Facebook, PayPal, Palantir: Für die einen ist US-Tech-Investor Peter Thiel ein gefährlicher Freak, der die globale Überwachung und Versklavung anstrebt, für die anderen das genaue Gegenteil. So janusköpfig wie er selbst ist auch seine politische Theologie.
Ungarn, 2. August: Das Mathias-Corvinus-Collegium (MCC) hat zum Festival nach Esztergom geladen. Die konservative Denkfabrik gilt als Kaderschmiede von Ministerpräsident Viktor Orban. Der Ort könnte kaum besser gewählt sein, verdichtet sich doch in der auf Deutsch Gran genannten Stadt die wechselvolle europäische Geschichte wie unter einem Brennglas: Schon ab 150 v. Chr. siedelten dort Kelten, später errichteten die Römer ein Kastell. Vom Anfang des 10. Jahrhunderts bis zum Mongolensturm 1241 hielten die magyarischen Herrscher Hof in Esztergom, zwischen 1543 und 1683 regierten dort die Türken. Im Nibelungenlied ziehen die Burgunden von Worms in die Stadt, wo sie von Etzel – also Hunnenkönig Attila – erst verraten und dann abgeschlachtet werden.
Geboren wurde Thiel 1967 in Frankfurt am Main, doch schon im Alter von einem Jahr wanderten seine Eltern mit ihm nach Amerika aus. Bevor sich die Familie 1977 in Kalifornien niederließ, war sein Vater, ein Chemiker, in Südafrika und Namibia tätig. Sohn Peter spielte als Teenager gern am Computer, verschlang Science-Fiction-Literatur, doch seine Lieblingsgeschichte ist die Tolkien-Trilogie Herr der Ringe, die er nach eigenen Angaben mehr als zehn Mal komplett durchgelesen hat.
Palantir rüstet Geheimdienste, Polizei und Militär mit Analyse-Software aus.
Wenngleich in der Schule ein Mathe-Ass, studierte Thiel ab 1989 in Stanford zunächst Philosophie mit Bachelor-Abschluss, dann Rechtswissenschaften bis zum Doktorgrad. Anschließend arbeitete er als Anwalt, wurde aber bald Derivatehändler bei der Großbank Credit Suisse. Dort verdiente er genügend Geld, um 1996 seinen ersten Anlagefonds Thiel Capital zu gründen. Einige Jahre später wird der Investor in Yale einen Vortrag vor Jurastudenten halten und ihnen empfehlen, lieber ins Silicon Valley zu gehen. Einer seiner Zuhörer war Vance, den er erst für eine seiner Kapitalgesellschaften anheuerte, um ihn später als Politiker aufzubauen. Thiel selbst hatte bereits 1998 im Tech-Eldorado Palo Alto gemeinsam mit Elon Musk und dem Informatiker Max Levchin den Online-Bezahldienst Paypal gegründet, stieg später bei Facebook ein und investierte sogar in den wachsenden amerikanischen Cannabismarkt. Doch seinen schlechten Ruf bei vielen Leuten hat Thiel vor allem wegen eines Unternehmens, das er 2003 mitgründete: Palantir Technologies.
Armageddon und Antichrist
Bereits 2017 attestierte der britische Guardian dem von der CIA mitfinanzierten und auf Datenanalyse spezialisierten Unternehmen, «genau so viel Macht in der realen Welt zu besitzen wie Google, Microsoft, Facebook, Amazon und Apple» in der digitalen. Die Kundenliste von Palantir liest sich wie das Who‘s Who der US-Sicherheitsorgane – neben CIA, FBI und NSA nutzen unter anderem das Marine Corps und die Air Force die Programme. Solche Software-Anwendungen überwachten «alles und jeden, um Prognosen darüber zu erstellen, wer, wann, wo was macht. Oder denkt. Oder schreibt», meint der alternative Journalist Tom-Oliver Regenauer.
Die NATO nutzt die Maven-AI von Palantir, eine strategische Partnerschaft gibt es auch mit den israelischen Streitkräften, und auch in Deutschland nimmt man die Dienste des von Thiel mitgegründeten und heute von Alex Karp geführten Unternehmens in Anspruch. So setzt etwa die Polizei in Hessen und Hamburg auf die sogenannte Gotham-Software, die es erlaubt, Daten aus unterschiedlichen Quellen rasch zusammenzuführen, um so Profile und Beziehungsnetzwerke von Verdächtigen und Straftätern zu erstellen. 2022 wurde bekannt, dass das von dem Konzern entwickelte Analysesystem Vera bei der bayrischen Polizei zum Einsatz kommen sollte, doch selbst Söder & Co. hatten Bedenken, beim Einsatz der Software selbst ausspioniert zu werden. Trotz solcher Vorbehalte plädierte neben NRW und Hessen auch Bayern im Rahmen einer Innenministerkonferenz 2023 für einen bundesweiten Einsatz von Palantir-Software. Ist es also so, wie Regenauer befürchtet? Er schreibt auf seinem Blog: «Palantirs zentralisierter Datenpool wird sich zum mächtigsten Unterdrückungsinstrument der Zivilisationsgeschichte auswachsen.» Oder will Thiel die Menschheit vor so einer dystopischen Zukunft bewahren?
Beten per App
«Die Nachricht wirkt zunächst harmlos: Eine katholische Gebets-App namens Hallow erobert die Download-Charts. Nutzer können sich Gebete vorsprechen lassen, spirituelle Ratschläge erhalten. Sogar während des Super Bowl läuft Werbung für die App – der teuerste Werbeslot der Welt. Doch was diese Geschichte bemerkenswert macht, sind die Investoren: US-Vizepräsident J.D. Vance und Peter Thiel, der deutschstämmige Tech-Milliardär und PayPal-Mitgründer. (…)
Was als Investment in eine Gebets-App begann, entpuppt sich als Teil eines größeren Plans: der Erschaffung einer neuen amerikanischen Identität, die sich nicht mehr an universellen Menschenrechten oder internationaler Kooperation orientiert, sondern an der Vorstellung, das letzte Bollwerk gegen den Untergang der Zivilisation zu sein.» (BR24, 16.6.2025)
Der US-Milliardär sieht die Bevölkerung dieses Planeten an einem gefährlichen Scheideweg. Nuklear- und Biowaffen sowie Künstliche Intelligenz (KI) drohen seiner Ansicht nach, die biblische Apokalypse bald eintreten zu lassen. Das war auch sein Thema in Esztergom, wo er zwei mögliche Zukunftsszenarien skizzierte: das nukleare Armageddon oder einen «Welteinheitsstaat mit echten Zähnen und echter Macht» – der Antichrist aus der Offenbarung des Johannes, der den Menschen «Frieden und Sicherheit» verspricht, um sie letztlich global zu unterwerfen. Institutionen wie EU oder UN sieht er als mögliche Vorstufen einer solchen «Wohlfahrtsdiktatur mit allmächtiger Überwachungstechnologie». Nach eigenem Bekunden will er also genau das verhindern, was viele ihm viele als Absicht unterstellen.
Katechon und Neoreaktion
Den Ausweg aus dem Zukunftsdilemma sieht Thiel, der schon 2009 Freiheit und Demokratie als miteinander unvereinbar bezeichnete, in einem Konzept aus der Theologie: dem Katechon, der laut Neuem Testament eine von Gott gesandte Macht, die sowohl Armageddon als auch den Antichristen aufhalten kann. Politisiert wurde das Konzept vom Staatsrechtler und rechten Säulenheiligen Carl Schmitt, der den Katechon als christliche Ordnungsmacht interpretierte, die notfalls auch mit autoritären Mitteln und Gewalt eingreifen darf, um die Welt und die Menschheit vor dem Untergang zu bewahren.
Thiel und sein Protegé Curtis Yarvin betrachten die Demokratie mit Skepsis.
Sein ehemaliger Schützling Vance folgt ihm offenbar in dieser Ansicht: 2022 erklärte der heutige Vize von Trump in einem Livestream, es sei notwendig, «die aktuelle amerikanische Führungsschicht komplett zu ersetzen, wie einen Tumor herauszureißen» und stattdessen «ein Bewusstsein für eine amerikanische politische Religion zu schaffen». Ein anderer Protegé des deutsch-amerikanischen Investors geht sogar noch weiter: der Software-Entwickler Curtis Yarvin, in dessen Unternehmen Tlon er zeitweise investierte und mit dem ihn seit über zehn Jahren eine persönliche Freundschaft verbindet. Yarvin veröffentlichte von 2007 bis 2014 unter dem Pseudonym Mencius Moldbug auf seinem Blog Unqualified Reservations zahlreiche Theorietexte, in denen er sich etwa für die Ersetzung der liberalen Demokratie durch eine Quasi-Monarchie aussprach, die von einer Technokratenregierung mit einem CEO an der Spitze wie ein Unternehmen geführt werden solle. Am besten wäre es, so Yarvin alias Mencius Moldbug, die derzeit bestehenden Nationen in eine Vielzahl von Kleinstaaten umzuwandeln, die als private Aktiengesellschaften geführt würden. In diesen genössen dann nur die Anteilseigner Mitbestimmungsrechte. Großes Vorbild ist dabei für ihn Singapur. Tatsächlich tendieren dort die demokratischen Rechte gen null, der allgemeine Wohlstand befindet sich hingegen auf einem hohen Level, was einhergeht mit großer Zufriedenheit der Bevölkerung.
Mit seinen Thesen wurde Yarvin zu einem der bekanntesten Vertreter der sogenannten Neoreaktionäre, kurz NRx – einer ebenso virtuellen wie kurzlebigen Bewegung, die bald ein Revival erleben könnte. Nicht wenige Neoreaktionäre sind enttäuschte Linke, Yarvin selbst kommt aus der libertären Ecke, verbindet solche Ansätze mit dem Erfindergeist des Silicon Valley und rechten Konzepten wie der Staatstheorie Schmitts. Bei Trumps Amtseinführung im Januar saß er im Publikum – auf Einladung von Thiel-Zögling Vance. So schließt sich der Kreis.
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