Deutschland

Die höflichen Absetzbewegungen der „Anzugträger”

Die höflichen Absetzbewegungen der „Anzugträger”
Auf dem absteigenden Ast: Friedrich Merz (CDU)

In der aktuellen Insa-Umfrage ist die AfD zur größten deutschen Partei aufgestiegen. Einer der Gründe dürfte der beängstigende wirtschaftliche Niedergang des Landes sein. Noch höflich im Ton aber in seltener Einigkeit stellen Verbände, Unternehmen, Mittelstand und Wirtschaftsforschungsinstitute der Regierung schlechte Zeugnisse für Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik aus.

von Peter Winnemöller

Nach dem neusten INSA-Meinungstrend  setzt sich die AfD mit 27 Prozent immer weiter von CDU/CSU ab – und Die LINKE schickt sich an, die Grünen zu überholen. Die desaströse wirtschaftliche Lage des Landes dürfte diesen Trend weiter befeuern.

Die verhängnisvolle Politik, die uns in diese Situation gebracht hat,  wird inzwischen auch aus eher höflichen und um Ausgleich bemühten Wirtschaftskreisen immer deutlicher kommuniziert.  Gleich wohin man sich dreht und wendet, die Kritik der deutschen Ökonomen, wie auch der Unternehmensverbände reißt nicht ab. Im Fokus ist dabei die gesamte Bandbreite aller wirtschafts- und finanzpolitischen Pläne und Maßnahmen der Regierung. Die wirtschaftliche Lage im Land ist nicht nur angespannt, man kann von einer veritablen Krise reden. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) zeichnet ein geradezu düsteres Bild der wirtschaftlichen Lage. BDI-Präsident Peter Leibinger sieht den Standort massiv unter Druck, wie er der Deutschen Presse-Agentur (dpa) mitteilte. Er sprach von einer historischen Krise. Für das laufende Jahr rechnet der Verband mit einem mit einem Rückgang der Produktion um zwei Prozent. Damit wäre das Jahr 2025 das vierte Jahr in Folge mit einem Rückgang der Industrieproduktion. Leibinger stellte klar, dass es sich hier nicht um eine konjunkturelle Delle handele, sondern um einen strukturellen Abstieg. Der BDI-Präsident sieht Deutschland im freien Fall. Von der Regierung forderte er eine „wirtschaftspolitische Wende mit klaren Prioritäten für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum“. 

Auch der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagebau (VDMA) äußerte sich kritisch zur Wirtschaftspolitik der Regierung. „Wir fragen uns, wann kriegen die vom Wähler mit einem Regierungsmandat ausgestatteten Parteien notwendige Reformen und eine Strategie für dieses Land auf den Weg?“, so der Präsident des VDMA, Bertram Kawlath, gegenüber dem „Deutschlandfunk“. Zwar vermerkte der VDMA ein plus beim Auftragseingang im Maschinenbau im Oktober um real 4 Prozent zum Vorjahr. Als Impulsgeber nannte der Verband das Nicht-Euro-Ausland. So erfreulich das Wachstum sein mag, bedeutet es doch nur eine Konsolidierung auf niedrigem Niveau. Oliver Richtberg, ebenfalls VDMA hatte schon vor einigen Tagen gegenüber der Financial Times angemerkt, die Unternehmen könnten den aktuellen Stand der Beschäftigung nicht mehr aufrechterhalten, selbst wenn sie es wollen. Auch die Wirtschaftsforschungsinstitute haben seit langer Zeit keine guten Nachrichten mehr. Die Arbeitslosenquote seit 2022 von 5,1 auf 6,3 Prozent gestiegen. Sie befindet sich somit auf den höchsten Stand seit 14 Jahren. Die jüngsten Zahlen des Ifo Instituts in München weisen darauf hin, dass die Unternehmer vorwiegend pessimistisch in die Zukunft schauen. Ifo-Präsident Clemens Fuest stellte im „Wall Street Journal“ fest, sie hätten wenig Vertrauen auf einen baldigen Aufschwung.

Die negative Sicht der Unternehmer hat ihre Wurzel in der Politik. Hatte Bundeskanzler Friedrich Merz im Sommer vollmundig den „Herbst der Reformen“ angekündigt, so erleben wir nun den Winter der Resignation. Die CDU und die Sozialdemokraten finden sich in einen Endlos-Renten-Streit, der gerade eine starke Tendenz zum Bruch der schwarz-roten Koalition aufweist. Genau dieser Rentenstreit ist ein weiterer Punkt der Kritik von Verbänden und Instituten. Bei einem Weiter-so in der Rentenpolitik sieht der Leiter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) für 2030 sogar die Staatspleite voraus. Die INSM zeigt auf ihrer Webseite an zehn Fakten mit Schaubildern, wie sich die Pläne der Regierung auswirken würden. Allein die Kosten sind erschreckend. Das von der Regierung geplante Rentenpaket werde den Bundeshaushalt im Zeitraum bis 2050 mit insgesamt 479,1 Milliarden Euro zusätzlich belasten. Damit wäre das gesamte Volumen des Sondervermögens für Infrastruktur und Klimaneutralität bereits aufgebraucht, stellt die Initiative fest. 

Der Tenor der Wirtschaftsfachleute entspricht dem der Jungen Union

Die Kritik am Rentenpaket der Regierung wird dem Grunde nach von Ökonomen wie von Wirtschaftsverbänden durchgängig geteilt. Der Sachverständigenrat Wirtschaft, die sogenannten Wirtschaftsweisen, sehen die Rente ebenfalls in einer Sackgasse und schlagen eine radikale Wende vor. Sie postulieren in einem Arbeitspapier vom vergangenen Freitag nicht weniger als den Neustart der privaten Altersvorsorge in Deutschland. Dieser soll über ein staatlich gefördertes Vorsorgedepot nach schwedischem Vorbild organisiert werden. Eine Vergleichbarkeit ist gegeben und möglich, da auch das schwedische Rentensystem auf drei Säulen steht. Es gibt eine staatliche Rente, ferner die Betriebsrenten sowie eine freiwillige private Vorsorge. Ähnlich äußerte sich Ende der vergangenen Woche die Ökonomin Veronika Grimm, die dem Sachverständigenrat Wirtschaft angehört. Auch für sie geht die Reform in eine falsche Richtung, weil die Ausgaben zu hoch seien. Der Tenor der Wirtschaftsfachleute deckt sich mit der Position der Gruppe der jungen Abgeordneten in der CDU.

Selbst die zur CDU gehörige Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) zeichnet in ihrem gestern erschienen Konjunkturbrief ein eher düsteres Bild: „Im Herbst wurde der Aufschwung ausgebremst“, stellt die MIT fest. Entgegen den Instituten sieht die MIT 2025 als Wachstumsjahr, konstatiert jedoch, die Sorgen im Mittelstand bleiben gewaltig. Lohndruck setze den Unternehmen zu, da Preise und Absatz auf der Stelle träten. Bei der Staatsquote habe Deutschland die skandinavischen Länder überholt. Als Makaber sieht die MIT, dass einzig Rechtsberatungen und Steuerbüros Personal aufbauten. Die Industrie hingegen verlagere im großen Stil Stellen ins Ausland. Die Politik, so das Fazit, müsse dem Staat dringend eine Diät verordnen und Lohnkosten, Steuerbelastung und Bürokratie in den Griff bekommen. Wenn schon die CDU-nahen Unternehmer ein so düsteres Bild an die Wand werfen, wo soll dann noch Licht sein? 

Nun ist es gute Praxis einer Unternehmermentalität, die kleine Kerze inmitten der Finsternis zu suchen. Insofern konstatiert BDI-Präsident Peter Leibinger, dass erste Initiativen der Bundesregierung zwar erkennbar seien. Immerhin! Doch diese, so dämpft der Industrielle, reichten seiner Einschätzung nach nicht aus, um Unternehmen spürbar zu entlasten. Damit dürfte der Industriepräsident auf Steuererleichterungen für Unternehmen sowie die wenigen bürokratischen Erleichterungen angespielt haben, die in Tat völlig unzureichend sind. 

Ein erkennbares Licht in der Finsternis der Regierung sind die Initiativen von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche. Diese hat in ihrem Ministerium den Mittelstandsbeirat neu gegründet. Die konstituierende Sitzung fand am gestrigen Montag statt. Im Rahmen der Sitzung, so die Webseite des Ministeriums, diskutierte Ministerin Reiche mit mittelständischen Unternehmen, die die Breite des modernen Mittelstands in Deutschland repräsentieren. Die Ministerin bemüht sich als einsame Streiterin in der Krisenkoalition um die Belange der Wirtschaft. Einen ersten Impuls setzte sie mit einem ersten Wirtschaftspolitischen Symposium unter dem Titel „Soziale Marktwirtschaft in Zeiten des Umbruchs – Freiheit, Wachstum und Resilienz“. In der Gesamtschau des wirtschaftspolitischen Handelns der gegenwärtigen Bundesregierung ist die Ministerin ein positiver Ausreißer, deren lobenswertes Bemühen vermutlich auch dann beschwerlich bis vergeblich bleiben dürften, wenn die Koalition diese Woche überlebt. Ein solches Überleben wird aber leider nur ein Überleben im Rettungsboot auf stürmischer See sein, denn die Wirtschaftsprobleme des nicht zu lösen, ist toxisch für jede Regierung.

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