Gesundheit

Atemnot fürs Klima

Atemnot fürs Klima
Handlungsempfehlung: „Klimabewusste Verordnung von Inhalativa“

Bei der Behandlung von chronischen Atemwegserkrankungen soll künftig die Klimafreundlichkeit der Medikamente Einfluss auf die Auswahl der Therapieform haben. Auch Kindern soll die Klimaschädlichkeit bestimmter Asthmasprays nahegelegt werden. Immer mehr Ärzte behandeln den Planeten, statt ihre Patienten.

von Larissa Fußer

Stellen Sie sich ein kleines Mädchen vor. Gerade so fünf Jahre alt. Sagen wir, sie heißt Maja. Die Kleine ist noch nicht lange in der Kita, hat sich dort aber bereits einen Ruf gemacht. Immer wieder kann sie irgendwas nicht mitmachen: Fangen spielen, Schatzsuche, überhaupt gemeinsam toben – all das bricht sie schnell ab, fängt an zu keuchen, zieht sich zurück. In der letzten Zeit ist es manchmal so schlimm geworden, dass Maja von ihrer Mutter abgeholt werden musste. Sie war dann ganz blass und aufgebracht, atmete schnell und panisch. Jetzt hat ihre Mutter die Reißleine gezogen und sie zum Kinderarzt gebracht. Schnell ist klar: Maja hat Asthma.

„Was können wir dagegen tun?“, fragt die Mutter. Die Ärztin beginnt über Inhalatoren zu sprechen.  Für einen Moment wird die kleine Maja aus dem Raum herausgeführt und in die Spielecke gesetzt. Die Mutter und die Ärztin unterhalten sich eine Weile allein. Dann öffnet sich die Tür, Maja wird ins Zimmer geholt. Die Mutter setzt sich neben das Kind auf die kleine, dort aufgestellte Sitzbank, beugt sich zu ihr hinunter, greift ihre Hände und sagt mit süßlicher Stimme: „Hör mal, die Ärztin kann dir etwas gegen deinen Husten geben. Dann kannst du wieder besser atmen. Und weißt du, was das Beste ist? Du kannst gleichzeitig auch das Klima schützen. Immer wenn du dein Medikament nimmst, hilfst du den süßen Eisbären am Nordpol. Wollen wir das machen, Maja?“ 

Was wie eine Dystopie klingt, könnte schon bald Alltag in Kinderarztpraxen sein. Der Grund ist eine neu erschienene Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) und der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Unter dem vielsagenden Titel „Klimabewusste Verordnung von Inhalativa“ gibt das Papier Handlungsempfehlungen für Haus- und Lungenärzte, Apotheker, Allergologen und eben auch Kinderärzte, die Patienten mit chronischen Atemwegserkrankungen wie Asthma oder auch chronischer Bronchitis behandeln möchten. Die dafür angewandten Medikamente werden aufgrund der Tatsache, dass sie durch spezielle Apparate eingeatmet werden müssen, Inhalativa genannt. 

„Erste Leitlinie mit Fokus Klimaschutz in Deutschland“

Großspurig wird die Leitlinie in Fachblättern wie der „Arzneiverordnung in der Praxis“ von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) als „Erste Leitlinie mit Fokus Klimaschutz in Deutschland“ beworben. Anders als in anderen Leitlinien, in denen meist die beste Therapie für den Patienten im Mittelpunkt steht, hat dieses Papier vor allem zum Ziel, eine möglichst klimafreundliche Behandlung von Atemerkrankungen durchzusetzen. Konkret schreiben die Autoren, dass sie durch ihre Leitlinie eine „Veränderung des Verordnungsverhaltens von inhalativen Arzneimitteln“ ermöglichen möchten, um „dadurch den CO2 Fußabdruck des Gesundheitswesens zu reduzieren“. 

Die klimabewussten Ärzte haben es dabei auf die sogenannten Dosieraerosole (Asthma-Sprays) abgesehen. Diese Apparate verteilen das in ihnen enthaltene Medikament durch Treibgase nach einem einfachen Sprühstoß in Mund und Lunge. Die Gase ermöglichen, dass der Patient nicht viel Atemarbeit aufwenden muss, um das vernebelte Medikament zu inhalieren.

Anders ist das bei den sogenannten Pulverinhalatoren, bei denen ein im Apparat erhaltenes Medikamentenpulver durch einen tiefen, schnellen Atemzug allein durch die dadurch erzeugte Sogwirkung in die Atemwege gelangen muss. Derzeit werden in Deutschland überwiegend Dosieraersole an Patienten abgegeben, da diese aus den genannten Gründen in der Regel einfacher zu handhaben sind. 

Doch das möchten die Autoren der neuen Leitlinie nun ändern. Ihr Argument: In Bezug auf die Therapiewirkung stünden richtig eingesetzte Pulverinhalatoren den Dosieraerosolen in nichts nach. Die Treibgase in den Sprays hätten aber im Gegensatz zum Pulver ein „vielfach höheres Schädigungspotential für die Atmosphäre“, auch genannt „Global Warming Potential“ (GWP). Die Ärzte erläutern: „Während CO2 ein GWP von 1 hat, hat das in den meisten DA verwendete Norfluran (HFA 134a) ein GWP von 1.530, das ebenfalls eingesetzte Apafluran (HFA-227ea) ein GWP von 3.600.“

Grafiken für das schlechte Gewissen

Also möchte man nun Patienten und Ärzte ermuntern, dem Klima zuliebe häufiger auf die klimaschonenden Pulverinhalatoren auszuweichen. Konkret heißt es in der Leitlinie: „Bei Jugendlichen >12J/Erwachsenen mit einer obstruktiven Lungenerkrankung soll eine klimabewusste inhalative Therapie (vorzugsweise mit einem DPI) erfolgen. In der Regel gilt dies auch für den bedarfsweisen Einsatz.“ DPI ist eine Abkürzung für Pulverinhalatoren.

Zwar betont man, dass sichergestellt werden muss, dass die Patienten auch mit den Pulverinhalatoren umgehen können, bevor man auf diese ausweicht und es generell in der Entscheidung des Patienten liegen soll, welche Therapieform er bevorzugt. Dennoch empfehlen die Ärzte explizit, dass Patienten gezielt auf die klimaschädigende Wirkung der Dosieraerosole hingewiesen werden sollen und man beispielsweise durch spezielle Grafiken verdeutlichen könne, in welchem Ausmaß eine Umstellung der Therapie eine Einsparung von CO2 ermögliche.

Als Beispiel wird unter anderem eine Grafik mit einem „ökologischen Handabdruck“ präsentiert, aus der hervorgeht, dass eine Umstellung der Inhalationstherapie genauso viele Emissionen spare wie Flugverzicht und sogar mehr als die Nutzung von Sparduschköpfen. Menschen, die an chronischen Atemerkrankungen leiden und derzeit ein Dosieraerosol verwenden, könnte also schon bald ein unangenehm moralisches Gespräch mit dem Arzt erwarten.

Wer in seiner Meinung gefestigt ist, kann dieses zwar mit etwas gereizten Nerven gut wegstecken – anders ist das jedoch sicherlich bei einigen älteren Menschen, die dazu neigen, sich vom Hausarzt sagen zu lassen, was sie tun sollen – und dieser Empfehlung dann ohne zweiten Gedanken zu folgen.

Kinder sollen gezielt über Klimaschädlichkeit aufgeklärt werden

„Gemeinsame Entscheidungsfindung“, wie sie in der Leitlinie gefordert wird, ist hier eine Illusion – und so hängt die Umstellung der Inhalationstherapie allein an der Einschätzung des behandelnden Arztes. Auch wenn es seine Pflicht ist, die Eignung des Patienten für die Umstellung der Therapie zu prüfen, fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, dass sich besonders klimabewusste Ärzte in Grenzfällen eher für das klimafreundliche Medikament entscheiden werden – ganz nach dem Motto „Wir probieren es einfach mal aus“. Für die Patienten bedeutet dies dann im Zweifel eine kraftaufwendigere Therapie, die möglicherweise durch eine fehlerhafte Anwendung zu einer Verschlechterung des Krankheitsbildes führt. 

Doch es gibt noch einen viel unheimlicheren Aspekt der Leitlinie, der die Therapie von Kindern und Jugendlichen betrifft. In einem eigenen Unterpunkt halten die Autoren tatsächlich fest, dass in Zukunft „Kinder und Jugendliche und deren Sorgeberechtigte, bzw. Bezugspersonen über die Hintergründe der klimabewussten Verordnung informiert werden“ sollen. Zudem solle die „Inhalationstechnik und -koordination“ geprüft und bei „entsprechender Kompetenz“ eine Umstellung auf einen Pulverinhalator besprochen werden.

Zwar ist in der Leitlinie nachzulesen, dass die Pulverinhalatoren aufgrund des dafür notwendigen speziellen Atemmanövers für Kinder unter fünf Jahren nicht empfohlen werden. An anderer Stelle heißt es jedoch ebenfalls, dass „die Nennung einer Altersgrenze für den Einsatz spezifischer Inhalativa problematisch“ sei, weil diese von der „individuell sehr unterschiedlich ausgeprägten motorischen und kognitiven Kompetenz“ abhängig wäre. Anstatt strenger Altersgrenzen sollen Ärzte daher vielmehr die „individuellen Fähigkeiten“ der Kinder berücksichtigen. 

Das muss man sich mal vorstellen: Bald sitzen kleine Kinder zusammen mit ihren Eltern beim Kinderarzt und werden in pseudo-partizipativer Weise gefragt, ob sie lieber das umweltfreundlichere oder das leichter einzuatmende Medikament nehmen wollen. Welches Kind traut sich, das leichter zu verwendende Spray zu fordern, wenn die Mama doch immer sagt, dass man sich für die Umwelt einsetzen muss? Wie viele Eltern wird es geben, denen es wichtiger ist, dass ihr Kind klimabewusst agiert, als dass es einen möglichst unbeschwerten Umgang mit seiner Atemerkrankung findet?

Der moderne Arzt will nicht mehr Patienten, sondern die Welt heilen

Allein, dass diese Fragen gestellt werden müssen, steht einer Behandlungsethik entgegen, die in der Medizin mal als Konsens galt. Wer bei seiner Therapiewahl den Klimaschutz im Blick hat, kann rein logisch nicht mehr nach dem ärztlichen Grundsatz handeln, dass allein das individuelle Wohl des Patienten im Mittelpunkt der Behandlung steht. Doch dieses Umdenken in der Medizin setzt sich immer weiter durch. Vor nicht allzu langer Zeit wurde unter Ärzten und in den Medien der klimabewusste Einsatz von Narkosegasen diskutiert. Mit dem klimafreundlichen Einsatz von Inhalativa ist nun die Klimafreundlichkeit als Aspekt der Therapiewahl erstmals offiziell in eine Leitlinie aufgenommen worden. 

Vermutlich sind diese Schritte jedoch erst der Anfang. Bereits 2021 hat sich der Deutsche Ärztetag dafür ausgesprochen, dass das deutsche Gesundheitswesen bis 2030 klimaneutral werden solle. Damals wurde appelliert, insbesondere die CO2-Emissionen der Krankenhäuser und Arztpraxen zu reduzieren. Außerdem sollten Klimaschutzpläne erstellt und Klimaschutzbeauftragte ernannt werden.

Es ist eine Entwicklung, die vor allem eines zeigt: Immer mehr Ärzte verstehen sich inzwischen als Universalheiler, der weniger die Gesundheit seiner sich ihm anvertrauenden Patienten im Sinn hat, sondern gleich die ganze Menschheit und obendrein die Natur, Atmosphäre und womöglich den Weltraum kurieren will. 

Wer so eine riesige Aufgabe hat, kann auch mal das Mitgefühl verlieren, wenn eine kleine Maja keine Lust hat, sich einer anstrengenden Inhalationstherapie zu unterziehen, weil sie auch eine angenehmere Lösung für ihre eh schon nervenaufreibende Erkrankung haben kann. Doch genau diese Entscheidung ist das Recht jedes Patienten. Alles andere ist Sozialismus. 

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