Im vergangenen Jahr stellte der Bundestag beim Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus erstmals die homosexuellen Opfer in den Vordergrund. Dabei gedachte man ausgerechnet eines Kinderschänders in besonderer Weise.
von Max Roland
„Totgeschlagen, totgeschwiegen“ – mit diesem Spruch wird den schwulen Opfern des Nationalsozialismus oft gedacht. Lange war das Gedenken an die vom NS-Regime verfolgten Homosexuellen ein „blinder Fleck“ – auch, weil die NS-Kriminalisierung sich in der alten Bundesrepublik noch bis in die 60er-Jahre fortsetzte. Im vergangenen Jahr stellte der Deutsche Bundestag bei seinem jährlichen Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus erstmals die homosexuellen Opfer in den Vordergrund – auch ein Herzensanliegen von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD).
Das war im Grundsatz nicht falsch – aber zweifellos vor allem ideologisch getrieben. Das merkte man schon damals auch daran, dass plötzlich von „queeren Opfern“ die Rede war – wo doch eigentlich schwule Männer, nicht Lesben oder Transsexuelle verfolgt wurden. Doch das Gedenken sollte politisch vereinnahmt und instrumentalisiert werden, um es direkt an die linken Kulturkämpfe der Gegenwart anzuknüpfen. Verantwortlich für diese Inszenierung war der Historiker Lutz van Dijk – er hatte diese Gedenkveranstaltung in langjähriger Lobbyarbeit durchgesetzt und geplant. Ins Zentrum stellte er zwei Menschen, die angeblich wegen ihrer Homosexualität durch die Nazis verfolgt wurden: Karl Gorath und Mary Pünjer.
Doch diese beiden als „Gallionsfiguren“ für die Verfolgten zu nehmen, könnte falscher nicht sein. Pünjers Name ist fehl am Platz, weil Lesben durch die Nazis nicht für ihre Sexualität verfolgt wurden – und auch die Darstellung Goraths entpuppt sich beim näheren Hinsehen als fatale Inszenierung.
Pädophiler Wiederholungstäter als schwules NS-Opfer inszeniert
Denn Karl Gorath war nicht wegen einvernehmlicher Homosexualität nach Paragraf 175 verurteilt worden, sondern wegen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen nach den Paragrafen 176 und 175a. Der Historiker Alexander Zinn arbeitet dies in einem Gastbeitrag für die Welt auf. Er wirft dem für die Gedenkfeier verantwortlichen Historiker Lutz van Dijk vor, Warnzeichen ignoriert und aus ideologischer Motivation unsauber gearbeitet zu haben.
Denn die Warnsignale waren offensichtlich, schreibt Zinn: So war schon seit langem bekannt, dass Gorath zu einer Zuchthausstrafe verurteilt wurde und diese in Celle verbüßte. Zuchthausstrafen wurden jedoch nicht wegen „einfacher“ Homosexualität nach Paragraf 175 verhängt, sondern hauptsächlich bei „qualifizierter“ Homosexualität nach Paragraf 175a, insbesondere bei der „Verführung“ von Jugendlichen. All das belegt auch die Akte von Gorath, die seit Jahren bekannt und zugänglich ist. Eine einfache Anfrage beim Landesarchiv Niedersachsen hätte auch die gesamte Zuchthausakte von Gorath ans Licht gebracht, die seine Vorstrafen im Detail dokumentierte, schreibt Historiker Zinn.
Gemäß dieser Akte wurde Gorath 1934 erstmals nach Paragraf 176 wegen „unzüchtiger Handlungen“ mit Kindern verurteilt. Ähnliche Vergehen häuften sich. Zuletzt wurde er 1939 straffällig: In einem Versorgungsheim, in dem er als Krankenpfleger tätig war und auch für die Aufsicht von Jugendlichen verantwortlich war, übte er sexuelle Belästigung gegenüber einem 15-Jährigen aus. Im Verlauf des Verfahrens wurde festgestellt, dass er auch andere Jugendliche, die ihm anvertraut waren, belästigt hatte.
Bärendienst für verfolgte Homosexuelle
All dies hätte Lutz van Dijk als Historiker, der mit Quellenarbeit vertraut sein muss, wissen können und wissen müssen. Stattdessen verfasste er – entweder mit Vorsatz oder aus Nachlässigkeit – eine Gedenkrede, die Gorath zu einem völlig unschuldigen NS-Opfer stilisierte, der wegen einvernehmlicher Homosexualität nach Paragraf 175 verurteilt wurde, weil er sich „mit anderen Männern“ traf. Ausgerechnet einen pädophilen Sextäter schrieb Dijk zu einem Märtyrer der Homosexuellenbewegung hoch – und schlägt damit in die alte Kerbe der Homophoben, die in jedem Schwulen ohnehin nur einen verkappten Pädo erkennen wollen.
Die Verleumdung von Homosexuellen als pädophil ist einer der ältesten Methoden der Schwulenhasser – und genau dieser Verleumdung liefert eine Bundestags-Gedenkstunde neue Munition. Zinn, selbst homosexuell, urteilt: Die Gedenkfeier „hat den in der NS-Zeit verfolgten Homosexuellen damit einen Bärendienst erwiesen.“
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