Deutschland

Deutschland wird NATO-Drehscheibe

Deutschland als NATO-Drehscheibe: Bundeswehr verhandelt mit Logistikunternehmen
Weil Deutschland an sieben NATO-Staaten grenzt, würden alle Transportrouten an die NATO-Ostflanke über deutschen Boden führen.

Weil Deutschland an sieben NATO-Staaten grenzt und alle Transportrouten an die Ostfront über deutschen Boden führen, steht bei den Kriegsvorbereitungen gegen Russland nun vermehrt die Infrastruktur des Flug- und Landverkehrs im Fokus. Dabei sollen die Deutsche Bahn und die Lufthansa in die Pläne der Bundeswehr eingebunden werden. Ein klarer Bruch des Grundgesetzes.

von Manfred Ulex

Die Tageszeitung „Handelsblatt“ berichtet über Verhandlungen zwischen der Bundeswehr und zivilen Logistikunternehmen, um im Nato-Bündnisfall die eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. (22. April) Hintergrund ist, dass Deutschland zwar die „logistische Drehscheibe“ der Nato in Westeuropa darstelle, die Bundeswehr über die nötigen Fähigkeiten und Kapazitäten aber nicht verfüge und auf „zivilgewerbliche Leistungserbringer“ angewiesen sei, wie das Operative Führungskommando Bundeswehr zitiert wird. Laut Jannik Hartmann von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) müsse Deutschland „ab 2025 in der Lage sein, innerhalb der ersten 30 Tage eines Bündnisfalls 30.000 Soldatinnen und Soldaten sowie 85 Schiffe und Kampfflugzeuge zu entsenden.“

Im Hinblick auf die militärische Nutzung des Schienennetzes liege laut Aussage eines anonym bleibenden Bundeswehroffiziers, den das „Handelsblatt“ zitiert, die „Planung und Durchführung der Transporte zu 100 Prozent bei der Bahntochter DB Cargo“. Die Nato-Strategie „New Force Model“ fordere den gleichzeitigen Transport mehrerer Brigaden. DB Cargo könne heute nur ein Viertel der benötigten Waggons bereitstellen. Darüber hinaus fehlten Dieselloks, die unabhängig vom gefährdeten Stromnetz funktionieren. Während die Bundeswehr mit der Deutschen Bahn einen Vorhaltevertrag abgeschlossen habe, der ihr den Zugriff auf eine bestimmte Kapazität zusichere, fehle ein solcher mit der Lufthansa.

Daher sei es fraglich, ob im Bündnisfall ausreichend Flugpersonal gestellt werden könne. Brancheninformationen zufolge würden bereits Gespräche geführt, ob die Flugschule von Lufthansa die Grundausbildung der Kampfjet-Piloten übernehmen könnte. Deutschlands größter Airline-Konzern trainiere laut „Handelsblatt“ bereits auf dem Flugplatz Rostock-Laage Drohnenpiloten der Bundeswehr. Auch über die Instandhaltung von Kampfjets oder Hubschraubern wird mit der Konzerntochter „Lufthansa Technik“ verhandelt.

Das „Handelsblatt“ weist auch auf mögliche Schwierigkeiten derartiger Verhandlungen hin: Für börsennotierte Konzerne wie Lufthansa gälten strenge Transparenzauflagen bei wichtigen Geschäftsentscheidungen. Die Bundeswehr hingegen sei an Geheimhaltung interessiert. Doch „angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine und der Sorge, dass US-Präsident Donald Trump die Schutzzusagen der Nato im Angriffsfall zurückzieht“, zweifle auch bei den Unternehmen niemand mehr daran, „dass den Streitkräften geholfen werden muss“. Das Magazin Multipolar hatte im März über die Bereitschaft von Unternehmen berichtet, „sich Richtung Verteidigungswirtschaft zu transformieren“.

Das „Handelsblatt“ macht auf ein weiteres Problemfeld aufmerksam: Die Versorgung der Nato-Militärjets mit Kerosin sei bis heute ungeklärt. Wegen der Vorgaben des Zwei-plus-vier-Vertrags seien die Kerosinpipelines nur auf westdeutschem Gebiet verlegt. Laut einem „n-tv“-Bericht (22. Februar) plant die Nato den Bau eines Pipelinesystems von Deutschland nach Polen und Tschechien. Etwa 20 bis 25 Jahre soll das Bauvorhaben dauern, jedoch soll die Pipeline selbst „größtenteils“ schon 2035 fertig sein. Die Trasse verlaufe unter mehreren Flüssen und führe durch Wasser- und Naturschutzgebiete.

Die Funktion Deutschlands als Nato-Drehscheibe betrifft auch die Transporte und Versorgung von Verwundeten. Die Bundeswehrkrankenhäuser seien nach Meinung von Bundeswehrärzten dafür nicht ausreichend. Der stellvertretende Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Norbert Weller, sagte im Interview mit der „Zeit“ (25. März): „Wir müssen im Ernstfall, im Verteidigungsfall, mit einer sehr großen Zahl von Verletzten pro Tag rechnen. Daher kommen wir nicht darum herum, die zivilen und militärischen Strukturen besser zu vernetzen – um auf diesen möglichen Fall vorbereitet zu sein.“ Der „Frankfurter Allgemeinen“ sagte Generalstabsarzt Johannes Backus, die Unterstützung der Bundeswehr durch zivile Krankenhäuser müsse „organisatorisch, technisch, digital“ erfolgen. (18. März)

Die Informationsstelle Militarisierung (IMI) aus Tübingen kritisiert die wachsende Vermischung von zivilen und militärischen Strukturen, wie sie auch aus dem Koalitionsvertrag hervorgeht. Dieser sehe eine Strategie vor, „die die Fragen der zivilen und militärischen Luftfahrtindustrie sowie die Stärkung des Luftverkehrsstandortes zusammendenkt“. Zudem sei geplant, die militärischen Belange „als überragendes öffentliches Interesse festzuschreiben und in der Umsetzung gegenüber anderen staatlichen Aufgaben zu priorisieren.“ Vertreterinnen des „Vereins demokratischer Ärzt*innen“ kritisieren in der Monatszeitung „analyse & kritik“ die „weitreichende Einbindung des zivilen Gesundheitssystems unter Führung der Bundeswehr“. Sie betonen: „Die Interessen von Zivilbevölkerung und Militär sind nicht deckungsgleich.“ Die „Nachdenkseiten“ geben zu bedenken, die zivil-militärische Zusammenarbeit im Vorfeld eines Bündnisfalles sei vom Grundgesetz nicht gedeckt und stelle einen „Verfassungsbruch“ dar.

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