Deutschland

Drakonische Strafen im Ausland – Kuscheljustiz in Deutschland?

Drakonische Strafen im Ausland – Kuscheljustiz in Deutschland?
Drakonische Strafen und Kuscheljustiz: Das französische Vergewaltigungsopfer Gisèle Pelicot, der Messerstecher von Aschaffenburg, Enamullah O., und der Southport-Mörder Axel Rudakubana.

52 Jahre für den Mädchenmord in England, 30 Jahre für versuchten Mord in Frankreich. Und in Deutschland? Erst kommt der Aschaffenburg-Killer in die Psychiatrie und jetzt auch der AfD-Attentäter aus Mannheim. Wie kann das sein?

von Frank Hauke

Jeder Fall liegt anders. Aber es ist offensichtlich, daß aktuelle Urteile in den Nachbarländern viel härter ausfallen als in Deutschland. Was ist dran am Vorwurf der hiesigen Kuscheljustiz? Am Mittwoch erklärte das Landgericht Mannheim einen 25jährigen für schuldunfähig, der im Juni den 62jährigen AfD-Politiker Heinrich Koch während des Europa-Wahlkampfs in Mannheim mit einem Cuttermesser verletzt hatte.

Auch der Afghane, der am Mittwoch vergangener Woche in Aschaffenburg das zweijährige Kind sowie einen 41jährigen Familienvater bestialisch tötete und schon vorher mit einer Messerattacke aufgefallen war, muß nicht ins Gefängnis. Enamullah O. kam erneut in die Psychiatrie. Wegen anderer Gewalt- und Betrugsdelikte hätte er zur Tatzeit eigentlich im Gefängnis sitzen müssen, wurde kurz behandelt und lief dann wieder frei herum.

Denn er trat die Strafe nicht an, niemand vollstreckte einen Haftbefehl, und so konnte der abgelehnte Asylbewerber das Massaker verüben. Auch dafür muß er bisher nicht in U-Haft, sondern wird erneut psychiatrisch behandelt. Im Moment erscheint es nicht unwahrscheinlich, daß auch er wegen einer Erkrankung für schuldunfähig erklärt und niemals wegen des Verbrechens verurteilt wird.

20 Jahre Haft im Fall Gisèle Pelicot

Derweil machen Urteile aus Frankreich und Großbritannien Schlagzeilen, in denen Gerichte drakonische Strafen aussprechen und Kuscheljustiz ganz weit weg ist. Der Franzose, der seine frühere Frau Gisèle Pelicot unter Drogen gesetzt und zur Vergewaltigung angeboten hatte, muß nach einem aufsehenerregenden Verfahren für 20 Jahre in Haft. In Deutschland endeten Prozesse gegen Migranten wegen Gruppenvergewaltigungen dagegen nicht selten mit Bewährungsstrafen.

Anderes Beispiel aus Frankreich: Der Pakistaner, der in Paris 2020 zwei Menschen mit einem Beil schwer verletzte, die er fälschlicher Weise für Mitarbeiter des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ hielt, bekam vorigen Freitag 30 Jahre wegen versuchten Mordes. Bei einem nicht vollendeten Tötungsdelikt ist es auch in Deutschland grundsätzlich möglich, eine lebenslange Freiheitsstrafe von höchstens 15 Jahren zu verhängen, kommt in der Praxis jedoch nur selten vor. Erst recht dann nicht, wenn ein Täter, wie im Frankreich-Fall, vor Gericht Reue zeigt.

52 Jahre für Southport-Mörder

Ein weiteres Beispiel: In England muß Axel Rudakubana, der in Southport im vergangenen Sommer als 17jähriger drei kleine Mädchen beim Taylor-Swift-Tanzkurs ermordete, für mindestens 52 Jahre hinter Gittern, wie ein Gericht ebenfalls vergangene Woche urteilte. In England und Wales kann eine lebenslängliche Strafe tatsächlich bedeuten, daß ein Täter den Rest seiner Tage im Gefängnis verbringen muß – auch, wenn er minderjährig ist.

Solch lange Strafmaße sind in Deutschland lediglich möglich, wenn das Gericht die „besondere Schwere der Schuld“ erkennt. Diese kann nur bei lebenslangen Freiheitsstrafen nach Erwachsenenstrafrecht verhängt werden. Sie bedeutet, daß die Täter nicht – wie sonst üblich – nach 15 Jahren wieder freigelassen werden. Ein 17jähriger Mörder – wie in England – wird in Deutschland jedoch grundsätzlich nach Jugendstrafrecht abgeurteilt. Hier liegt die Höchststrafe bei zehn Jahren. Aber selbst die wird nicht immer ausgeschöpft.

Kuscheljustiz? Acht Jahre für Mord von Kandel

18 bis 21 Jahre alte Täter gelten hierzulande als Heranwachsende. Bei ihnen hat das Gericht die Wahl, ob es nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht urteilt, entscheidet sich aber meist für die mildere Variante. Der Afghane, der 2017 in Kandel seine 15jährige Ex-Freundin Mia erstochen hatte, erhielt achteinhalb Jahre. Sein Alter wurde nie geklärt. Er behauptete, 15 zu sein. Ein gerichtliches Gutachten kam zu dem Schluß, daß der abgelehnte Asylbewerber zur Tatzeit wahrscheinlich 20 Jahre alt war. Inzwischen hat er sich im Jugendknast erhängt.

Warum fallen die Urteile oft so milde aus? Resozialisierung der Täter geht nach deutschem Rechtsverständnis vor Bestrafung – von Kritikern wird das oft als „Kuscheljustiz“ bezeichnet. Die Mörder sollen – falls sie ins Gefängnis oder auch in die Psychiatrie kommen – bessere Menschen werden und eine zweite Chance erhalten. Sie sollen auch auf das Leben in Freiheit vorbereitet und ungefährlich für ihre Umwelt werden.

Das gelingt nicht immer, wie die Rückfallquoten zeigen. Und erst recht gelingt es nicht immer, Gewalttäter zum Schutz der Allgemeinheit wegzusperren, wie das schon fast regelmäßig vorangestellte Adjektiv „polizeibekannt“ bei vielen Messerattentätern zeigt. Oft sind sie einschlägig aktenkundig. Heißt: Sie sind bereits mit ähnlichen Attacken aufgefallen, ohne daß sie ins Gefängnis mußten.

Lebenslänglich bedeutet 15 Jahre

Deutschland liegt mit den 15 Jahren, die einer lebenslangen Strafe für Erwachsene entsprechen, im unteren Bereich der europäischen Länder. In Polen kann eine solche Strafe frühestens nach 25 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden, in Frankreich nach maximal 30 Jahren.

Sechs Europarat-Staaten kennen überhaupt keine Aussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe: Island, Litauen, Malta, die Niederlande, Serbien und die Ukraine. Hier gibt es nur die Möglichkeit der Begnadigung. In Deutschland übernehmen dies de facto oft schon von Beginn an die Gerichte, indem sie Bewährungsstrafen verhängen.

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