Meinung

Zollabkommen: Deutschland wird weiter ausgeplündert

Zollabkommen: Deutschland wird weiter ausgeplündert
US-Präsident Donald Trump traf die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen in Großbritannien.

Eine strahlende Ursula von der Leyen und ein lächelnder Donald Trump haben am vergangenen Sonntag von Trumps Golfplatz in Schottland aus ein Zollabkommen zwischen den USA und der EU verkündet. Keinem außer ihr selber dürfte klar sein, warum von der Leyen da so nett lacht, denn der ausgehandelte Deal ist nicht zum Lachen, sondern zum Weinen.

von Markus Brandstetter

Der französische Ministerpräsident François Bayrou, der sonst kaum jemals durch messerscharfe analytische Schlüsse auffällt, hat einmal recht, wenn er sagt: „Es ist ein düsterer Tag, wenn sich ein Bündnis freier Völker, das zusammenkam, um seine Werte zu bekräftigen und seine Interessen zu verteidigen, zur Unterwerfung entschließt.“ Das ist ziemlich bombastisch ausgedrückt, in der Sache aber zutreffend: Die EU unter von der Leyen hat sich in einem von Präsident Trump entfesselten Zollstreit kampflos unterworfen. Dieses Zollabkommen wird tiefgreifende Auswirkungen sowohl auf die Wirtschaft der EU, insbesondere aber auf die Deutschlands, haben.

Zu fragen ist deshalb: Was steht in dem Zollabkommen überhaupt drin? Und was werden die Auswirkungen auf Deutschland sein? Wir beginnen mit dem Inhalt. Das steht in dem Deal drin: Der gestern verkündete US-EU-Handelsdeal sieht einen pauschalen US-Zollsatz von 15 Prozent auf nahezu alle europäischen Exporte in die USA vor – ein drastischer Anstieg gegenüber dem bisherigen Durchschnitt von 4,8 Prozent. Im Gegenzug verpflichtet sich die EU, in den kommenden drei Jahren für 750 Milliarden Dollar amerikanische Energieprodukte zu kaufen und zusätzlich 600 Milliarden Euro in den USA zu investieren, vor allem in Militärgüter. Einige strategische Produkte wie Flugzeuge, Chips oder kritische Rohstoffe bleiben zollfrei. Die besonders hohen US-Zölle auf Stahl (50 Prozent) bleiben zunächst bestehen, ein künftiges Quotensystem ist nur vage in Aussicht gestellt.

Das industrielle Tafelsilber für den Export wurde verscherbelt

Kernelement des Zoll-Deals ist selbstverständlich der 15-Prozent-Basistarif, der ab sofort auf einen Großteil der EU-Warenausfuhren in die USA – unabhängig vom Produkt – entfällt. In der Hauptsache sind davon diese Warengruppen betroffen: Autos, Autoteile, Maschinen, Chemikalien, Pharmazeutika, Textilien, Lebensmittel, Konsumgüter, Industrieprodukte. Von der Fertigungstiefe her sind das die Kronjuwelen insbesondere der deutschen Exportgüter, die von den ersten Vorstufen bis zum Endprodukt eine hohe Wertschöpfung erzeugen. Dies sind die Produkte, die die deutsche Industrie, damit die europäische Wirtschaft und in der Verlängerung natürlich Löhne, Gehälter, Wohlstand und Steueraufkommen treiben. Dieses industrielle Tafelsilber für den Export wird nun gegenüber Käufern in Amerika ab sofort mit einem Preisaufschlag von 15 Prozent belegt – einem Preisaufschlag, der jetzt zwei Auswirkungen hat.

Einmal kann der von den deutschen Exporteuren absorbiert werden. Das bedeutet: Wer bislang ein Produkt mit einem Verkaufspreis von 1.000 Euro in die USA exportiert und damit 200 Euro verdient hat, senkt den Preis jetzt auf 850 Euro, um seine amerikanischen Kunden nicht zu verlieren – und verdient dann halt nur noch 50 Euro. Wenn das aber nicht funktioniert, was meistens der Fall sein wird, dann erhöht er den Preis für seinen amerikanischen Kunden auf 1.150 Euro – mit dem Risiko, dass er jetzt im Markt zu teuer ist und Kunden und Marktanteile zum Beispiel an asiatische Anbieter verliert. Beide Fälle sind für deutsche Unternehmen extrem ungünstig und mit erheblichen Konsequenzen verbunden. Aber das ist noch lange nicht alles, was in diesem Zoll-Deal steht, denn darin gibt es weitere Punkte, deren Ausgestaltung mehr als vage ist.

Vollkommen unklar ist bis jetzt die Verpflichtung der EU, 2026 bis 2028 für insgesamt 750 Milliarden Dollar US-Energieprodukte zu kaufen, womit hauptsächlich Flüssiggas, Erdöl und Kernbrennstoff gemeint sind. Der erste Stolperstein hierbei ist die Abnahmeverpflichtung für etwa 180–200 Milliarden m³ LNG (liquefied natural gas) über drei Jahre – also rund 60–70 Milliarden m³ jährlich. Diese Vereinbarung kollidiert mit langfristigen Lieferverträgen zwischen Deutschland und dem Scheichtum Katar, die vorsehen, dass Katar jährlich über 2 Millionen Tonnen LNG nach Brunsbüttel liefert. Diese neue Zollvereinbarung verpflichtet die EU nun de facto dazu, mehr als die Hälfte ihres künftigen LNG-Bedarfs aus den USA zu decken. Das ist eine vollkommen neue Größenordnung.

Noch unklarer ist, was mit den von der EU vertraglich versprochenen 600 Milliarden US-Dollar an Investitionen in den USA eigentlich gemeint ist. Hier liegt ein vager Schwerpunkt auf Energie, Rüstung und Technologie – aber ohne konkrete Projektlisten, Laufzeiten oder Durchführungszusagen.

Die deutsche Autoindustrie trifft es hart 

Wie ungünstig der neue Zoll-Deal für die deutscheste aller deutschen Industrien ist, nämlich für die Kfz-Hersteller, lässt sich an einem Beispiel sofort aufzeigen: Bis März 2025 betrugen die amerikanischen Importzollsätze auf deutsche Autos 2,5 Prozent (und 25 Prozent bei SUVs). Im April wurden sie dann von Trump auf 25 Prozent erhöht, um jetzt durch den Trump-von-der-Leyen-Deal schließlich bei 15 Prozent zu liegen. Wer glaubt, dass das noch einigermaßen verkraftbar sei, der muss wissen, dass die operative Marge von BMW beim 3er lediglich bei etwa 5 bis 7 Prozent liegt. Es liegt also auf der Hand, dass BMW mit dem Export des 3er in die USA unter einem Zollregime von 15 Prozent nur noch einen geringen Ertrag erzielt – wenn überhaupt. Auch der von Trump von so gut wie allen Staaten der Welt verlangte Baseline-Zolltarif von 15 Prozent ist also für viele Exportländer ein echter Gamechanger.

Bezogen auf die gesamte deutsche Industrie wird das gestern verabschiedete Zollabkommen erhebliche Auswirkungen haben: Der neue 15-Prozent-Zoll auf europäische Industrieprodukte dürfte besonders die deutsche Autoindustrie hart treffen. Deutsche Hersteller exportieren jährlich rund 500.000 Fahrzeuge in die USA. Durch die zusätzlichen Zölle würde ihr Preisvorteil gegenüber amerikanischen Wettbewerbern weitgehend verschwinden, was zu einem Umsatzeinbruch in Milliardenhöhe führen dürfte – insbesondere bei BMW, Mercedes und VW. Einige Hersteller könnten gezwungen sein, ihre Produktion noch stärker in die USA zu verlagern, etwa in bestehende Werke wie Spartanburg (BMW). Auch die Zulieferindustrie wäre massiv betroffen: Mittelständische Betriebe aus Maschinenbau, Metallverarbeitung und Elektronik, die eng in globale Lieferketten eingebunden sind, wären von Auftragsrückgängen der großen OEMs unmittelbar betroffen. Ganze Industriecluster in Baden-Württemberg, Bayern oder Niedersachsen könnten darunter leiden. Schließlich stehen auch Chemie- und Maschinenbauunternehmen wie BASF, Bayer, Siemens oder Trumpf unter Druck. Der Zollnachteil gegenüber US-amerikanischen und asiatischen Wettbewerbern könnte sie Marktanteile kosten – in einem ihrer wichtigsten Absatzmärkte. In der Folge drohen auch hier Exporteinbußen von 10 bis 15 Prozent.

Makroökonomisch dürfte der neue Zoll-Deal Deutschland spürbar treffen. Die Gesamtexporte in die USA könnten um 10 bis 20 Milliarden Euro pro Jahr zurückgehen. Für die Wirtschaftsleistung insgesamt würde das ein Minus von etwa 0,3 bis 0,5 Prozentpunkten beim BIP bedeuten – ein Rückschlag, der besonders in einer ohnehin schwachen Konjunkturphase ins Gewicht fällt. Die Automobilproduktion könnte um 8 bis 12 Prozent einbrechen, die Auftragseingänge im Maschinenbau um 5 bis 10 Prozent zurückgehen. Mittel- bis langfristig ist auch mit einem erheblichen Beschäftigungsverlust zu rechnen: In den betroffenen Industriezweigen stehen 50.000 bis 100.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel.

Trump wird unterschätzt

Wenn all das so ist, wenn jeder Volkswirt mit Computer und Internetzugang sich die Auswirkungen der trumpschen Politik der hohen Zölle ausrechnen könnte – warum hat dann kein Mensch etwas dagegen unternommen? Wenn Trumps Zölle, auch wenn sie „nur“ 15 Prozent betragen, Wirtschaft, Wachstum und Industrieproduktion in der ganzen EU, insbesondere aber in Deutschland, massiv in Mitleidenschaft ziehen – warum hat dann kein Mensch etwas dagegen getan? Drei Gründe, scheint es mir, gibt es dafür:

  1. Trump wurde und wird immer unterschätzt. Berufspolitikern, Grünen, Linken, aber natürlich auch SPD und CDU/CSU gilt Trump seit jeher als ein wild gewordener Cowboy-Politiker, der so extrem, so anders und so bizarr ist, dass man sich am besten gar nicht mit ihm abgibt oder ihn noch besser ignoriert. Schon im Juni letzten Jahres war es aufmerksamen Beobachtern klar, dass Trump die Wahl gewinnen und nochmals Präsident werden würde. Klar war auch, dass er dann all die Fehler aus seiner ersten Amtszeit vermeiden und vollkommen anders durchregieren würde. Offensichtlich war auch, dass er und sein Team während der vier Jahre in der Wildnis („in the wilderness“), wie die Amerikaner das nennen, detaillierte Pläne erarbeiteten, wie eine zweite Amtszeit aussehen würde – und da spielte eine radikal neue Zollpolitik eine wesentliche Rolle.
  2. Die europäischen NATO-Staaten haben seit Jahrzehnten zu wenig in ihre Verteidigung investiert und sich immer auf den atomaren, aber auch konventionellen Schutzschirm der Amerikaner verlassen, nach dem Motto: Wenn wirklich etwas passiert, dann kommt die US Army. Diese jahrzehntelange Vernachlässigung hat Trump einen starken Hebel gegeben, den Europäern mehr und mehr Zugeständnisse abzuzwingen – mit dem Hinweis: Sonst seid ihr, wenn Putin kommt, auf euch allein gestellt.
  3. Trump ist seit Jahrzehnten ein Gegner des Freihandels und war bereits in den 1980er Jahren für hohe Schutzzölle, als die weltweiten Niedrigzölle der World Trade Organization, die zu Beginn des Jahrtausends ihren Tiefpunkt erreichten, noch gar nicht in Kraft waren.

Hätten deutsche Politiker, die Mainstreammedien und all jene Experten, die immer erst nachher wissen, wie der Hase lief – aber nie vorher – das rechtzeitig erkannt, dann hätte die EU Trump anders begegnen können. Aber jetzt ist es zu spät. Trump sitzt innen- und außenpolitisch überall am längeren Hebel. Zeit, sich darauf einzustellen.

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