Meinung

Sachsen: Warum der Wendehals bleiben konnte

Sachsen: Warum der Wendehals bleiben konnte
Michael Kretschmer, Ministerpräsident in Sachsen

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer kann sich auf fünf weitere Jahre an der Macht einrichten. Das war sein Ziel. Der CDU-Politiker gilt als besonders rückgratloser Wendehals. 

von Günther Strauß

Wie zuvor schon in Brandenburg und Thüringen hat es das Parteienkartell mit BSW-Gehhilfen geschafft, die AfD als große Siegerin aller Wahlen im Osten der Republik von Regierungsverantwortung fernzuhalten. Michael Kretschmer gelang dies sogar ohne parlamentarische Mehrheit und mit einer Minderheitenkoalition.

Der Merkelianer

Kretschmer ist ein besonders unangenehmer Polit-Typus unserer Zeit. Mit gerade einmal 27 Jahren wurde er im Herbst 2002 in seinem Heimatwahlkreis Görlitz als Direktkandidat der CDU in den Bundestag gewählt. Es war der Beginn einer politischen Erfolgsgeschichte, die lange nur eine Richtung kannte: nach oben. Unter Kanzlerin Angela Merkel wurde der Sachse sogar stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Sein Erfolgsrezept: immer mit dem Strom schwimmen. Als 2011 das Aus für die deutschen Atomkraftwerke beschlossen wurde, votierte auch Kretschmer dafür. Und als Merkel im Herbst 2015 ihr „Wir schaffen das“ verkündete, waren von ihm keine Widerworte zu vernehmen.

Dann kam die Klatsche: Bei der Bundestagswahl 2017 verlor er sein Direktmandat in Görlitz, das er 2013 noch mit stolzen 49,6 Prozent gewonnen hatte, gegen den damals noch unbekannten Malermeister Tino Chrupalla. Kretschmer erzielte 31,4, der AfD-Kandidat 32,4 Prozent. Auch landesweit lagen die Blauen bei den Zweitstimmen mit 27,0 Prozent knapp vor der CDU mit 26,9.

Bei der folgenden Landtagswahl 2019 drohte der Union ein Debakel: Ihre Macht in dem Land, das sie seit 1990 als sichere Bastion gehalten hatte, war in Gefahr. An diesem christdemokratischen Tiefpunkt bot sich dann aber eine zweite Chance.

Unter dem Eindruck des katastrophalen CDU-Bundestagswahlergebnisses war nämlich der damalige Ministerpräsident Stanislaw Tillich im Oktober 2017 zurückgetreten und hatte als seinen Nachfolger jenen Michael Kretschmer vorgeschlagen, dessen politische Karriere vier Wochen zuvor beendet gewesen zu sein schien. Zwei Jahre blieben dem Stehaufmann, um die CDU im Freistaat wieder nach vorne zu bringen und die Landtagswahl 2019 zu gewinnen.

Emsiger Kämpfer

Und er packte die Gelegenheit beim Schopfe: Von der ersten Sekunde an warf er sich ins Gefecht, ohne Pausen. Bundesweit blickten seine Amtskollegen ehrfürchtig auf diesen Sachsen, für den sechs bis acht tägliche Termine mit Bürgerkontakt bis heute keine Seltenheit sind. Der Ministerpräsident tourt von Stadt zu Stadt und suggeriert den Menschen, sich ihrer Sorgen anzunehmen.

Bei der Landtagswahl am 1. September 2019 setzte sich Kretschmer dann recht deutlich durch, die CDU wurde mit 32,1 Prozent wie früher stärkste Kraft und ließ die AfD (27,5 Prozent) rund fünf Punkte hinter sich. Dass der Wahlsieger anschließend eine gemeinsame Regierung mit SPD und Grünen – statt mit der AfD, die immerhin zweistärkste Kraft geworden war, – formierte, sorgte allerdings gleich zu Beginn der neuen Legislaturperiode für scharfe Kritik.

Corona: Zickzack-Kretschmer

Jahre, geprägt von zahlreichen Krisen, sind seither vergangen. Als im März 2020 die ersten Corona-Beschränkungen ausgerufen wurden, waren die Maßnahmen im Freistaat zunächst zurückhaltender als in den meisten anderen Bundesländern. Der Regierungschef selbst nahm ohne Maske an Veranstaltungen teil und diskutierte dort mit Gegnern der Maßnahmen, was ihm in den Mainstream-Medien Kritik einbrachte. Er schien die Virus-Hysterie zunächst nicht mitzutragen.

Wäre Kretschmer – aus welchen Gründen auch immer – nicht Anfang 2021 plötzlich ins Lager der radikalen Corona-Jünger umgeschwenkt, wäre er aus der Fake-Pandemie als politischer Gewinner hervorgegangen. So brach jedoch ein Sturm der Entrüstung über ihn herein. Kein Wunder!

„Niemand wird in Deutschland gegen seinen Willen geimpft. Auch die Behauptung, dass diejenigen, die sich nicht impfen lassen, ihre Grundrechte verlieren, ist absurd und bösartig“, hatte der CDU-Politiker im Mai 2020 versprochen. Im Januar 2021 klang das plötzlich ganz anders „Die Impfpflicht einzuführen, ist eine Aufgabe für die Koalition in Berlin.“

Das war eine 180-Grad-Wende, die wie ein Brandbeschleuniger für die immer stärkeren Montagsproteste in Sachsen wirkte, zu deren personifiziertem Feindbild sich der Wendehals in dieser Zeit entwickelte.

Und er machte es den Protestlern leicht, diese Feindschaft auszubauen: Obwohl Kretschmer beispielsweise im Frühjahr 2021 die sogenannte Bundesnotbremse mit der Schließung von Schulen kritisierte, stimmte Sachsen im Bundesrat für das umstrittene Gesetz. Die Quittung folgte auf dem Fuße: Bei der Bundestagswahl im September 2021 erhielt die sächsische Union nur noch magere 17,2 Prozent der Zweitstimmen.

Mit der Eskalation des Russland-Ukraine-Konflikts im Februar 2022 erkannte Kretschmer eine neue Profilierungschance und sondierte die Stimmungslage im Volk – möglicherweise, um einen Fehler wie mit seinem Kurswechsel in der Corona-Politik zu vermeiden.

Als einer der wenigen in der CDU spricht er sich seither gelegentlich für Verhandlungen mit Putin aus und protestiert gegen die Lieferung schwerer Waffen an Kiew. Freilich, Konsequenzen haben seine Worte nicht, schließlich ist er Landespolitiker und weit von den außenpolitischen Entscheidungszentren entfernt. Doch wieder gelingt es ihm, Vox populi zu sein und Sympathien aufzubauen.

Mit den Grünen im Bett

Als im Herbst 2022 die Energiepreisproteste beginnen, startet der Ministerpräsident einen Feldzug gegen die Grünen, denen er (berechtigterweise) vorwirft, die Wirtschaft des Landes zu zerstören. Wieder applaudieren die Massen, zu denen er bei Kundgebungen spricht, die von CDU-nahen Unternehmerverbänden als eine Art Scheinopposition organisiert worden waren. Und vielleicht wären seine Aussagen sogar glaubwürdig, wenn Kretschmer nicht bis zuletzt ausgerechnet mit genau dieser grünen Partei in Sachsen zusammen regieren hätte.

Abends wetterte er in Talk-Shows  gegen ökosozialistische Planwirtschaftspolitik im Allgemeinen und gegen Habeck, und am nächsten Vormittag saß er wieder mit seinen grünen Ministern in der Staatskanzlei.

Ihm gelang es, durch populistische Ansprachen enttäuschte CDU-Wähler aus dem konservativen Milieu zurückzugewinnen. Am Ende landete die Kretschmer-CDU dann hauchdünn vor der AfD.

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