Deutschland

Stasi-Informanten, SED-Funktionäre und Verfassungsfeinde: Das letzte Aufgebot der Linken

Stasi-Informanten, SED-Funktionäre und Verfassungsfeinde: Das letzte Aufgebot der Linken
Berlin: Gregor Gysi und Klaus Lederer beim Queer-Empfang der Fraktion DIE LINKE im Bundestag

Nur durch ein Wunder ist der Linkspartei der Einzug in den 20. Deutschen Bundestag gelungen. Obwohl sie unter der Fünf-Prozent-Hürde blieb, darf sie 39 Abgeordnete in das deutsche Parlament entsenden. Wer vertritt die Partei demnächst im Bundestag – und wer muss seine Sachen packen? Ein Blick in die künftige Fraktion der Linken.

von Hubertus Knabe

Der Mann, der die Linke vor dem Untergang gerettet hat, ist ein unscheinbarer Grundschullehrer aus Leipzig. Ohne den 44jährigen Sören Pellmann hätte die Partei mit ihrem Wahlergebnis von 4,9 Prozent nicht erneut in den Bundestag einziehen dürfen. Nur weil er – neben den Altvorderen Gregor Gysi und Gesine Lötzsch – ein Direktmandat erreichte, gilt für die Linke die Fünf-Prozent-Klausel nicht.

Die Linke profitiert dabei vom Bundeswahlgesetz, das einer Partei den Einzug in den Bundestag ermöglicht, wenn sie mindestens drei Direktmandate erringt. Ihr kommt aber auch die Geschäftsordnung des Bundestages zugute, der zufolge die Anzahl der Abgeordneten – und nicht der Wählerstimmen – darüber entscheidet, ob eine Partei eine Fraktion bilden darf. Da die Stimmen für die sonstigen Parteien unter den Tisch fallen, kommt die Linke im Bundestag auf 5,3 Prozent und überschreitet damit doch noch die Fünf-Prozent-Hürde. Trotz ihres schlechten Wahlergebnisses kann sie deshalb die Vorrechte einer Fraktion in Anspruch nehmen.

Allerdings hat sich die Zahl der linken Bundestagsabgeordneten fast halbiert. Gehörten bislang 69 Parlamentarier zur Linksfraktion, sind es jetzt nur noch 39. Da einige Abgeordnete, darunter die beiden Parteivorsitzenden Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow, neu in den Bundestag einziehen, müssen fast 40 MdBs ihre Büros räumen.

Stasi-Informanten und SED-Funktionäre

Um einschätzen zu können, wie die Linke im Bundestag künftig agieren wird, lohnt es sich, zuerst einen Blick auf die scheidenden Abgeordneten zu werfen. Mit deren Abgang wirft die Partei nämlich auch eine ganze Menge politischen Ballast ab. Zu ihnen zählen nicht nur ehemalige Stasi-Mitarbeiter und einstige SED-Funktionäre, sondern auch bekennende Linksextremisten.

Nicht mehr der Fraktion angehören wird zum Beispiel der frühere Landesvorsitzende der Linken in Brandenburg, Thomas Nord. In der DDR bespitzelte er als Leiter eines Jugendklubs für die Stasi kritische Jugendliche und Kollegen; 1984 wurde er hauptamtlicher Funktionär. Ebenso ausscheiden wird der ehemalige Parteivorsitzende in Niedersachsen, Diether Dehm, der in Westdeutschland für die Stasi arbeitete den ausgebürgerten Liedermacher Wolf Biermann ausforschte. Während Nord von sich aus auf eine erneute Kandidatur verzichtet hatte, hatte es Dehm bei der Kandidatenaufstellung nur auf den erfolglosen Listenplatz sechs geschafft.

Auch die ehemalige SED-Funktionärin Heidrun Bluhm muss die Fraktion bald verlassen. In der DDR arbeitete sie als Dozentin für Marxismus-Leninismus am Institut des ZK der SED in Schwerin, wo sie sozialistische Funktionäre ausbildete. Dasselbe Schicksal ereilte ihre Fraktionskollegin Birke Bull-Bischoff, die bis 1989 hauptamtliche Mitarbeiterin der FDJ-Bezirksleitung Halle war.

Kleiner geworden ist auch die Zahl der Linksextremisten in der Fraktion. Die innenpolitische Sprecherin, Ulla Jelpke, die der vom Verfassungsschutz beobachteten Antikapitalistischen Linken (AKL) angehört, hat mit 70 Jahren nicht wieder kandidiert. Die bisherige stellvertretende Fraktionsvorsitzende Heike Hänsel, die einst die AKL mitbegründete, scheidet dagegen unfreiwillig aus, weil in Baden-Württemberg nur die ersten drei Kandidaten auf der Landesliste den Einzug in den Bundestag schafften.

Auf der Strecke blieb auch die bisherige verteidigungspolitische Sprecherin Christine Buchholtz. Wie Parteichefin Wissler kam sie über die trotzkistische Organisation „Linksruck“ in die Partei. Dort gehört sie der Sozialistischen Linken (SL) an, die ebenfalls vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Auf der hessischen Landesliste stand sie auf Platz 3, doch selbst der reichte nicht, um in den Bundestag einzuziehen.

Ost-Pragmatiker gegen West-Fundamentalisten

Das Ausscheiden dieser und weiterer Abgeordneter bedeutet allerdings nicht, dass sich die neue Linksfraktion grundsätzlich von der alten unterscheidet. Sie ist zwar kräftig geschrumpft, doch an der politischen Ausrichtung und den internen Konflikten hat sich wenig geändert. Pragmatiker mit SED-Vergangenheit stehen weiterhin linken Fundamentalisten vor allem aus Westdeutschland gegenüber. Hinzukommen persönliche Aversionen, insbesondere zwischen der ehemaligen Parteivorsitzenden Katja Kipping und der früheren Fraktionschefin Sahra Wagenknecht.

So ist die neue Linksfraktion mehr denn je ostdeutsch dominiert. Mit 15 Abgeordneten stellen die in der DDR Sozialisierten fast 40 Prozent der Parlamentarier. Jeder fünfte Abgeordnete gehörte schon der SED an – ein Hinweis darauf, dass der Generationenwechsel im Osten nur unzureichend gelungen ist. Die prominentesten von ihnen sind Gregor Gysi (SED-Mitglied seit 1967), Fraktionschef Dietmar Bartsch (SED-Mitglied seit 1977) und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (SED-Mitglied seit 1983). Aber auch der ehemalige Brandenburgische Finanzminister Christian Görke (SED-Mitglied seit 1985), der neu in den Bundestag eingezogen ist, sowie die bisherigen Vizefraktionschefs André Hahn (SED-Mitglied seit 1985), Gesine Lötsch (SED-Mitglied seit 1984) und Petra Sitte (SED-Mitglied seit 1981) gehören zur alten Garde.

Der große Anteil ehemaliger DDR-Bürger in der Fraktion steht nicht nur im Kontrast zum überwiegend westdeutschen Wahlvolk. Er passt auch nicht besonders zur zunehmend linksalternativen Programmatik der Partei, zum Beispiel in der Einwanderungsfrage. Vor allem bei älteren Wählern im Osten stößt diese auf wenig Gegenliebe. Die alten Zugpferde Gysi, Bartsch, Lötzsch und Co. erscheinen dadurch wie ein Relikt aus alten Tagen, als die Partei im Osten noch Volkspartei war. Spätestens bei den nächsten Wahlen – wenn Gysi 77 ist – werden sie wohl durch jüngere, weniger bekannte Kandidaten ersetzt werden müssen.

Die altgedienten Funktionäre stehen freilich auch für den Willen zur Machtausübung. Das Lager derjenigen, die von einer rot-grün-roten Koalition träumen, hat in der neuen Fraktion deutlich mehr Gewicht gewonnen. Die neu in den Bundestag eingezogene Parteichefin Hennig-Wellsow und ihre Vorgängerin Kipping, die die DDR nur noch als Kind erlebt haben, gehören ebenso dazu wie die aus dem Westen stammenden Abgeordneten Jan Korte und Caren Lay sowie weitere MdBs.

Dass der Anteil der Regierungsbefürworter in der Fraktion gewachsen ist, nutzt diesen allerdings nichts. In den nächsten vier Jahren sind sie vielmehr zur Opposition verdammt. Sie müssen nun ihre ersehnten Bündnispartner kritisieren, jedenfalls dann, wenn es zu einer Ampel-Koalition kommt. Von vielen in der Partei werden sie zudem für das schlechte Abschneiden mitverantwortlich gemacht, weil die Linke durch die Offerten an Rot-Grün an Profil verloren hätte. Tatsächlich haben über eine Millionen frühere Linken-Wähler dann gleich das Original, nämlich SPD und Grüne, gewählt, während mehr als 350.000 von ihnen gar nicht mehr zur Wahl gingen.

Linke Verfassungsfeinde

Die linken Fundamentalisten werden deshalb versuchen, die Partei wieder auf einen radikaleren Kurs zu trimmen. In der neuen Fraktion stellen sie etwa ein Drittel der Abgeordneten, so dass Konflikte vorprogrammiert sind. Zu den Radikalen gehört nicht nur Parteichefin Wissler, sondern auch die bayerische Abgeordnete Nicole Gohlke, die aus derselben trotzkistischen Gruppierung Marx21 kommt wie Wissler.

Auch die Abgeordneten Matthias Birkwald und Sevim Dagdelen gehören innerparteilichen Strömungen an, die vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft werden. Die Abgeordnete Gökay Akbulut wurde vom Verfassungsschutz beobachtet, weil sie mit Gruppen zusammengearbeitet haben soll, die die verbotene Terrororganisation PKK unterstützen. Ähnliches wird auch Dagdelen vorgeworfen.

Zum linken Flügel gehören darüber hinaus die früheren Parteichefs Bernd Riexinger und Klaus Ernst. Beide sind jedoch schon über 65 Jahre alt und werden in den ihnen verbleibenden Jahren auf der Oppositionsbank keinen besonders großen Ehrgeiz mehr entwickeln. Für Schlagzeilen sorgen könnte schon eher die stellvertretende Parteivorsitzende Martina Renner, die 2019 im Bundestag einen Ordnungsruf erhielt, weil sie mit einem Anstecker der Antifa eine Rede hielt. Als unberechenbar gilt auch der Abgeordnete Andrej Hunko, der Einreiseverbot in die Ukraine bekam, weil er sich dort mit dem selbsternannten Staatschef der „Volksrepublik Donezk“ traf. Zusammen mit Nicole Gohlke und zwölf weiteren Abgeordneten blieb er 2011 auch einer Abstimmung der Fraktion fern, in der diese Boykottaufrufe gegen israelische Produkte ablehnte.

Und dann ist da noch Sahra Wagenknecht – die vermutlich populärste Linken-Politikerin. Eigentlich gehört sie ebenfalls zum linken Flügel, hat dort aber viele Feinde, vor allem wegen ihrer Kritik an der Einwanderungspolitik ihrer Partei. Auch mit ihrem im Wahljahr erschienenen Buch „Die Selbstgerechten“ zog sie den Unmut vieler Genossen auf sich. Ex-Parteichef Riexinger geißelte zum Beispiel einige ihrer darin vertretenen Thesen als „völlig falsch“, „spießig-reaktionär“ und „dürftige Analyse“. Ihr Ehemann Oskar Lafontaine verbindet zudem eine langjährige Feindschaft mit dem Abgeordneten Thomas Lutze. Diese gipfelte darin, dass Lafontaine dazu aufrief, im Saarland nicht die Linke zu wählen.

Bleiben schließlich noch die sieben neuen Fraktionsmitglieder. Von manchen ist bislang nicht abzusehen, in welche Richtung sie sich orientieren werden. Drei von ihnen – Ali Al Dailami, Ina Latendorf und Wagenknechts früherer Mitarbeiter Christian Leye – haben bislang nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag, geschweige denn ein deutliches politisches Profil. Auffallend ist auch der gestiegene Anteil von Abgeordneten mit ausländischen Wurzeln, was vom Wähler, besonders in Ostdeutschland, nicht unbedingt honoriert werden dürfte.

Dass die Linke mit der neuen Fraktion aus ihrem Tief alsbald wieder herausfindet, ist vor diesem Hintergrund wenig wahrscheinlich. Außer Gysi und Wagenknecht gibt es niemanden darin, der über das Kernklientel hinaus ausstrahlt. Auch die politischen Forderungen nach mehr Lohn, höheren Steuern für Leistungsträger und mehr Staatsausgaben wirken in Zeiten der zunehmenden globalen Wirtschaftskonkurrenz wenig innovativ und überzeugend. Schließlich dürfte zumindest Gysis Direktmandat, wahrscheinlich aber auch das von Lötzsch bei den nächsten Wahlen wegfallen. So spricht denn einiges dafür, dass die neue Bundestagsfraktion der Linken ihr letztes Aufgebot ist.

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