Meinung

Wann wird man Kriegspartei?

Wann wird man Kriegspartei?
Bundeskanzler Olaf Scholz und Brigadegeneral Ansgar Meyer, Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte (KSK)

Im Korea-Krieg trafen die Großmächte USA, Sowjetunion und China direkt aufeinander und zeigten, wie dehnbar die Definitionen von Kriegsgegner und Unbeteiligten sein können.

von Sebastian Thormann

„Ab wann ist man im Krieg?“ – Die Diskussion darüber wird in Deutschland rund um die Debatte zu Waffen-Lieferungen an die Ukraine aktueller denn je. Fast täglich sitzen in Talkshows diverse Experten, die uns erklären, warum bestimmte Waffensysteme – und was auch immer die Ukrainer damit anstellen – nun Deutschland zur Kriegspartei machen würden oder nicht.

Bei all dem lohnt es sich, einmal einen Blick in die Geschichtsbücher zu werfen. Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass Nationen, auch Atom-Mächte, einen Stellvertreterkrieg gegeneinander führen. Denn nichts anderes ist natürlich der Ukraine-Krieg: Gestartet von Russland unterstützt der Westen jetzt die Ukraine mit militärischen und finanziellen Mitteln, um den Krieg für sich zu entscheiden.

Einer jener Stellvertreterkriege des Kalten Krieges, in dem eine Seite die Definition der direkten Kriegsbeteiligung aufs letzte austestete, war der Korea-Krieg. Dort standen die Truppen der Vereinten Nationen unter Führung der USA Ende 1950 kurz vor dem endgültigen Sieg gegen den kommunistischen Norden. Pjöngjang war bereits Mitte Oktober an die Truppen des Südens gefallen, jetzt standen südkoreanische und US-amerikanische Truppen an vielen Frontlinien bereits am Yalu, dem Grenzfluss zu China. Das Ende des nordkoreanischen Regimes schien in jenen Tagen zum Greifen nahe.

Was kaum einer der Soldaten vor Ort wusste: Bereits am 13. Oktober hatte Maos Politbüro entschieden, in Korea zu intervenieren – und zwar mit eigenen Truppen, nicht nur mit materieller Unterstützung wie zuvor. Die Amerikaner blickten schon monatelang mit Sorge auf einen möglichen chinesischen Kriegseintritt. Im November erging Order im US-Militär, Atombomben gegen China einzusetzen, wenn chinesische Truppen in Korea die UN-Truppen angreifen oder nordkoreanische Bomber chinesische Flugplätze nutzen dürften.

Atomwaffen-Einsatz?

Der intern diskutierte Einsatz von Atomwaffen fand am Ende aber nie statt. Maos Armee griff trotzdem an, allerdings unter falscher Flagge. Formell war es nicht die chinesische Volksbefreiungsarmee, die aufseiten Nordkoreas kämpfte, sondern die „Volksfreiwilligenarmee“, die statt der chinesischen Flagge ein rein-rotes Banner trug. Es handele sich um chinesische Freiwillige, die für die koreanischen Kommunisten kämpfen würden, so die offizielle Linie, obwohl beiden Seiten vollständig klar war, dass es sich in Wahrheit um die in Chinas Nordosten ansässige 4. Feldarmee der Volksbefreiungsarmee unter neuem Namen handelte.

Weder die USA noch Rot-China wollten den Korea-Krieg zu einem noch größeren Krieg ausarten lassen. Auch einer der Gründe, weshalb die Amerikaner ihre Verbündeten, die chinesischen Nationalisten unter Chiang Kai-Shek auf Taiwan, davon abhielten, Truppen zur Unterstützung nach Korea zu schicken. Man wollte wohl verhindern, dass diese auf der koreanischen Halbinsel im direkten Kampf mit den Kommunisten den chinesischen Bürgerkrieg aufs Neue lostreten.

Man hätte zwar durchaus Atomwaffen gegen China, einen damals nicht-nuklearen Staat, einsetzen können, aber nur mit begrenzten Effekt. Genaue militärische Ziele zu treffen war damals schwer und Atombomben dafür eher unpraktikabel – ganze chinesische Städte zu verwüsten, was durchaus möglich gewesen wäre, hätte dabei Mao wohl kaum gestoppt.

Der erklärte schließlich berüchtigter Weise einst: „Ich habe keine Angst vor einem Atomkrieg. Es gibt 2,7 Milliarden Menschen auf der Welt. Es spielt keine Rolle, ob einige getötet werden. China hat eine Bevölkerung von 600 Millionen, selbst wenn die Hälfte von ihnen getötet wird, bleiben immer noch 300 Millionen Menschen übrig.“ Atombomben auf Chinas Städte hätten wohl eher die Kriegsbereitschaft der jungen Volksrepublik weiter angetrieben.

Und aus rein formeller Sicht, war all des eben nicht geboten: Egal, welche Sprache jetzt die Soldaten aufseiten des Nordens sprachen, unter chinesischer Flagge kämpfte dort keiner. Hätten sie das getan, wären die USA gezwungener Weise im Krieg mit ihnen gewesen.

Sowjets in der Luft

Ähnlich übrigens wie China hier mit Bodentruppen in Korea verfuhr, tat es die Sowjetunion mit ihrer Luftwaffe. Bei Luftschlachten über der Halbinsel hörten nicht ohne Grund amerikanische Kampfpiloten immer wieder auch russische Schimpfwörter im Funk. In MiGs mit nordkoreanischen Zeichen hatten die Sowjets nämlich eigene Piloten in nordkoreanischer oder chinesischer Uniform gesetzt, die sich dort direkte Auseinandersetzungen mit US-Truppen lieferten.

Wenn sie am Boden unterwegs waren, trugen jene Sowjet-Piloten zur Tarnung keine Uniformen, sondern waren als angebliche russische Reisende unterwegs. In der Luft waren sie dann vermeintliche Nordkoreaner, mit strengstem Funkverbot – das allerdings einige wohl in Stresssituationen brachen. In Korea kämpften also auch Piloten der zwei damaligen Atommächte gegeneinander – ohne dass es zum Dritten Weltkrieg kam.

Gerade aber die chinesische Intervention war wohl entscheidend für den weiteren Kriegsverlauf: Hatten in den Anfangstagen des Krieges noch nordkoreanische Truppen die UN-Koalition im Süden bis auf die Gegend rund um die Hafenstadt Busan zurückgetrieben, so wendete sich wieder das Blatt mit Ankunft neuer US-Truppen, die in Nordkorea bis an die chinesische Grenze im Norden vorrückten. Ohne Maos Einsatz eigener Truppen unter falscher Flagge gäbe es heute ein vereintes, westliches und demokratisches Korea.

Stattdessen kämpfte der Norden sich mit chinesischen Truppen und sowjetischer Luftunterstützung wieder in etwa bis zur Ausgangslinie des Krieges zurück, wo er bis heute mit einem Waffenstillstand festgefroren ist. Hätten die USA das kommunistische China damals formell als Kriegsfeind anerkannt und entsprechend angegriffen, wäre der Krieg vielleicht anders ausgegangen, vielleicht auch nicht. Klar ist: Man traf bewusst die Entscheidung darüber, wen man als Kriegspartei ansieht und wen nicht, obwohl eben sogar hunderttausende Soldaten von Dritt-Ländern auf gegnerischer Seite kämpften.

Was bedeutet Kriegsbeteiligung?

Auf der anderen Seite gab es schon oft genug Fälle von Ländern, die eben eine Invasion begannen, obwohl sie sich überhaupt nicht an benachbarten Kriegen beteiligt hatten – weder durch Waffenlieferungen noch andere Unterstützung. Man denke etwa an die britisch-sowjetische Invasion des Irans im Zweiten Weltkrieg: Damals marschierte man in ein neutrales Land ein, getrieben von der Sorge, es könnte in die Hände Nazi-Deutschlands fallen – obwohl es weder Russland noch Großbritannien gegenüber irgendwelche Aggressionen gezeigt hatte. Es war eine rein strategisch-politische Entscheidung, um die Region für sich zu sichern und nicht für die Nazis offenzuhalten.

Und eben genau das ist der Punkt, der in Debatten in Deutschland oft untergeht: Ob man sich mit unterschiedlichen Ausmaße der Unterstützung am Ende als Kriegsgegner in einem Konflikt findet, hängt oft vielmehr damit zusammen, wie das die Gegenseite bewertet – nicht damit, was das Völkerrecht sagt, wie es aktuell gerne heißt. Ein anderes Land anzugreifen, ist schließlich am Ende des Tages vor allem eine militärisch-politische Entscheidung, nicht eine rechtliche.

Wenn Putin Deutschlands jetzige Unterstützung als zu gefährlich für sich betrachtet, könnte er schlicht jetzt schon angreifen – egal, was das Völkerrecht sagt. Das war schließlich kein Hindernis für seine Invasion der Ukraine. Für die Debatte rund um weitere Waffensysteme für die Ukraine ist daher die Frage: Ab wann würde der Kreml – nicht das Völkerrecht – Deutschland als Kriegspartei sehen? Welche Drohungen gegen den Westen sind Bluffs, wo sind die echten roten Linien für Moskau? Das sind tatsächlich die Fragen, auf die es ankommt.

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