Meinung

War’s das schon für Friedrich Merz?

War's das schon für Friedrich Merz?
CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz

Nach rund einer Woche Sondierungen steht die SPD als Sieger da, während die Union noch nichts vorzuweisen hat. Es rumort schon in der CDU, die Enttäuschung ist groß.

von Max Roland

Einen „Politikwechsel“ hatte die Union im Wahlkampf versprochen – bisher sieht es eher nach einem Wechsel der Unionspolitik aus. Nachdem CDU und CSU gegen die Schuldenpolitik der Ampel zu Felde gezogen waren, verkündeten sie nach anderthalb Wochen das komplette Gegenteil dieser Rhetorik und machten den Weg frei für radikale Neuverschuldung. Merz sorgte für Irritationen, als er unglücklich formulierte: „Niemand von uns will die Grenzen schließen“. Kurzum: Das öffentliche Auftreten seit den Wahlen war, gelinde gesagt, nicht optimal. Der Kanzler in spe – er wackelt schon jetzt.

Noch sind die Sondierungen, geschweige denn die Koalitionsverhandlungen, nicht beendet – dennoch ist die Stimmung schon schlecht. Die Union steht wie ausgenommen da, und das offenbar nicht nur in der Öffentlichkeit. Merz und Dobrindt hatten auch vor der Unionsfraktion einen schlechten Stand: Als der bayerische Landesgruppenchef den 500-Milliarden-Fonds der SPD als Erfolg verkaufen wollte, wurde es im Saal laut. Die Abgeordneten sind entsetzt: Was sie ihren Wählern versprachen, womit sie Wahlkampf machten, scheint vergessen zu sein.

„Dieses Finanzpaket ist von unserer Seite einfach lausig verhandelt worden“, sagt ein Fraktionsmitglied gegenüber Welt. Ein Mitglied des Bundespräsidiums der CDU sagte derselben Zeitung resigniert: „Die Vereinbarung mit der SPD trägt nicht die Handschrift der CDU“. Dazu kommt: Bisher scheint die Union nur in Vorleistung gegangen zu sein, ohne dafür etwas zu bekommen.

SPD-Chef Lars Klingbeil bezeichnete das Sondervermögen Infrastruktur und die Aufweichung der Schuldenbremse am Mittwoch bei Maischberger als die Grundlage dafür, überhaupt in Sondierungen eingetreten zu sein. In der Vereinbarung vom Dienstagabend dominierte die SPD, Unions-Handschrift hatte sie nicht. Merz selbst trat irgendwo zwischen Sozialdemokrat und Robert Habeck auf und nannte Massenverschuldung eine Grundlage für Wirtschaftswachstum. Er ging auf Klingbeil zu. Der zeigt ihm die kalte Schulter.

Merz hat sich verkalkuliert und die Union in die schlechteste Position gebracht: „Das ist eine Kehrtwende, wie wir sie nur aus der Zeit von Angela Merkel kennen“, sagt ein erfahrener CDU-Abgeordneter. Ein anderer stellt fest: „Diesen Deal, mit Sondervermögen und Schuldenbremse, hätten wir vor Wochen und Monaten machen können.“ Jetzt sei man ganz „der SPD ausgeliefert“. Der Eindruck entstehe, dass die SPD ungleich durchsetzungsstärker als die Union sei, sagt ein CDU-Präsidiumsmitglied laut Welt.

So sieht das auch die SPD: Die ist in der bestmöglichen Position, hat ihr Entgegenkommen schon in der Tasche. Merz hat so viel Wert auf eine schnelle und reibungslose Regierungsbildung gelegt, dass er hinter seinen großen Ankündigungen – bis Ostern soll die Regierung stehen – nicht zurückbleiben kann. Die SPD hat ihn damit in der Hand, so scheint es zumindest. Die Sozialdemokraten sind, maßgeblich dank eines schlechten Wahlergebnisses der Grünen, der „Brandmauer“ zur AfD und der auch von der Union aus dem Bundestag gekegelten FDP, der einzig realistische und alternativlose Koalitionspartner.

Und sie haben nicht den Druck zur erfolgreichen Regierungsbildung, den Merz und die Union haben. Die SPD kann ihn vollkommen auflaufen lassen – und genau so scheint es. Zur Migration sagt Klingbeil bei Maischberger kühl: „faktische Grenzschließungen“ werde man nicht mitmachen. Und meint damit Zurückweisungen an den deutschen Grenzen – was Merz im Wahlkampf noch großspurig versprach. „Am ersten Tag“ seiner Amtszeit wolle er „im Wege der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers“ alle illegalen Migranten zurückzuweisen. Klingbeil lässt ihn eiskalt abblitzen.

Unmittelbar nachdem der CDU-Chef von einem zentralen Punkt seines Wahlkampfes abrückt, düpiert ihn die SPD. Und baut weiter Druck auf: Am Ende könnte ein Mitgliederentscheid der linken und frustrierten Basis noch mehr Druck erzeugen und das Scheitern der Koalition wie ein Damoklesschwert über Merz baumeln lassen. Der macht das vielleicht mit – aber was lässt sich die Union bieten?

Es rumort nicht nur in der Bundestagsfraktion. Die Junge Union schimpft und nennt die bisherigen Vereinbarungen mit der SPD einen „harten Schlag“, „weil die Botschaft ist: Lieber bequeme Schulden als unbequeme Reformen“. Und auch aus den Ländern gibt es deutliche Kritik. Manuel Hagel, Chef der CDU Baden-Württemberg, unterstreicht in einer Pressemitteilung schon, dass es weiterhin einen „echten Politikwechsel“ bräuchte – und drückt damit kaum verhohlen aus, dass man diesen bisher nicht erkennen könne.

Die Südwest-Union sieht sich schon gezwungen, Merz daran zu erinnern: „Die Menschen erwarten eine klare, neue Migrationspolitik. Illegale Migration muss gestoppt werden“ – man müsse die Grenzen effektiv schützen und Zurückweisungen an der Grenze „konsequent“ umsetzen. „Das ist und bleibt unsere klare Position als CDU“, gibt man Merz nochmals mit.

Sollte die SPD bei Migration nicht liefern beziehungsweise die Union keine relevanten Punkte durchsetzen können, droht Ärger: „Ohne echten Politikwechsel bei Migration, Wirtschaft und Staatsmodernisierung gibt es keinen Automatismus für eine Koalition mit der SPD“, stellt man drohend klar und fordert: „Eine Zustimmung zum Sondervermögen im Bundestag darf es deshalb nur geben, wenn die SPD dieses Gebot der staatspolitischen Vernunft anerkennt und diesen Weg mit uns gemeinsam bereit ist, zu gehen.“

Bei der Migration spitzt sich am Donnerstagabend die Situation zu: Die Unionsfraktion sei nicht bereit, eine Einigung mit der SPD ohne eine Migrationswende mitzutragen. Wenn man nichts Handfestes beim Themenkomplex illegale Zuwanderung erreiche, sei auch der Schulden-Deal mit der SPD tot, berichtet Bild und beruft sich dabei auf Informationen aus der CDU-Führung. Die Fraktion macht Druck: Merz und sein Team dürften auf keinen Fall von der Forderung zurückweichen, alle illegalen Migranten an der Grenze zurückzuweisen. Tun sie es doch, droht die Fraktion mit einem für die CDU sehr radikalen Schritt: ihrem Chef die Gefolgschaft zu versagen.

Ein Showdown, bei dem es um alles geht – nicht zuletzt um die schon beschädigte Glaubwürdigkeit von Friedrich Merz. Gerade aus konservativeren Kreisen der Union – wo man mal voll auf Merz gesetzt hatte – hört man Ernüchterung und Enttäuschung, gar Fatalismus. Den CDU-Chef schreibt manch ein ehemals engagierter Unterstützer schon heimlich ab. Schnell müssen Ergebnisse der Sondierungen stehen – und wenn das Verhandlungsteam um Merz und Söder nicht schnell Zufriedenstellendes präsentieren kann, wird es zunehmend schwer für die Parteiführung werden, das Brodeln in der Partei noch zu deckeln.

Für die Union geht es um das nackte Überleben. Lässt sie sich von der SPD vollends über den Tisch ziehen und holt keinen echten Politikwechsel, insbesondere bei der Migration, heraus, dann war es das mit der oft postulierten „letzten Chance“. Das weiß man auch bei CDU und CSU – dann marschiert die AfD endgültig durch und die Union erleidet das Schicksal vieler christdemokratischer Kräfte in Europa, die Marginalisierung. Entsprechend dünn sind die Nerven.

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