Seit einem Monat hat der Bundestag eine neue, deutlich verschärfte Hausordnung. Offiziell geht es darum, Extremisten aus dem Parlament herauszuhalten. Kritiker warnen dagegen vor Willkür. Dürfen die AfD-Abgeordneten bald keine AfD-Mitglieder mehr beschäftigen?
Der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Im Fall der Hausordnung des Deutschen Bundestags versteckt sich der Beelzebub in „Ziffer III. 2. der Anlage 3 der ZuV“, wie es im Bürokratendeutsch des Parlaments heißt. Dahinter verbirgt sich die „Erklärung zum Datenschutz anläßlich des Antrages zum Betreten des Deutschen Bundestages“. Was harmlos klingt, birgt einen erheblichen politischen Sprengstoff. Denn: Dort wird definiert, unter welchen Voraussetzungen Besuchern aber auch Mitarbeitern des Parlaments, der Fraktionen und der Abgeordneten der Zugang zum Bundestag verwehrt werden kann.
Bis zum 10. März ging es dabei vor allem um rechtskräftige Verurteilungen bei schweren Straftaten, Staatsschutzdelikten oder wenn Erkenntnisse zur organisierten Kriminalität oder Rauschgiftdelikten bestehen, „die darauf schließen lassen, daß künftig solche Straftaten begangen werden“.
Verfassungsschutz darf mitreden
Seit dem 10. März allerdings wurde der Kriterien-Katalog erheblich erweitert. Eine Zuverlässigkeit liegt nun ebenfalls nicht vor, wenn es um Bestrebungen gegen die „freiheitlich demokratische Grundordnung“, den „Gedanken der Völkerverständigung“ oder „sonstige verfassungsfeindliche Aktivitäten oder sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes“ geht und diese „nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalles ein Risiko für die Funktions- und Arbeitsfähigkeit, die Sicherheit, Integrität oder Vertrauenswürdigkeit des Deutschen Bundestages oder sonstiger parlamentarischer Rechtsgüter“ darstellen.

Betroffen davon sind insbesondere Personen, die in den vergangenen vier Jahren Vereinigungen unterstützt haben, die vom Bundesverfassungsgericht verboten wurden oder eine „Organisation unterstützen oder unterstützt haben oder deren Mitglieder sind oder waren, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt ist oder wurde“, wie es etwas kryptisch heißt.
Dürfen eigene Parteimitglieder bald nicht mehr angestellt werden?
Unter die letztere Kategorie fallen auch der mittlerweile aufgelöste Bundesverband der ehemaligen AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA) sowie die AfD-Landesverbände in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Heißt das also, daß die Abgeordneten der AfD keine Mitarbeiter aus der langjährigen eigenen Jugendorganisation anstellen dürfen? Und wird AfD-Mitgliedern aus Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt der Zutritt zum Bundestag verwehrt?
Ganz so einfach ist es nicht. Denn es handelt sich um eine Kann-Bestimmung. Auf Anfrage teilt ein Sprecher des Bundestages mit, daß zwar auf Grundlage der Hausordnung „ein Antrag auf Ausstellung eines Bundestagsausweises oder für die Zugangsberechtigung zu den IT-Systemen des Deutschen Bundestages abgelehnt werden“ könne, wenn „begründete Zweifel an der Zuverlässigkeit der antragstellenden Person bestehen“. Allerdings werde jeder „konkrete Einzelfall“ von der Bundestagsverwaltung geprüft und rechtlich bewertet. Und da es sich bei der Entscheidung um einen Verwaltungsakt handelt, kann gegen diesen auch vor den Gerichten geklagt werden.
AfD: Hausordnung „greift tief in die Rechte und Freiheiten der Abgeordneten ein“
Dennoch zeigt sich die AfD alarmiert. „Die neue Hausordnung – von der Präsidentin mit Unterstützung von Union, SPD und Grünen so verkündet – greift tief in die Rechte und Freiheiten der Abgeordneten ein“, warnt der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann, gegenüber der Redaktion. Insbesondere die Tatsache, daß nun auch Erkenntnisse der Verfassungsschutzämter bei der Bewertung, ob jemand ein Sicherheitsrisiko darstellt, abgefragt werden, bringt den Politiker auf die Palme. „Viele Jahrzehnte lang reichte ein unbeflecktes polizeiliches Führungszeugnis aus, um Mitarbeitern den Zugang zum Bundestag zu ermöglichen, soll jetzt der sogenannte Verfassungsschutz eine entscheidende Rolle spielen.“ Die Ämter seien „den Innenministern unterstellt – und diese mißbrauchen ihn zu parteiischen Zwecken – gegen den politischen Wettbewerber AfD“, monierte Baumann.
Auf einen anderen Aspekt weist sein Bundestagskollege Stephan Brandner hin. „Eingeführte und definierte Rechtsbegriffe wie ‘Gefahr’ werden durch neu eingeführte unbestimmte Begriffe, wie ‘Risiko’ ersetzt.“ Wer künftig als unzuverlässig erklärt werde – befürchtet Brandner – bekomme auch keinen Zugang zu den IT-Systemen des Bundestages „und somit ein faktisches Berufsverbot“.
Juristen treten auf die Bremse
Gibt es denn schon Fälle, bei denen Mitarbeiter der AfD keinen Hausausweis bekommen haben, weil ihnen die Verfassungstreue abgesprochen wird? „Bei der Fraktion gibt es noch keinen Fall, bei dem Mitarbeitern der Zutritt zum Bundestag oder zu seinen IT-Systemen verwehrt wurde.“ Bei den Mitarbeitern der Abgeordneten habe man noch keinen vollständigen Überblick, heißt es von Baumann.
Einen generellen Ausschluß von AfD- oder ehemaligen JA-Mitgliedern gibt es bisher nicht. Nach AN-Informationen haben zahlreiche Funktionäre der mittlerweile aufgelösten Jugendorganisation bereits einen Hausausweis erhalten – darunter auch frühere Landesvorsitzende der JA.
Bayern scheiterte mit Gehaltsentzug
Das dürfte auch daran liegen, daß Juristen einen Ausschluß von Tätigkeiten im Bundestag nur wegen der Mitgliedschaft einer vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuften Gruppierung bisher verneinen. In einem Gutachten für den Bundestag des Bonner Rechtswissenschaftlers Klaus Ferdinand Gärditz, das der Redaktion„Aus der abstrakten Mitgliedschaft läßt sich noch nicht der Schluß ziehen, daß jedes Mitglied einer Partei oder Organisation automatisch ein Sicherheitsrisiko begründet.“ Es bedürfe stets einer Einzelfallprüfung.
Wie hoch die Hürden sind, jemandem die Arbeit in einem Parlament zu verwehren, mußte zuletzt Bayerns Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) erfahren. Dort wurden Pläne, vier Mitarbeitern von AfD-Abgeordneten wegen deren Mitgliedschaft in der vom bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz als extremistisch eingestuften Burschenschaft Danubia zu streichen, schnell wieder auf Eis gelegt. Ein dann in Auftrag gegebenes Gutachten kam zu dem Ergebnis, daß solche Maßnahmen nur in bestimmten Ausnahmefällen möglich wären. Etwa bei der Spionage für einen fremden Staat – was ohnehin unter Strafe steht.
Allzu lange hofften allzu viele, die AfD wäre nur eine vorübergehende Störung deutscher Normalität. Ab- und Ausgrenzen schien auszureichen, um mit der neuen Partei fertigzuwerden. Das erwies sich als Irrtum. Der Umgang des politischen und medialen Establishments mit den verhassten "Rechtspopulisten" bewirkte das genaue Gegenteil.
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