Deutschland

Wie die Pandemie-Paniker das Land zum Stillstand brachten

Wie die Pandemie-Paniker das Land zum Stillstand brachten
Jens Spahn und Lothar Wieler am 25. Februar 2020 auf dem Flug nach Rom zu einem Krisentreffen mit EU-Gesundheitsministern

Erstmals veröffentlichte Protokolle aus dem RKI zeigen, wie plötzlich die „Pandemie“ über Deutschland kam. Daraus wird klar: Die im März 2020 verkündete Verschärfung der Risikobewertung von „mäßig“ auf „hoch“ – Grundlage sämtlicher Lockdown-Maßnahmen und Gerichtsurteile dazu – gründete, anders als bislang behauptet, nicht auf einer fachlichen Einschätzung, sondern auf der Anweisung eines einzelnen politischen Akteurs.

von Matthias Nikolaidis

Viele werden sich noch an den Februar 2020 erinnern können. Man saß nichtsahnend im Café oder im Restaurant an der Ecke, hatte vielleicht die Zeitung gelesen, aber keinen Anlass für eine grundlegende Änderung der eigenen Lebensweise darin gefunden. Genauso ging es auch den anderen Gästen. Der Verfasser kann sich noch gut an einen Besuch bei einem Thailänder in Braunschweig wohl Ende Februar 2020 erinnern, als zwei Damen am Nachbartisch sich über die neueste Atemwegserkrankung unterhielten und die aufkommenden Warntöne aus der Politik ziemlich einhellig als Panikmache abtaten. Ihr Besuch im normal gefüllten Lokal belegte es: Keine Sorge hatte sich ihrer bemächtigt.

Einen Monat später sollte relativ schnell alles anders werden im politischen und gesellschaftlichen Klima im Lande. Der politisch-mediale Komplex Deutschlands hat ja so seine Erfahrungen mit Panik und ihrer Schürung sowie ihrem genauso raschen Wiederabklingen. Aber keine Panik zuvor kam den nun folgenden medialen Geschehnissen und ihren Auswirkungen im echten Leben nahe. Im März 2020 betätigte eine Riege aus Staatslenkern den Alarmknopf in Sachen „Pandemie“. Schon damals hatten Kritiker bemerkt, dass es dafür keine sachliche Grundlage gab. Der Anteil der Positivtests mit dem neuen Coronavirus war nicht gestiegen, allerdings war die Anzahl der Tests gestiegen, und so konnten Bundesregierung und Robert-Koch-Institut unter Hintanstellung der Mathematik und anderer Wissenschaften von einer Steigerung der Infektionszahlen fabulieren. Das Internet-Magazin Multipolar hatte im März 2020 auf diesen Mangel an Konsistenz hingewiesen.

Das Magazin hat die Protokolle des RKI-Krisenstabs frei geklagt. Die Klage war schon Ende 2021 ergangen, das RKI machte aber erst 2023 eine Kehrtwende und gab die Protokolle – mit zahlreichen Schwärzungen – heraus. Es handelt sich um über 200 Protokolle, die sich auf mehr als tausend Seiten erstrecken. Nun klagt Multipolar auf Aufhebung der Schwärzungen. Am 6. Mai soll die neue Klage verhandelt werden.

Der geschwärzte Entscheidungsträger

Aus anderen „Fällen“ aus jener Zeit ist bekannt, dass die „Risikoeinschätzung“ ein durchaus umstrittenes Feld war. Der Fachmann für Katastrophenschutz im Innenministerium Stephan Kohn sollte sich eine eigenständige Meinung dazu erarbeiten, riskierte darüber seine wirtschaftliche Sicherheit und verlor sie am Ende. Er veröffentlichte ein Papier, das den großen Irrtum (wenn nicht Irrsinn) der öffentlichen Risikobewertung aufzeigte. Alles das in vielleicht Kohlhaas’scher Manier, die ihn dem Vorwurf der Insubordination aussetzte, aber doch auf der Basis jahrelanger Erfahrung. Das war im Mai 2020 und kostete ihn im März 2022 seine Lebensernte. TE hatte die Gefahrenanalyse Kohns damals als erstes Medium veröffentlicht.

Laut Paul Schreyer von Multipolar gab es zu Beginn des Diskussionsprozesses noch eine „interne fachliche Diskussion zur Risikoeinschätzung“. Die Hochstufung im März sei jedoch „abrupt“ erfolgt und der Anstoß dazu sei von außerhalb des RKI gekommen. Von welchem Entscheidungsträger genau, kann immer noch nur gemutmaßt werden. Denn die betreffenden Stellen in den Protokollen wurden geschwärzt.

Am 24. Februar meldete Italien mehrere Tote durch das Virus, die deutsche Gefahrenlage blieb aber laut Protokoll des RKI-Krisenstabes „gering“. Am 26. Februar dekretierte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU): „Wir befinden uns am Beginn einer Corona-Epidemie in Deutschland.“ Vorausgegangen waren Infektionswellen auf einigen Kreuzfahrtschiffen vor Japan und China, wenige Einzelinfektionen im Umfeld des bayrischen Autozulieferers Webasto, Evakuierungen und Einreiseverbote in die USA unter Donald Trump. Doch nun gab es angeblich sieben positive Tests in Deutschland, bei denen der „Infektionsweg“ nicht mehr klar rekonstruierbar war. Das Risiko wurde daher auf „niedrig bis mäßig“ erhöht.

RKI-Vize: Eine stärkere Grippewelle kommt auf Deutschland zu

Aber noch am 28. Februar war auch RKI-Vizechef Lars Schaade der Meinung, dass sich das, was da auf Deutschland zukam, „in etwa bewegt in der Schwere wie eine starke bis sehr starke Grippewelle“. Doch das mediale Trommelfeuer, nicht zuletzt angetrieben von internationalen Meldungen, die teils verzerrt waren, hatte zugleich schon begonnen. Bill Gates griff in die Debatte ein und rief zur „Impfstoffentwicklung“ auf, wofür „Milliarden von Dollar“ von den Regierungen aufgebracht werden müssten. Nur das RKI ging noch immer von einer Sterblichkeit wie bei einer normalen Grippe aus.

Die Risikobewertungen kletterten nur langsam und meist ohne fachlichen Grund nach oben. Wohl gab es aber mediale Impulse – und vermutlich politische. Am 2. März galt das Risiko als „mäßig“, doch im Protokoll wurden die entsprechenden Einträge fast sämtlich geschwärzt. Auch die Pandemie-Ausrufung der WHO am 11. März änderte „finanziell, praktisch etc.“ noch gar nichts, so das Protokoll. Am 11. März gab es „keinen Anpassungsbedarf“. Das RKI wirkte auch etwas ratlos: Am 11. März gab es in ganz Berlin 90 Fälle, in Bremen 21, in Mecklenburg-Vorpommern elf und in Sachsen-Anhalt sechs. Zur Wahrheit gehört, dass sich in Heinsberg und anderswo einige lokale Herde gebildet hatten, die besondere Maßnahmen begründen konnten.

Dann präsentierte die WHO allerdings Europa als Epizentrum der neuen „Pandemie“, und erst das mediale Echo auf diese beiden Meldungen scheint die rechte Mischung ergeben zu haben. Am Wochenende vom 14. März griff der von der Gates-Stiftung mitfinanzierte Spiegel das Thema plakativ auf („Sind wir bereit?“). Die Zeit schrieb hier noch vom „Zeit kaufen!“ für die Wirtschaft, während sich die Regale leerten und Flugzeuge stillstanden, sowie vom „Virus der Vernunft“, das möglicherweise den Erfolg von Donald Trump aufhalten könnte. Ein Woche später begannen dieselben Medien den Lockdown und das Nichtstun zu loben.

Das Signal zu „Hochskalierung“ kam von außen

Im Land Berlin kam die Panik zuerst an. Rollkommando-artig schloss das Hauptstadtland alle Lokale, Theater und Kirchen und verbot alle größeren Menschenansammlungen. Auch dieser Kontrast zwischen Stadt und Land gehörte noch eine Zeit lang zu den Konstanten der Entwicklung: Während sich in der Stadtbevölkerung bald der allgemeine Alarm durchfraß, blieben die Leute auf dem Land zunächst eher ruhig bis skeptisch.

Zugleich rüstete man sich im RKI für eine neue, qualitativ andere Risikobewertung. Dazu heißt es im Protokoll: „Am Wochenende wurde eine neue Risikobewertung vorbereitet. Es soll diese Woche hochskaliert werden. Die Risikobewertung wird veröffentlicht, sobald ein Signal dafür gibt.“ Am 17. März wurde die Risikobewertung des RKI erstmals von „mäßig“ auf „hoch“ gesetzt. Das RKI lässt durch seinen Anwalt bis heute erklären, dass es zu diesem Vorgang keine „weiteren Dokumente“ im Hause gebe. Das aber finden wiederum die Macher von Multipolar merkwürdig. Denn wo man eine veränderte Risikobewertung „vorbereitet“, müssten ja auch Akten oder sonstige Dokumente zu diesem Vorgehen vorliegen.

Aber bei aller Offenheit der zitierten Passage bleibt wiederum unklar, von wem das „Signal“ zur Eskalation („Hochskalierung“) letztlich ausgegangen ist. Es scheint sich aber um einen hohen, politischen Entscheidungsträger von außerhalb des RKI zu handeln. Die nächstliegende Wahl fällt hier auf den Minister selbst, um andere, noch eher sinistre Möglichkeiten außen vor zu lassen.

Wer zog im Hintergrund die Fäden?

Am 2. März war Spahn erstmals zusammen mit RKI-Chef Lothar Wieler und dem Virologen Christian Drosten vor die Bundespressekonferenz getreten. Damit sollte eine „verstärkte Kommunikationsoffensive“ begonnen werden, komplett mit Anzeigen in großen Tageszeitungen, Radiospots und Social-Media-„Bespielung“. Angesichts der späteren, immer mehr wachsenden Wichtigkeit des Virologen Christian Drosten für das mediale „Pandemiemanagement“ darf man diesen Auftritt durchaus als Startschuss zur deutschen Pandemiepolitik ansehen. Drosten ist inzwischen in Misskredit geraten durch seine große Nähe zu Forschern, die durchaus Erfahrungen mit Gain-of-function-Experimenten gesammelt haben, und für seine Bemühungen, entsprechende Gerüchte über das Coronavirus ohne Ansehen zu vertreiben. Aber könnte Drosten so früh im Geschehen auch schon eine informelle leitende Stellung gehabt haben, so dass das RKI auf seinen Wink wartete? Vielleicht dann doch nicht.

Und was war die Rolle des Spahn-Vertrauten Heiko Rottmann-Großner, der schon Ende Februar gegenüber mehreren Staatssekretären des Innenministeriums forderte, nun müsse man „die Wirtschaft lahmlegen“? Rottmann-Großner hatte im Jahr zuvor an einem Pandemie-Planspiel teilgenommen. Es geht dabei nicht um das bekannte „Event 201“ – das fand am 18. Oktober 2019 in einem Hotel in New York City statt, ausgerichtet von der Johns Hopkins University, die später durch das Pandemie-Dashboard bekannt werden sollte. Hier geht es um eine ganz ähnliche Veranstaltung der Nuclear Threat Initiative in München, kurz vor der damaligen Sicherheitskonferenz. Der etwas absurd wirkende Plot besagte damals, dass in dem nahöstlichen Land Vestia ein Bürgerkrieg herrscht und westliche Truppen eingegriffen haben. Zur gleichen Zeit ereignet sich ein Ausbruch einer „pneumonischen Pest“, die sich in der Folge nach Europa ausbreitet. Es folgt das übliche Drehbuch der Ausrufung einer „public health emergency“ (Notstand der öffentlichen Gesundheit), die dann zu weiteren Maßnahmen führt.

Laut Schreyer besitzt Rottmann-Großner „exzellente Kontakte in die US-amerikanische Pandemiemanagement-Szene“. Er wurde unter Hermann Gröhe (CDU) Leiter des Leitungsstabs im Gesundheitsministerium und später zum Leiter der Unterabteilung 61 „Gesundheitssicherheit“, als der er die Ära Spahn überdauerte. Neben dem Ministerialbeamten war auch Lothar Wieler in München 2019 dabei.

Die Frage nach der ersten Ursache ist nicht trivial

Und auch im Februar 2020 fand wieder eine solche Tabletop-Übung am Vorabend der Münchner Sicherheitskonferenz statt, bei der es laut Multipolar nun wörtlich um ein im Labor gezüchtetes, gefährliches Grippevirus ging, mit dem sich Milliarden Menschen anstecken („the next pandemic threat could be caused by a laboratory accident or deliberate misuse“). Auch dieses Übungsdesign stammte wohl noch aus der Zeit vor Covid-19, wie man im Abschlussbericht betont. Und wieder gab es eine hollywood-reifes Video dazu.

Unterabteilungsleiter Rottmann-Großner wird am Ende wohl eine eher unbedeutende Rolle gespielt haben, könnte aber als Überträger von Herrschaftswissen in Sachen Pandemiemanagement von Bedeutung gewesen sein. Eines scheint aber in jedem Fall eindeutig: Die Eskalation der Gefahrenstufe, mit der in den folgenden Wochen, Monaten und Jahren immer wieder neue Beschränkungen und freiheitsentziehende Maßnahmen für die Bürger begründet wurden, war eine politische Entscheidung aus dem März 2020, für die sich kaum bis gar keine Anhaltspunkte in den internen Protokollen des RKI finden lassen. Der Wink kaum von außen, aus der Politik. In jedem Falle scheint sich nicht um eine autonome Entscheidung des RKI gehandelt zu haben.

Am 22. März kam der Lockdown über Deutschland, kurz nachdem der Gesundheitsminister auf Twitter verkündet hatte, dass solche Behauptungen bösartig und sicher Fake-News seien. Das war nur der Anfang einer Serie von Entscheidungen, die das gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Leben in Deutschland für die folgenden Jahre prägen sollten. Es ist nicht ganz trivial, zu wissen, wie diese „erste Entscheidung“ zustande kam.

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