanktionsdrohungen – noch bei rund 30 Prozent. Parallel hat der Rubel als Verrechnungswährung gewonnen, während Dollar und Euro praktisch verschwunden sind. Faktisch wickeln Moskau und Peking ihre Geschäfte in nationalen Währungen ab. Damit ist Russland das erste große Industrieland, das den Yuan in dieser Dimension akzeptiert – ein Prestigeerfolg für Chinas Anspruch, die internationale Finanzarchitektur umzuschreiben.
Ohne Zugang zu chinesischen Märkten und Finanzkanälen wäre die russische Wirtschaft unter Sanktionen kollabiert. Für Peking ist es ein geopolitisches Pfand, das Russlands Abhängigkeit festschreibt. Das Rückgrat bilden fossile Energieträger. Russische Ölexporte nach China erreichten 2024 mehr als 108 Millionen Tonnen – rund 30 Prozent mehr als 2022 und ein historischer Höchststand. Auch Kohle, Flüssiggas und Pipelinegas fließen in wachsendem Umfang. China ist damit Schlüsselkunde für russische Energie – weil westliche Märkte verschlossen sind, oft sogar zu rabattierten Preisen.
Besonders sichtbar ist dies beim Gas. Seit 2019 beliefert die Pipeline „Power of Siberia“ den chinesischen Markt; bis 2025 soll ihre Kapazität 38 Milliarden Kubikmeter pro Jahr erreichen. Mit dem geplanten Projekt „Power of Siberia 2“, das weitere 50 Milliarden Kubikmeter liefern soll, würde sich Russlands Abhängigkeit noch vertiefen. Was Europa nicht mehr abnimmt, fließt nach Osten.
Gleichwohl wirkt die Allianz nicht nur ökonomisch. Ihre geopolitische Reichweite wird sichtbar, wenn man Washingtons Kalkül in Osteuropa in eine chinesische Logik übersetzt. Russland bindet in der Ukraine gewaltige Ressourcen und trägt enorme Kosten – doch Gleiches gilt für die USA. Genau darin liegt Pekings Vorteil: Es gewinnt die Zeit, die es braucht, um sich auf eine Umstrukturierung der Ordnung im asiatisch-pazifischen Raum zu rüsten.
Umfassendste militärische Aufrüstung in Friedenszeiten
Das Bündnis ist zudem für Xi und Putin attraktiv, weil es globale Wirkung entfaltet. Ohne Pekings Rückendeckung könnte Moskau den Krieg kaum durchhalten. Zugleich öffnet sich Spielraum, Einflusszonen auf dem Balkan und in Osteuropa zu schaffen – dort, wo die NATO schwach verwurzelt ist. China profitiert im Hintergrund: Es hält Russland am Leben, ohne offen Partei zu ergreifen, und erweitert damit den eigenen Handlungsspielraum.
In Asien zeigt die Achse ihre unmittelbare Wirkung. China beansprucht Inseln im Ost- und Südchinesischen Meer, droht Taiwan mit „Wiedervereinigung“, reklamiert Gebiete gegenüber Nachbarn und testet die amerikanische Präsenz. Mit Russland als Atommacht im Rücken wird Peking zur unmittelbaren geopolitischen Bedrohung. „China durchläuft die größte und umfassendste militärische Aufrüstung in Friedenszeiten der Geschichte“, warnte US-Außenminister Rubio im April 2025. Um dieser Entwicklung Herr zu werden, müsste Washington zugleich Europa gegen Moskau und den Pazifik gegen Peking absichern – eine Doppelaufgabe, die selbst die größte Supermacht der Geschichte überfordern würde.
Die historische Dimension verleiht der Allianz ihre Sprengkraft. Seit Rapallo 1922 geistert im Westen die Angst vor einem Zusammenschluss deutscher Technologie mit russischen Rohstoffen. Washington formulierte daraus die Maxime, wonach jede kontinentale Allianz, die Europas industrielle Kraft mit Russlands Ressourcen vereint, zu verhindern ist. Während des Kalten Krieges war diese Gefahr durch die feste Einbindung der Bundesrepublik in die NATO gebannt. Doch nach 1991, im Taumel der vermeintlich „unipolaren Welt“, kehrte die alte Sorge zurück. Zbigniew Brzezinski warnte im „großen Schachbrett“, ein deutsch-russisches Zusammengehen könne die amerikanische Vorherrschaft in Europa beenden.
Die Ironie der Geschichte: Das einstige Schreckbild ist nicht nur Realität, sondern in potenzierter Form wiedergekehrt. An die Stelle Deutschlands ist China getreten – eine Supermacht von globalem Anspruch, technologisch eigenständig und ökonomisch übermächtig.
Nach 1991 glaubte die NATO sich unantastbar
Dabei geht es nicht mehr nur um die Verbindung von Ressourcen und Technologie, sondern um das Zusammengehen zweier Mächte, die die westliche Ordnung offen herausfordern und bereit sind, in Europa wie im Pazifik die Spielregeln zu verschieben. Abschreckung ist nicht mehr unipolar, sondern multipolar, verteilt auf zwei Kontinente.
Hinzu kommt eine bittere Erkenntnis. Diese Allianz wäre nicht so fest gefügt, hätte der Westen nicht selbst den Kitt geliefert. Was hierzulande als „regelbasierte Ordnung“ gefeiert wird, erscheint in Moskau und Peking als Projekt, das von Beginn an auf Expansion und Überheblichkeit setzte. Nach 1991 glaubte man sich unantastbar. Die NATO dehnte sich bis an Russlands Grenzen, die EU verteilte politische Lektionen, Washington setzte Strafzölle, wo es Vorteile witterte. Die Überzeugung, die liberale Ordnung sei alternativlos, erwies sich als triumphalistische Wahnvorstellung.
Das Resultat liegt offen: Russland wurde nicht durch Sanktionen gebrochen, sondern enger an China gebunden. China wurde nicht durch Strafzölle geschwächt, sondern zur beschleunigten technologischen Eigenständigkeit gezwungen. Und der Globale Süden, von Washington und Brüssel oft nur als moralischer Adressat behandelt, orientiert sich heute pragmatisch an den besten Angeboten. Diese aber kommen längst aus Peking: Kredite, Infrastruktur, Märkte – und all dies ohne politische Auflagen, die als Einmischung empfunden werden.
So hat der Westen ausgerechnet das beschleunigt, was er immer verhindern wollte: die Herausbildung einer Gegenordnung, genährt nicht von Werten, sondern von Interessen. Die BRICS, jüngst erweitert um Saudi-Arabien, Ägypten und die VAE, vereinen heute über 40 Prozent der Weltbevölkerung und rund 40 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Die G7, einst unangefochtenes Zentrum der Weltwirtschaft, kommen dagegen nur noch auf knapp 30 Prozent – eine manifeste Verschiebung globaler Schwerkraft.
Europa verliert Gewicht, Einfluss und Selbstvertrauen
Für Europa ist diese Entwicklung besonders bitter. Einst Kern globaler Politik, befindet sich der Kontinent heute im freien Fall. Anstatt sich wirtschaftlich und politisch zu konsolidieren und sein Potenzial zu entfalten, stranguliert er sich mit überbordender Bürokratie und hoher Steuerlast. Finanziert werden damit eine außer Kontrolle geratene Migrationspolitik, eine irrwitzige Energiewende sowie gesellschaftliche Experimente, die die Gesellschaften tief gespalten haben.
Insbesondere außenpolitisch ist die Marginalisierung unübersehbar. In der Ukraine agiert Europa als planloser Erfüllungsgehilfe der USA, im Pazifik bleibt es ein besorgter Beobachter, dessen Einfluss auf Mahnungen beschränkt ist. Militärisch verkümmert, hängt es am Schutzschirm Washingtons, ökonomisch am Wohlwollen Pekings, energiepolitisch ist es fragil. Die großen Entscheidungen fallen längst nicht mehr in Berlin, Paris oder Brüssel, sondern in Peking, Moskau und Washington. Europas Rolle reduziert sich darauf, auf Entwicklungen zu reagieren, die andere gestalten
Als Xi Jinping 2023 bei einem Staatsbesuch in Moskau Putin zuflüsterte, die Welt steuere auf eine Veränderung zu, „wie sie seit hundert Jahren nicht gesehen wurde“, reagierten westliche Analysten mit überheblicher Geringschätzung. Seit letzter Woche jedoch ist klar, was er meinte. China ist die aufstrebende Supermacht des 21. Jahrhunderts, Russland sein strategischer Partner. Gemeinsam verschieben sie das globale Gleichgewicht. Solange diese Allianz intakt bleibt, ist Russland weder zu isolieren noch zu besiegen. Den USA bleiben kaum mehr als Drohungen – zusätzliche Sanktionen gegen Drittstaaten, wie z.B. Indien, haben sich als ineffektiv erwiesen.
Die Inszenierung auf dem Platz des Himmlischen Friedens war mehr als eine Militärparade – sie war das Schaufenster einer Welt im Umbruch. 1991 schien der Westen am Ziel der Geschichte: Die Sowjetunion war zerfallen, die USA und Europa verfügten über eine einmalige Dominanz – politisch, wirtschaftlich, kulturell. Drei Jahrzehnte später zeigt sich, dass selbst eine solche Position durch 35 Jahre falscher Politik verspielt werden kann – und dass damit die Weichen für ein ganzes Jahrhundert neu gestellt sind.
Obwohl das 21. Jahrhundert erst zu einem Viertel geschrieben ist, steht schon jetzt fest: Es wird vom Abstieg Europas geprägt sein. Der Kontinent, der einst die Maßstäbe der Welt setzte, verliert Gewicht, Einfluss und Selbstvertrauen. Sein Abstieg ist nicht mehr Prognose – er ist Gegenwart.
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