Epstein, Epstein, alles muss versteckt sein: Tausende Dokumente bleiben unter Verschluss, eine Klientenliste gibt es angeblich gar nicht. Trumps Kehrtwende wirft Fragen auf – und bringt die Gerüchteküche zum Brodeln.
von Marty McCarthy
Es waren denkwürdige Szenen, die sich am 7. Juli im Weißen Haus abspielten. Bei der Pressekonferenz am Morgen konfrontiert Fox-News-Korrespondent Peter Doocy Sprecherin Karoline Leavitt mit einer brisanten Frage: «Das DOJ {Department of Justice; US-Justizministerium} und das FBI haben nun festgestellt, dass es keine Jeffrey-Epstein-Klientenliste gibt. Was ist also mit der Klientenliste passiert, von der die Justizministerin sagte, sie liege auf ihrem Schreibtisch?» Der Journalist spielte damit auf eine Aussage von Pam Bondi an, der Amtsinhaberin aus der sogenannten Phase eins der Aktenveröffentlichung wenige Monate zuvor. Leavitts Antwort: «Ich denke, wenn Sie sich das Interview ansehen, das auf Ihrem Sender, Fox News, stattfand, sagte die Justizministerin, dass sie sich auf die Gesamtheit aller Dokumente bezog – alle Papiere – in Bezug auf Jeffrey Epsteins Verbrechen.»
«Reden die Leute immer noch über diesen Typen? … Ihr wollt eure Zeit verschwenden!» Donald Trump
Doocy war mehr als erstaunt und präzisierte, was im Frühjahr passiert war: «{Moderator} John Roberts sagte: ”Das DOJ könnte eine Liste von Jeffrey Epsteins Kunden veröffentlichen. Wird das wirklich passieren?” Und {Bondi} sagte: ”Sie liegt gerade jetzt auf meinem Schreibtisch zur Überprüfung.”» Doch Trumps Pressesprecherin wich erneut aus: «Sie sprach von der Gesamtheit der Dokumente, aller Papiere im Zusammenhang mit Jeffrey Epsteins Verbrechen. Das ist, worauf sich die Justizministerin bezog, und ich überlasse es ihr, das zu vertreten.»

Tatsächlich wurde Bondi nur wenige Stunden später von einem Reporter auf diesen Widerspruch in der Causa Epstein hingewiesen. Doch bevor sie dazu Stellung nehmen konnte, grätschte Trump dazwischen: «Reden die Leute immer noch über diesen Typen? Über diesen Widerling? Das ist unglaublich. Ihr wollt eure Zeit verschwenden!» Dabei hatte er selbst dieses Thema immer wieder hochgekocht – und im Wahlkampf die Veröffentlichung aller Dokumente versprochen. Die Diskrepanz zwischen ihren beiden Aussagen konnte auch Bondi im weiteren Verlauf nicht hinreichend erklären.
Auffallend viele Selbstmorde
Dass die US-Administration nun behauptet, weitere Aktenfreigaben seien «nicht gerechtfertigt», da man die Opfer schonen wolle, ist genauso wenig überzeugend. Schließlich stehen nicht die Gepeinigten im Zentrum des Interesses, sondern die prominenten Kunden Epsteins, deren Namen zu einem großen Teil noch nicht bekannt sind. Noch brisanter: Ein Überwachungsvideo, aufgenommen mit der Kamera vor Epsteins Gefängniszelle kurz vor seinem Tod, wurde manipuliert – eine Minute fehlt. Bondis Erklärung, das Herausschneiden von 60 Sekunden an einem bestimmten Zeitpunkt sei bei solchen Aufnahmen Standard, ergibt keinen Sinn.
Epsteins lebloser Körper war am 10. August 2019 von Wärtern des Metropolitan Correctional Center in New York aufgefunden worden. Offiziell heißt es, er habe sich erhängt, doch diese Version wird von vielen angezweifelt. Die These, man habe ihn zum Schweigen bringen wollen, um zu verhindern, dass er vor Gericht auspackt, erscheint durch die fehlende Minute in dem Überwachungsfilm nicht gerade unplausibler.
Die New Yorker Staatsanwaltschaft hatte im Juli 2019 Anklage gegen den vormaligen Vermögensberater erhoben. Die Vorwürfe: Er soll zwischen 2002 und 2005 mehr als 80 teils minderjährige Mädchen missbraucht oder zu sexuellen Diensten an solvente Kunden weitervermittelt haben. Bereits 2005 hatten die Eltern eines 14-jährigen Mädchens, an dem sich Epstein in seiner Villa in Palm Beach, Florida, vergriffen hatte, Anzeige gegen ihn erstattet. Zwei Jahre später – inzwischen hatten sich weitere Opfer gemeldet – wurde der Finanzjongleur verurteilt. Ihm drohte damals lebenslange Haft, doch seine Anwälte konnten einen Deal mit der Staatsanwaltschaft aushandeln: Ihr Mandant bekannte sich schuldig, im Gegenzug wurde er nur zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Die konnte er allerdings in einer eigens für ihn hergerichteten Zelle in einem Polizeirevier in Palm Beach bei sechs Tagen Freigang pro Woche absitzen. Nach 13 Monaten wurde Epstein wegen guter Führung entlassen.
Heute weiß man, dass die Opfer des Finanzberaters mit seiner Boeing 727 – von der Presse Lolita-Express getauft – bis in die entlegensten Ecken der Welt gebracht wurden, etwa zu der Karibikinsel Little Saint James, die sich in Epsteins Privatbesitz befand. Im Dezember 2021 wurde seine Komplizin Ghislaine Maxwell zu 20 Jahren Haft verurteilt. Die Britin soll ihrem ehemaligen Lover und später auch anderen Männern die Mädchen zugeführt haben – so auch 1998 die damals 15-jährige Virginia Roberts (später: Giuffre). Diese sagte dem britischen Boulevardblatt The Sun, dass sie weitervermittelt worden sei – unter anderem an Prinz Andrew, den Bruder des heutigen englischen Königs Charles III. Der Royal traf im Februar 2022 eine außergerichtliche Einigung mit Giuffre, zahlte ihr umgerechnet 14,4 Millionen Euro Schweigegeld.
«Toller Typ»
Donald Trump und Jeffrey Epstein pflegten in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren eine enge Männerfreundschaft, die 2004 zerbrach, vermutlich wegen eines Streits um ein Immobiliengeschäft. Nach Epsteins Verhaftung 2005 wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger distanzierte sich der heutige US-Präsident von seinem Nachbarn in Palm Beach, Florida, mit dem er auf vielen Partys unterwegs gewesen war. Noch 2002 hatte Trump dem New York Magazine über Epstein gesagt: «Ich kenne Jeff seit 15 Jahren. Toller Typ. Macht Spaß, mit ihm zusammen zu sein. Es heißt sogar, dass er schöne Frauen genauso mag wie ich – und viele von ihnen sind jünger.» Vorwürfe gegen beide Männer erhob 2024 US-Model Stacey Williams. «So soll der US-Präsident sie 1993 in Anwesenheit von Epstein begrapscht haben. Williams erklärt, sie habe damals Epstein bei einem Besuch bei Trump im Trump Tower begleitet, als es zu dem Vorfall gekommen sei. Sie beschrieb die Situation als verdrehtes Spiel der beiden. So sollen sich die beiden Männer angelächelt haben, als Trump sie begrapschte», schreibt dazu das Web-Magazin Watson. Der Beschuldigte wies die Vorwürfe zurück.
Weitaus brisanter erscheint Epsteins Verbindung zu Bill Clinton: Die Journalistin Conchita Sarnoff wertete für ihr 2016 erschienenes Buch TrafficKing die Logbücher der Lolita-Express-Piloten aus und fand heraus, dass der ehemalige US-Präsident 27-mal als Passagier der Boeing 727 registriert ist. Virginia Giuffre sagte, dass sie Clinton auf Epsteins Insel gesehen habe, zusammen mit zwei «jungen Mädchen». Ende März 2025 teilte sie via Instagram mit, dass sie bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt worden sei. Einen Monat später war sie tot – angeblich soll sie sich auf ihrer Farm selbst umgebracht haben. Im Februar 2022 war schon der frühere Modelagent Jean-Luc Brunel erhängt in seiner Pariser Zelle aufgefunden worden. Der Franzose befand sich wegen Vergewaltigungsvorwürfen in Untersuchungshaft. Auch sein Name tauchte in den Ermittlungsakten zum Fall Epstein auf. Suizide kommen hier offenbar ziemlich oft vor…
Die Mossad-Spur
Mit der Kehrtwende in Sachen Epstein-Akten hat Trump seine Anhängerschaft bitter enttäuscht. Truther-Ikone Alex Jones zeigte sich empört und fragte in seinem Podcast Info Wars süffisant, ob das Justizministerium wohl als nächstes sagen werde «Eigentlich hat Jeffrey Epstein nie existiert». Die konservative Kommentatorin Candace Owens warf der US-Regierung sogar ganz offen Vertuschung vor. «Erst verspricht man Transparenz, dann behauptet man, es gibt nichts zu sehen? Das stinkt nach Deep State!», schrieb sie auf X.
Epstein-Opfer Virginia Giuffre hatte kurz vor ihrem angeblichen Suizid einen schweren Autounfall.
Doch was soll vertuscht werden? Manche vermuten, Trumps Name könnte in den Akten in einem ungünstigen Zusammenhang auftauchen – Tech-Unternehmer Elon Musk hatte dies angedeutet. Epstein und der heutige US-Präsident waren in Florida quasi Nachbarn, waren oft zusammen auf Partys unterwegs. Möglicherweise gibt es aber ganz andere Implikationen. Der konservative TV-Moderator Tucker Carlson vermutet, dass Epstein für den israelischen Geheimdienst Mossad gearbeitet habe. Bei einer Veranstaltung der rechten Vorfeldorganisation Turning Point USA am 11. Juli erklärte er, es sei «für jeden Zuschauer völlig offensichtlich», dass Epstein «direkte Verbindungen zu einer ausländischen Regierung» gehabt habe.
«Niemand darf mehr sagen, dass diese ausländische Regierung Israel sei, weil man uns irgendwie eingeschüchtert hat und uns glauben lässt, das sei unanständig», so Carlson. Und er gab zu bedenken, warum niemand Epstein je gefragt habe: «Was zum Teufel ist das? Der ehemalige israelische Premierminister wohnt bei Ihnen, Sie hatten all diesen Kontakt zu einer ausländischen Regierung. Haben Sie im Auftrag des Mossad gearbeitet? Haben Sie eine Erpressungsoperation im Auftrag einer ausländischen Regierung durchgeführt?» Damit spielte der ehemalige Fox-News-Mann auf die Tatsache an, dass sich Israels Ex-Regierungschef Ehud Barak zwischen 2013 und 2017 gut 30-mal mit Epstein auf dessen Anwesen in Florida und New York getroffen hat.
Offene Fragen
Die Spinne im Netz könnte Epsteins Komplizin Ghislaine Maxwell sein. Selbst das britische Außenministerium verdächtigte ihren Vater, den Medienmogul Robert Maxwell, für den Mossad gearbeitet zu haben. Sechs amtierende und ehemalige Leiter israelischer Geheimdienste nahmen 1991 an dessen Beerdigung teil. Der damalige Premierminister Jitzchak Schamir sagte in seiner Laudatio: «Er hat mehr für Israel getan, als man heute sagen kann.» Hinzu kommt: Kurz vor dem mysteriösen Ableben des Pressezaren im November 1991 – er verschwand auf ungeklärte Weise von seiner Hochseejacht und wurde dann tot vor den Kanarischen Inseln aufgefunden – hatte sich ein ehemaliger Mitarbeiter des israelischen Militärgeheimdienstes, Ari Ben-Menashe, an eine Reihe von Nachrichtenorganisationen mit der Behauptung gewandt, Maxwell sei ein langjähriger Agent des Mossad.
Spinne im Netz könnte Epsteins Komplizin Ghislaine Maxwell sein.
Nutzte Epstein seinen Sexring also zur Erpressung von Politikern – und zur Beeinflussung ihrer Entscheidung im Sinne einer ausländischen Regierung? Fakt ist: Zwischen 2007 und 2011 wurden Gishlaine Maxwell umgerechnet über 20 Millionen US-Dollar von Epsteins Offshore-Konten überwiesen. Wofür, ist unklar.

Selbst die International Business Times aus London kam in einem Beitrag vom 14. Juli zu dem Schluss: «Maxwell bleibt eine zentrale Figur in einem der beunruhigendsten Skandale der letzten Jahrzehnte. Ihre (…) möglichen Verbindungen zu Geheimdienstnetzwerken geben weiterhin Anlass zu Spekulationen.» Die werden auch nach der offiziellen Schließung des Falls in den USA nicht abreißen – im Gegenteil.
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