Die Merz-Regierung baut jetzt weitreichende Waffensysteme für die Ukraine – und übernimmt damit die Führungsrolle im Krieg gegen Russland. Präsident Trumps Kehrtwende erinnert an die amerikanische Politik im Zweiten Weltkrieg.
von Jürgen Elsässer
«Der Krieg muss nach Russland getragen werden. (…) Wir müssen alles tun, dass die Ukraine in die Lage versetzt wird, nicht nur Ölraffinerien in Russland zu zerstören, sondern Ministerien, Kommandoposten, Gefechtsstände.» Wenn ein Wadenbeißer wie der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter Angriffe auf Ziele im Herzen Russlands fordert, so geschehen im Februar 2024, ist das schlimm genug. Nun aber hat der künftige Oberbefehlshaber des deutschen Heeres in das gleiche Horn gestoßen.
«Wir brauchen Waffensysteme, die weit auch in die Tiefe des russischen Raumes reichen.» General Freuding
Unter der ZDF-Headline «Langstrecken-Raketen für Kiew» machte General Christian Freuding am 11. Juli 2025 im Heute Journal eine – im doppelten Wortsinn – Bomben-Ankündigung, die aber an diesem Tag wegen des Koalitionskrachs um die Neubesetzung des Bundesverfassungsgerichts kaum beachtet wurde: «Wir brauchen Waffensysteme, die weit auch in die Tiefe des russischen Raumes reichen, die angreifen können, Depots, Führungseinrichtungen, Flugplätze, Flugzeuge.(…) Auch Deutschland ist bereit, solche Waffensysteme zur Verfügung zu stellen.» Freuding, derzeit Leiter des Krisenstabs Ukraine im Bundesverteidigungsministerium und ab September Generalinspekteur des Heeres, hat den Spitznamen «Youtube-General», weil er regelmäßig mit schiefem Grinsen im Internet der kriegerischen Eskalation das Wort redet. Er fuhr fort: «Wir haben diese Initiative angestoßen erst Ende Mai und die ukrainischen Streitkräfte werden aus dieser Initiative bereits Ende dieses Monats {Juli} die ersten weitreichenden Waffensysteme geliefert bekommen und dann folgend in einer hohen dreistelligen Stückzahl.»
Verräterisch ist vor allem, dass der General das Wörtchen «wir» benutzt: «Wir brauchen Waffensysteme, die weit auch in die Tiefe des russischen Raumes reichen …». Aus seiner Sicht werden «wir», also Deutschland, Russland in der Tiefe des Raums angreifen. Auch seine Formulierung «Deutschland ist bereit, solche Waffensysteme zur Verfügung zu stellen», ist verräterisch. In der regierungsamtlichen Lesart geht es nämlich um Geschosse, die in der Ukraine gebaut werden, wenn auch mit deutschem Geld und deutschem Knowhow. Aber schon allein die Aussicht, dass die Waffen bereits Ende Juli, also knapp drei Wochen nach Freudings Ankündigung, eingesetzt werden könnten, deutet darauf hin, dass zumindest bestimmte Komponenten auch direkt aus der Bundesrepublik geliefert («zur Verfügung … stellen») werden.
Der Taurus-Bluff
Die neue Gangart hatte sich Ende Mai beim Staatsbesuch Wolodimir Selenskis in Berlin angekündigt. Bild berichtete, die Bundesregierung plane, «der ukrainischen Rüstungsindustrie einen Millionenbetrag zur Verfügung zu stellen, um eigenständig Marschflugkörper mit bis zu 2.500 Kilometer Reichweite zu entwickeln und in Masse herzustellen». Damit war das leidige Thema Taurus vom Tisch, ohne dass freilich deeskaliert wurde. Denn Taurus hat nur eine Reichweite von 500 bis 600 Kilometern – jetzt aber geht es um das Fünffache! Damit können nicht nur Moskau und Leningrad beschossen werden, sondern selbst Ziele in Sibirien, weit jenseits des Urals.
Drei deutsche Rüstungsunternehmen arbeiten bereits in der Ukraine.
Hans-Georg Maaßen kommentierte zu Recht: «Dass Deutschland innerhalb von Monaten neben Taurus ein neues Langstreckenprogramm entwickelt hätte, wäre erstaunlich. Die Konstruktion von Langstreckenraketen ist komplexer als der Bau von Kochtöpfen, wie dies aus Russland zynisch kommentiert wurde.» Die Schlussfolgerung liegt nahe: Was jetzt geliefert wird, sind zwar keine Taurus, aber Raketen und Marschlugkörper mit ähnlicher, sogar stärkerer Wirkung (die jedoch nicht so heißen dürfen) und bei denen die letzten Schraubenzieherumdrehungen irgendwo zwischen Lemberg, Kiew und Odessa durchgeführt werden. Drei deutsche Unternehmen arbeiten bereits in der Ukraine, berichtete Selenski Ende Juni. Man warte auf das vierte. «In den nächsten Tagen könne die Zahl der Partnerschaften auf zwanzig steigen», fasste der Spiegel zusammen.
Auf jeden Fall ist die Zielprogrammierung dieser Cruise Missiles, wie es auch beim Taurus der Fall wäre, ohne deutsche Hilfe unmöglich. Thomas Röper auf Anti-Spiegel: «Bei Satellitenbildern denken viele nur an die USA, denn nur wenige wissen, dass Deutschland eigene Aufklärungssatelliten hat. Ab 2006 hat Deutschland fünf Aufklärungssatelliten des Programms SAR-Lupe ins All geschossen, die unabhängig von Wetter und Tageszeit hochauflösende Bilder von jedem Punkt der Erde liefern können. Und die drei Satelliten des Nachfolgeprogramms SARah wurden ab 2022 ins All geschossen und sind heute im Einsatz. Hinzu kommt, dass die Bundeswehr 2021 Bodenreliefkarten von Russland bestellt hat, mit denen Drohnen oder Taurus im Tiefstflug über Russland fliegen können, um der russischen Flugabwehr zu entgehen.»
«Schon im Krieg»
Die Merz-Regierung scheint wild entschlossen, anstelle der USA die Führung im Angriff auf Russland zu übernehmen, zusammen mit Großbritannien und Frankreich. Die Entwicklung deutete sich schon im Frühjahr an, nachdem Selenski am 28. Februar aus dem Weißen Haus geworfen worden war und Trump ihm mit auf den Weg gegeben hatte: «Sie spielen mit dem Dritten Weltkrieg.» In Europa erkannte man das wohl als Chance. Daniel Günther, CDU-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, sagte: «Union und SPD (…). Jetzt haben sie die historische Aufgabe, (…) Europa zum Anführer der freien Welt zu machen.» EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas, die Busenfreundin von Annalena Baerbock, sekundierte: «Heute ist klar geworden, dass die freie Welt einen neuen Anführer braucht.» Verteidigungsminister Boris Pistorius hoffte: «Wir streben natürlich an, (…) den Wegfall der US-Unterstützung {für die Ukraine} zu kompensieren.» Die einschlägigen Denkfabriken lieferten entsprechende Expertisen wie auf Bestellung. «Unsere Daten zeigen, dass Europa in der Lage wäre, die US-Hilfen zu großen Teilen zu kompensieren», so das Kieler Institut für Weltwirtschaft. Mit neuer Staatsverschuldung von über einer Billion Euro soll die Aufgabe gestemmt werden. «Whatever it takes», was auch immer notwendig ist, gab Merz als Devise aus.
Trump erkannte, wie leicht er Merz um den Finger wickeln kann.
Besonders entlarvend waren die Worte von BND-Chef Bruno Kahl, der sich Anfang März ein Weiterführen des Krieges bis 2029/30 wünschte. Denn: Ein «frühes Kriegsende in der Ukraine befähige die Russen, ihre Energie dort einzusetzen, wo sie sie eigentlich haben wollen. Nämlich gegen Europa». Selbst die frühere ukrainische Ministerpräsidentin Yulija Timoschenko, von der ersten bunten Revolution 2005 ins Amt gebracht, war entsetzt: »Hat jemand beschlossen, die Existenz der Ukraine und das Leben Hunderttausender Ukrainer aufs Spiel zu setzen, um Russland im Interesse der Sicherheit in Europa zu ”schwächen”? Ich hätte nicht gedacht, dass sie es wagen würden, dies so offiziell und offen zu sagen …»
Ab Anfang Mai, als Trump immer noch auf Verhandlungskurs mit Putin schien, wurde das Tempo beschleunigt. Bereits kurz nach seinem Amtsantritt kamen Merz und sein Kabinett mit den Scharfmachern vom BND zusammen. Bei dem Treffen präsentierten die Geheimdienstler angeblich neue Erkenntnisse und warnten vor einer sich rasant entwickelnden militärischen Bedrohung. Daraufhin forderte der frischgebackene Kanzler in seiner ersten Regierungserklärung, dass die Bundeswehr «zur stärksten Armee Europas» werden müsse. Dann kam Selenski nach Berlin, und Anfang Juni wurden in Kiew die Verträge zur gemeinsamen Rüstungskooperation unterzeichnet. Anfang Juli behauptete Merz auf der NATO-Tagung in Den Haag: «Wir werden von Russland bereits in diesem Sinne angegriffen» – eine bemerkenswerte Änderung der Sprachregelung, denn bisher hatte das offizielle Berlin Putins Angriffspläne erst auf 2029 datiert. Kurz darauf erklärte der Kanzler, dass die «Mittel der Diplomatie erschöpft» seien. Logisch, denn wer sich bereits im Krieg wähnt, wird nicht mehr verhandeln, sondern sich aufs Schießen konzentrieren.
Profiteure
«Bei Umsatz und Bestellungen von Panzern und Munition jagt ein Rekord den anderen, der Aktienkurs hat sich seit Anfang 2022 verzwanzigfacht von gut 90 Euro auf 1.845 Euro am vergangenen Freitag. Rheinmetall ist nun nach Lockheed Martin der zweitwertvollste Rüstungskonzern der Welt. Also titelte Bild am Sonntag (BamS) nach einem Besuch beim Draufgänger: ”Der Panzer ist der neue Käfer”. (…) Rheinmetall verhandle gegenwärtig ”über die Anschaffung von 6.000 bis 7.000 Fahrzeugen”, diktierte er {Konzernchef Armin Papperger} den BamS-Reportern. Und: Insgesamt gebe es ein Potenzial von Aufträgen im Wert bis 70 Milliarden Euro in den nächsten zwölf Monaten. Der Umsatz des Konzerns soll sich ”bis zum Jahr 2030 auf 40 bis 50 Milliarden Euro erhöhen” – eine Verzehnfachung gegenüber 2021.» (Junge Welt, 14.7.2025)
Dazu passt, dass Verteidigungsminister Pistorius einen «Mega-Panzer-Auftrag» in Höhe von 25 Milliarden Euro vorbereitet (Bild, 6.7.2025). Allein Rheinmetall soll «bis zu 2.500 Schützenpanzer und bis zu 1.000 Kampfpanzer» – das Dreifache der bisherigen Bestandszahl – liefern (siehe Infobox).
Auf den Spuren von Roosevelt
Die Abkehr des US-Präsidenten vom versprochenen Friedenskurs vollzog sich in Etappen. Im Mai, beim Antrittsbesuch von Merz in Washington, muss er erkannt haben, wie leicht er den Deutschen um den Finger wickeln kann. Im Juni verkündete Verteidigungsminister Pete Hegseth zwar einen Stopp aller Waffenlieferungen für Selenski. Schlitzohr Trump fand jedoch Mitte Juli eine profitable Neuauslegung dieser Äußerung: Die USA würden ihre Militärexporte nicht mehr direkt an Kiew liefern, sondern das die Europäer machen lassen, und diese – vor allem die Deutschen – müssten auch alles selbst finanzieren.
Dies ähnelt der Politik von Präsident Franklin D. Roosevelt: 1933 und 1937 mit dem Versprechen ins Amt gekommen, er würde die USA neutral halten, beließ er es zunächst bei Waffenlieferungen an Großbritannien und eingeschränkt an die Sowjetunion (und ließ sich das gut bezahlen). Erst im Juni 1944 wurden US-Soldaten nach Europa entsandt, nachdem sich Russen und Deutsche schon jahrelang gegenseitig ausgeblutet hatten. Die GIs kamen gerade noch rechtzeitig, um sich als Retter vor dem Bolschewismus aufzuspielen – und ihre Beute einzuheimsen.
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