Deutschland

Stasi-Methoden: Schülerin von Polizei aus Unterricht abgeführt

Stasi-Methoden: Schülerin von Polizei aus Unterricht abgeführt
Vermeintlich verfassungsfeindlich: Direktor lässt Schülerin während Unterricht von Polizei abholen

In Mecklenburg-Vorpommern wird ein 16-jähriges Mädchen vor den Augen ihrer Mitschüler plötzlich von drei Polizisten aus dem Unterricht geholt. Das Vergehen: Sie sagt auf TikTok, dass Deutschland ihre Heimat sei und nicht nur ein Ort auf der Landkarte. Denunziert wird die Schülerin vom eigenen Direktor.

von Martina Meckelein

„Ich bin entsetzt“, sagt die Mutter. Und die Stimme der Frau zittert vor Empörung: „Das ist so eine heftige, mit Verlaub, Stasischeiße, ich hätte das in meinem ganzen Leben nicht für möglich gehalten, was meiner Tochter hier angetan wurde.“ Ihre Tochter, wir nennen sie Miriam, ist 16 Jahre alt. Sie ist Schülerin des Richard-Wossidlo-Gymnasiums in Ribnitz-Damgarten in Mecklenburg-Vorpommern. Wir haben die Personen anonymisiert, um sie zu schützen – die Frage ist nur: Vor wem?

Rückblick: 27. Februar. Während Miriam morgens in der Schule sitzt und büffelt, greift Schuldirektor Jan-Dirk Zimmermann zum Telefon. „Gegen 09:45 Uhr informierte der Schulleiter die Polizei über einen möglicherweise strafrechtlichen Sachverhalt“, erklärt Marcel Opitz, der Pressesprecher der zuständigen Polizeiinspektion Stralsund, den Ablauf des Geschehens. „Demnach lägen Informationen vor, wonach eine 17jährige Schülerin mutmaßlich verfassungsfeindliche Inhalte in sozialen Netzwerken verbreitet haben könnte. Es wurde ein Funkwagen zur Schule entsandt, um diesen Sachverhalt zu prüfen.“

In der Streife sitzen drei Polizeibeamte („aufgrund einer ungeraden Anzahl Beamter in der Frühschicht“), heißt es in der Antwort-Mail der Polizei auf den Fragenkatalog dieser Zeitung. Sie fahren zum Richard-Wossidlo-Gymnasium in Ribnitz-Damgarten. Die Beamten nehmen den Sachverhalt auf, doch „ein Anfangsverdacht einer Straftat konnte mithin nicht festgestellt werden“, sagt Pressesprecher Opitz.

SPD-nahe Stiftung präsentiert sich in der Schule

Was war denn nun der Grund für diesen Anruf des Direktors bei der Polizei? „Meine Tochter“, sagt die Mutter, „hatte vor einigen Monaten auf TikTok ein Schlümpfe-Video gepostet. Da heißt es, daß die Schlümpfe und Deutschland etwas gemeinsam haben: Die Schlümpfe sind blau und Deutschland auch. Das war wohl ein witziger AfD-Werbe-Post. Und dann hat sie einmal gepostet, daß Deutschland kein Ort, sondern Heimat ist.“

Vielleicht war Schuldirektor Zimmermann in dieser Zeit auch ganz beseelt von der Nazijagd unter seinen Schülern? Immerhin war aktuell, so schrieb er noch am 29. Februar 2024 auf der Internetseite des Gymnasiums, eine Ausstellung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema „Demokratie stärken“ in der Schulaula zu sehen. „Am 23. Februar fand die Eröffnung in Anwesenheit eines Vertreters der Friedrich-Ebert-Stiftung MV, des Bürgermeisters der Stadt Ribnitz-Damgarten und Vertretern der Bürgerschaft statt“, bemerkt der Direktor, wie es scheint nicht ohne Stolz so viele Honoratioren in empfangen zu haben.

„Alle Anwesenden betonten, daß ein zunehmend dominanter Rechtsextremismus die Debattenkultur auch in unserem Raum erschwert und die demokratische Grundordnung willentlich gefährdet.“ Da muß ein deutscher Pädagoge natürlich gegenhalten – und da ist ein Anruf bei der Polizei ja wohl das Mindeste, wenn es um den Begriff Heimat und blaue Schlümpfe geht.

Drei Polizisten im Klassenzimmer

Die Hüter des Gesetzes machen sich also auf zum Chemieraum, denn dort wird gerade Miriam unterrichtet. „Meine Tochter erzählte mir später, daß die drei Polizisten plötzlich im Raum standen und sie abholten. Das ist das, was mich so unfaßbar wütend gemacht hat.“ Die Mutter schildert weiter, daß ihre Tochter von den Beamten eskortiert wurde. „Als ob sie eine Verbrecherin sei. Durch die ganze Schule hindurch. Da sind über 500 Schüler drauf. Es ist unglaublich. Und dann ging es das ganze Schulgebäude hindurch zum Lehrerzimmer.“

Dort angekommen, ist noch der Schulsekretär anwesend. „Und dann sagten die Polizisten zu meiner Tochter, daß zu ihrem eigenen Schutz die Beamten sie darum bitten möchten, solche Posts in Zukunft zu unterlassen. Die wußten also vorher, was meine Tochter gepostet hatte, sie wußten, daß es nicht strafbar war und trotzdem dieser Aufmarsch, diese Drohungen, diese Unterdrückungen der Meinungsfreiheit.“

„Zum Glück hat meine Tochter einen starken Charakter“

Miriam erzählt zu Hause alles der Mutter. „Zum Glück hat meine Tochter einen starken Charakter. Sie wurde schon einmal von einer Lehrerin, die mit einem Türken verheiratet ist, angesprochen. Das könne doch nicht wahr sein, daß meine Tochter AfD wählen würde, ob sie wolle, daß ihr Mann und ihre Kinder zurück in die Türkei müßten?“ Bei Miriams Mutter ist nun die Schmerzgrenze erreicht.

„Ich rief in der Schule beim Direktor an. Ich sagte, ‘Herr Zimmermann, wenn Sie meinen, daß mit meiner Tochter etwas nicht stimmt, reden Sie erst mit mir!‘ Da sagte der Direktor zu mir, daß er das nicht dürfe, er habe die Auflage, sofort die Polizei zu informieren.“

Plötzlich geht es um Volksverhetzung

Unsere Redaktion bei der Polizei nach, wie man solch ein „Gespräch“ zwischen Polizisten und Jugendlichen eigentlich bezeichnet und was man ihr jetzt konkret vorwirft. „Nach der Feststellung, daß nach vorliegenden Informationen kein strafrechtlicher Sachverhalt vorzuliegen scheint, wurde mit der Schülerin eine Art „Gefährderansprache“, hier ein normenverdeutlichendes Gespräch gemäß Paragraph 13 SOG M-V geführt“, so Polizeisprecher Opitz, „um letztlich auch aufzuzeigen, daß es Straftatbestände wie § 86a StGB und andere gibt“.

Das muß man übersetzen: Das „SOG M-V“ ist das Sicherheits- und Ordnungsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern. Paragraph 13 definiert die Allgemeinen Befugnisse: „Die Ordnungsbehörden und die Polizei haben im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder dem Einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird.“

Polizei: Dem Mädchen ist nichts vorzuwerfen

Aber was wurde denn nun dem Mädchen vorgeworfen? „Letztlich nichts“, so Polizeisprecher Opitz, um dann aber doch zwei scharfe Klingen des Strafrechts zu nennen: „Gemäß Legalitätsprinzip galt es den Sachverhalt zu erforschen. Am ehesten in Betracht gekommen wäre ein möglicher Verstoß gemäß § 86a oder § 130 StGB.“ Paragraph 86a Strafgesetzbuch bezeichnet das Zeigen verfassungsfeindlicher oder terroristischer Kennzeichen, zum Beispiel Hakenkreuze, Deutscher Gruß, diverse Runen oder Tattoos mit Mottos wie Blut und Ehre oder ähnliches. Paragraph 130 Strafgesetzbuch stellt Volksverhetzung unter Strafe, zum Beispiel den Haß- und Gewaltaufruf gegen ethnische Gruppen.

Was nun blaue Schlümpfe und der Begriff Heimat mit diesen Straftatbeständen zu tun haben sollen, sei dahingestellt. Miriam hat sich, so die Beamten, nicht strafbar gemacht. Allerdings steht sie jetzt in einem Polizeicomputersystem. Denn die Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern benutzt den Elektronischen Vorgangsassistenten zur Erfassung und Dokumentation von Sachverhalten.

Ministerien ducken sich weg

Polizeisprecher Opitz bestätigt gegenüber dieser Zeitung, daß relevante Daten, auch Personendaten, eingepflegt werden, nach entsprechenden Löschfristen anonymisiert werden „und im Weiteren gelöscht – so auch in diesem Fall“. Im Übrigen ist die Polizei sich sicher, daß die Beamten mit dem Mädchen ohne dessen Eltern und/oder ohne Rechtsbeistand sprechen durften.

Abschließend weist die Polizei diese Zeitung noch auf Folgendes hin: „Falls Sie beabsichtigen, über den Sachverhalt zu berichten, möchte ich abschließend auf das schutzbedürftige Alter des Mädchens hinweisen und bitte, diesen Umstand zu berücksichtigen (Pressekodex).“ Das schutzbedürftige Alter des unschuldigen Mädchens schien während des Spießrutenlaufes durch die Schule allerdings keine besondere Priorität der Beamten gewesen sein.

Der Direktor schweigt

Unsere Redaktion schickte dem Innen- und Bildungsministerium in Mecklenburg-Vorpommern jeweils einen umfangreichen Fragenkatalog. Beide Häuser verwiesen auf die Polizei. Wobei Henning Lipski, Pressesprecher des Bildungsministeriums, behauptete: „Ein schulpsychologischer Unterstützungsbedarf bestand zu keiner Zeit.“ Wie er das vom Schreibtisch aus beurteilen will, bleibt unklar. Ein Teil von Miriams Klassenkameraden sah das wohl anders. „Im Nachgang sind ein paar Schüler zu meiner Tochter gekommen und haben sie getröstet“, sagt Miriams Mutter.

Auch die Schule und Direktor Zimmermann wollen sich nicht äußern. Warum er die Polizei rief, warum er nicht erst den Kontakt mit den Eltern suchte, warum das Mädchens während des laufenden Unterrichts aus dem Klassenraum geholt wird. All das will er auch am Telefon nicht sagen – weil er nichts sagen dürfte. Sollte hier ein politisches Exempel statuiert werden?

AfD holt das Thema in den Landtag

Der bildungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Enrico Schult, selbst Vater zweier schulpflichtiger Kinder, wird diesen Vorfall zum Anlaß nehmen, um ihn im Plenum des Landtags zu debattieren.

Gegenüber der Redaktion sagt er: „Dieser skandalöse Vorgang offenbart, daß unsere Schulen immer mehr zur Gesinnungsschnüffelei benutzt werden sollen. Sofern es dazu tatsächlich eine Anordnung des Bildungsministeriums gab, muß das dort politische Konsequenzen haben. Denn ein Schulleiter sollte sich eher vor seine Schüler stellen und mindestens zuerst die Eltern ins Vertrauen ziehen, anstatt gleich drei Polizisten zu rufen, weil er eine anonyme Denunziations-Mail über eine Schülerin erhält.“

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