39 Prozent für die AfD, sechs Prozent für das BSW, CDU im freien Fall; SPD und FDP so weit von der politischen Wahrnehmbarkeit entfernt wie Pluto von der Sonne: Das ist die Situation in Sachsen-Anhalt.
von Michael Münch
Und mitten hinein in diese tektonische Verschiebung des Parteiensystems tritt Ministerpräsident Reiner Haseloff vor die Öffentlichkeit. Aber nicht mit einem Plan, nicht mit einem Konzept – sondern mit einem orangefarbenen Handschuh. Die Szene ist so grotesk, dass sie sich jeder Satire entzieht. Beim Bauhaus-Jubiläum in Dessau macht sich der Regierungschef zum aktiven Mitspieler in einem „Geborgenheitstanz“. Erwachsene Menschen, die sich orangefarbene Handschuhe überziehen und damit ihr eigenes Gesicht streicheln: Der Therapeut nennt es „Wohlfühlraum“. “Bild” titelt fast schon mitleidig-spöttisch: „Streicheln gegen den AfD-Schock“ und bringt so den bizarren Realitätsverlust einer abgewirtschafteten politischen Elite im freien Fall auf den Punkt.
Man fragt sich: Was treibt einen Ministerpräsidenten in solch eine Geste hinein? “Appetenzverhalten” nennt die Psychologie das: Ein Reflex, wenn man nicht mehr weiß, was zu tun. Völkerkundler und Verhaltensforscher sprechen auch vom “Krisenkult”. Der Instinkt sucht Nähe, Rituale, Ablenkung. Doch hier handelt es sich nicht um ein Volk, das beschwichtigt werden soll – sondern um eine politische Klasse, die sich selbst in Watte packt. Während draußen die Wähler zu Hunderttausenden der AfD zulaufen, simulieren drinnen die Verantwortlichen eine kleine Streicheltherapie.
Kunst als Schutzmantel
Man stelle sich vor, Kandinsky und Klee hätten im Dessauer Bauhaus einen „Materialtanz“ kreiert, in dem Funktionäre mit Handschuhen die eigene Panik massieren. Genau das geschieht nun hier: Kunst als Schutzmantel für die Hilflosigkeit einer Regierung. Und das ausgerechnet in einem Moment, da die Gesellschaft auseinanderdriftet, die Wirtschaft seit drei Jahren konstant schrumpft und das Vertrauen in sämtliche Institutionen zerbröselt. Statt Führung gibt es Wellness – was für ein Bild!
Ein Ministerpräsident, der sein Gesicht hinter einem orangefarbenen Handschuh versteckt, während seine Partei Richtung Bedeutungslosigkeit trudelt, ist ein Symbol, das stärker wirkt als jede Umfrage. Denn die Botschaft lautet hier: Wir haben nichts mehr anzubieten, außer Ringelpiez mit Anfassen. Die AfD muss gar nichts weiter tun, um zu wachsen. Ihre stärksten Wahlhelfer stehen in Dessau, tragen Handschuhe und streicheln sich den Frust von der Seele. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Hier wird nicht das Bauhaus gefeiert, sondern die Selbstaufgabe der CDU. Und der Therapeut liefert dazu den passenden Soundtrack.
Sinnbild des Untergangs
Die Pointe dieses absurden Schauspiels ist offensichtlich: Wer ernsthaft glaubt, man könne mit „Geborgenheitstanz“ den Aufstieg einer oppositionellen Partei stoppen, die auf die absolute Mehrheiten zusteuert, der kann genauso gut eine Séance zur Geisterbeschwörung abhalten. Politik wird hier endgültig mit Performance verwechselt. Man rettet sich in eine künstlerische Nische und glaubt, die Realität tanze mit.
Wahrscheinlich werden Historiker in ein paar Jahrzehnten diesen Handschuh-Moment als Sinnbild des Untergangs deuten. So wie Honecker 1989 noch den Siegeszug des Sozialismus beschwor, so massieren sich heute Ministerpräsidenten selbst das Gesicht. Statt die Bürger ernst zu nehmen, statt die Gründe für 39 Prozent AfD zu untersuchen, begnügt man sich mit symbolischer Selbstfürsorge – eben Ringelpiez mit Anfassen. Mehr fällt einem nicht mehr ein. Es ist ein absurder Witz. Bloß dass es sich hier nicht um einen Karnevalsverein handelt, sondern um die politische Klasse selbst, die sich in einem grotesken Totentanz auflöst – während draußen das Land kippt.
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