Hintergründe

Heute vor 100 Jahren: Die Schande von Versailles und das Märchen von der deutschen Schuld

Heute vor 100 Jahren: Die Schande von Versailles und das Märchen von der deutschen Schuld
Georges Clemenceau (Frankreich), Woodrow Wilson (Vereinigte Staaten) und David Lloyd George (Großbritannien) zwingen Deutschland unter das Kriegsschuld-Diktat

Heute, am 28. Juni 2019, jährt sich die Schande von Versailles zum 100. Mal. Lange Zeit galt es als ausgemacht, dass das deutsche Kaiserreich wegen seiner angeblichen Großmachtträume die Hauptverantwortung am Ausbruch des Ersten Weltkriegs trägt. Inzwischen haben mehrere renommierte Wissenschaftler Beweise vorgelegt, die nicht etwa Deutschland, sondern Großbritannien als alleinigen Kriegsschuldigen überführen.

von Cyril Moog

„Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären, und Deutschland erkennt an, dass Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des Krieges, der ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungen wurde, erlitten haben.“

So lautet der Artikel 231 des «Friedensvertrages» von Versailles, den die deutsche Delegation am 28. Juni 1919 im Schloss von Versailles unterzeichnen musste, um nicht zu riskieren, dass Deutschland besetzt und die britische Seeblockade, die zu Hunderttausenden von zivilen Toten in Deutschland und Österreich-Ungarn, aber auch in neutralen Staaten wie Dänemark führte, weiterhin aufrecht erhalten werden würde.

Dagegen vertritt der australische Historiker Christopher Clark die These, dass die «Schuld» für den Ersten Weltkrieg keineswegs bei einem einzigen Akteur zu finden sei. Vielmehr sieht er die Ursache in einer verhängnisvollen Kette von Entscheidungen verschiedener Akteure, die zum Krieg geführt haben sollen. Mit seinem Titel The Sleepwalkers (deutsch: Die Schlafwandler: Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, 2012) greift Clark das scheinbar versöhnliche Diktum des ehemaligen britischen Premiers David Lloyd George aus den 1920er Jahren auf, demzufolge keine der europäischen Mächte den großen Krieg wirklich gewollt habe. Vielmehr seien sie alle mehr oder weniger schlafwandelnd blind in die Katastrophe «hineingeschlittert».

Was, wenn es einen solchen Kriegswunsch eben doch gegeben hat? Was, wenn der Krieg erwünscht und von langer Hand geplant gewesen ist – allerdings nicht von deutscher Seite? In ihrem 2013 erschienenen Buch Hidden History: The Secret Origins of the First World War offenbaren Gerry Docherty und Jim Macgregor, wie unser Bild von den damaligen Ereignissen in einem ganzen Netz vorsätzlicher Lügen besteht, das die damaligen Siegermächte sorgfältig gestrickt haben, damit es sich tief in der Psyche festsetzt. Die beiden schottischen Historiker stützen sich dabei auf Fakten und Indizien, die im Laufe der vergangenen Jahrzehnte ans Tageslicht gekommen sind: Tatsächlich habe nicht Deutschland den Ersten Weltkrieg zu verantworten, sondern ein einflussreicher Zirkel in Großbritannien, der lange vor Beginn des Krieges die militärische Niederwerfung Deutschlands angestrebt habe.

Am Anfang war die Angst

Die bislang weitgehend unbekannte Geschichte, wie eine geheime Elite die Menschheit in den Ersten Weltkrieg stürzte, beginnt mit der Angst: der gemeinsamen Furcht einiger Angehöriger der englischen Oberschicht, dass eine Wachablösung anstehen würde, sollte nicht sehr bald etwas äußerst Radikales geschehen. Deutschland war drauf und dran, in wichtigen Bereichen wie Technik und Forschung, Industrie und Handel an England vorbeizuziehen. Daraufhin wurde im Jahr 1891 in London von Mitgliedern der englischen Herrscherklasse eine Geheimgesellschaft gegründet, deren Ziel nichts Geringeres als die Weltherrschaft war. Zu diesem Zweck sollte das British Empire reformiert und auch die engen Verbindungen zwischen Großbritannien und den USA erneuert werden. «Im innersten Kreis des von Cecil Rhodes gegründeten und finanzierten Geheimbundes stand eine handverlesene Gruppe von Männern, die heimlich die britische Kolonial- und Außenpolitik kontrollierte.»

Dazu gehörten William T. Stead, einer der einflussreichsten Journalisten seiner Zeit, und Lord Esher, der in den letzten Regierungsjahren Queen Victorias die Interessen des Königshauses vertrat und sowohl unter König Edward VII. als auch unter König George V. die imperiale Politik steuerte. Die Gesellschaft konnte zudem auf den großen Einfluss zurückgreifen, den die Familien Salisbury und Rosebury schon seit Langem in der britischen Politik innehatten. Auch King Edward VII. und die dem britischen Establishment sehr nahestehende internationale Bankiersfamilie der Rothschilds konnte miteingebunden werden…

Südafrika

Mithilfe massiver Investitionen seitens der Familie Rothschild war Cecil Rhodes in der Lage, mit Gold und Diamanten in Südafrika ein enormes Vermögen anzuhäufen. Hinzu kam, dass die Krone ihm die Erlaubnis erteilte, die British South Africa Company zu gründen, durch die er in den Genuss einer eigenen privaten Polizei und einer Armee kam, mit deren Hilfe den Eingeborenen auf brutale Weise mehr und mehr Land abgenommen wurde. Als der Geheimbund um Rhodes den Entschluss gefasst hatte, sich das Transvaal-Gold zu sichern, wurde ein unausgegorener Plan für eine Invasion entwickelt, die dann auf peinliche Weise scheiterte. Daraufhin übernahm Alfred Milner, ein enger Vertrauter von Cecil Rhodes, die Leitung. Es gelang ihm, zum Hochkommissar der Kapkolonie ernannt zu werden, nur um anschließend einen erneuten Krieg gegen die Buren vom Zaun zu brechen. Während der Kampfhandlungen wurden den Briten jedoch mehrere schwere Niederlagen zugefügt. «Das britische Heer brauchte nicht lange, um eindrucksvoll zu beweisen, dass es für den Krieg in Südafrika nicht geeignet war.»

Das Blatt wendete sich erst am Anfang des Jahres 1900, nachdem Feldmarschall Lord Roberts und dessen Stabschef General Lord Kitchener mit 60’000 Mann Verstärkung in Südafrika eingetroffen waren. Als die Buren zu einem für die Briten äußerst verlustreichen Guerillakrieg übergingen, wandte Kitchener eine Strategie der «verbrannten Erde» an: Die Farmen in den Guerillagebieten wurden zerstört, die Ernten vernichtet und an die 120’000 Farmbewohner, vor allem Frauen und Kinder, in von Alfred Milner abgesegnete Konzentrationslagern interniert. Aufgrund katastrophaler Lebensbedingungen starben 26’000 Frauen und Kinder an Hunger und Krankheiten. 1905 kehrte Milner dann nach Großbritannien zurück, von wo er das nächste Ziel besser anvisieren konnte: das deutsche Kaiserreich.

Deutschland wird ins Visier genommen

Deutschlands wirtschaftlichen, industriellen und kommerziellen Aufstieg wertete die Geheime Soziopathen-Elite um Alfred Milner – Cecil Rhodes war bereits im Jahr 1902 verstorben – als direkte Bedrohung für ihre Weltherrschaftspläne. Zunächst würde man Verbündete für den Waffengang gewinnen müssen, die marode Armee musste generalüberholt werden und auch die Royal Navy würde ihren historischen Vorsprung nicht einbüßen dürfen. Außerdem musste man mit propagandistischen Methoden auch die Öffentlichkeit auf deutschfeindlichen Kurs bringen. König Edward VII., seit 1874 Großmeister der Vereinigten Großloge von England und Protektor der britischen Freimaurerei, ließ sich in die Pläne einbinden und wurde zum Architekten der Entente Cordiale, Lord Esher zum Dreh- und Angelpunkt der Bemühungen, die Armee zu modernisieren.

Marokko – der erste Versuch

In der bereits 1904 von London und Paris unterzeichneten Entente Cordiale wurden die britische Kontrolle über Ägypten und das Interesse Frankreichs an Marokko bekräftigt. Als Frankreich dazu ermutigt wurde, ein internationales Abkommen mit Marokko zu brechen, um Deutschland damit zum Krieg anzustacheln, schlug Kaiser Wilhelm II. jedoch vor, das Thema einfach auf einer Konferenz mit internationaler Beteiligung zu klären. Unterdessen lehnte das französische Parlament die Kriegstreiberei des französischen Außenministers Théophile Delcassé ab, der die volle Rückendeckung durch König Edward VII. genoss, und zwang ihn zum Rücktritt. Die Geheime Elite erkannte, dass man die französische Regierung erst noch viel gründlicher würde korrumpieren müssen.

Ein weiterer Verbündeter – das Zarenreich

Auch das Zarenreich sollte zu einem Bündnispartner gegen Deutschland gemacht werden. Mithilfe des russischen Außenministers Alexander Iswolski, der von der Geheimen Elite finanziert wurde und fortan einen Bündniskurs mit Großbritannien verfolgte, wurde 1907 ein Abkommen unterzeichnet, das Streitfragen zwischen den beiden Mächten in Afghanistan, Persien und Tibet löste. Um Russland schließlich in die Entente Cordiale einzubinden, wurde King Edward VII. 1908 nach Reval entsendet, wo er sich mit dem Zaren traf. Edward ließ sich zu dem Treffen von seinen Beratern aus der Geheimen Elite und Mitgliedern des Committee of Imperial Defence begleiten, der Zar vor allem von Außenminister Alexander Iswolski, der nicht damit aufhörte, die Balkanstaaten gegen Deutschland und Österreich-Ungarn aufzustacheln. Die Bewegung für ein Groß-Serbien wurde dabei ermutigt, ihre Rachepläne nicht aufzugeben und sich auf spätere Einsätze vorzubereiten.

Eine neue Regierung in England

Noch während sich die Regierungszeit der Konservativen dem Ende näherte, hatten die Konservativen unter Balfour und Landsowne einen geheimen Unterausschuss ins Leben gerufen: das Committee of Imperial Defence. Das Gremium nahm geheime Militärgespräche mit Frankreich und Belgien auf. Das Thema: Wie würde man bei einem Krieg gegen Deutschland vorgehen? Als schließlich ein Regierungswechsel anstand, konnte die geheime Elite H.H. Asquith zum Premierminister machen, Richard Haldane zum Kriegsminister und Edward Grey zum Außenminister, so dass die Außenpolitik nahtlos fortgesetzt werden konnte. Alle drei waren enge Freunde und Bewunderer Alfred Milners, mit dem sie regelmäßig in Kontakt standen. Sämtliche Informationen zu ihren Aktivitäten verheimlichten sie vor dem liberalen Kabinett, um in aller Ruhe weiter auf einen Krieg mit dem Deutschen Reich zuzusteuern. Während Außenminister Grey die Pläne für den Krieg weiter vorantrieb, gab Kriegsminister Haldane der Armee eine neue Struktur. Admiral Sir John Fisher wiederum verpasste der Flotte eine radikale Modernisierung: die Kriegsschiffe sollten fortan mit Öl befeuert werden. Später übernahm Winston Churchill diese Aufgabe.

Die Reihen schließen sich

Die Geheime Elite wollte in der Öffentlichkeit das Gefühl vermitteln, dass Deutschlands Flottenbauaktivitäten eine Bedrohung für Großbritannien darstellten. Zu diesem Zweck förderte Lord Northcliffe in seinen Blättern ausgedachte Schauergeschichten über eine deutsche Invasion in England, ebenso über zahlreiche deutsche Spione, die angeblich verdeckt im Land agierten. Währenddessen wurden überall im Empire Ableger der Geheimgesellschaft gegründet, um die «Dominions» stärker zu einer Einheit zu verschmelzen und auf den Krieg vorzubereiten; auch die USA sollten stärker eingebunden werden.

Schon Cecil Rhodes hatte erkannt, dass die USA eine zentrale Rolle würden spielen müssen, wenn man eine Welt anstrebe, die von der «angelsächsischen Rasse» dominiert werden solle. In den USA sammelte sich die wirtschaftliche Macht immer stärker in einigen New Yorker Familiendynastien, darunter die Häuser Morgan und Rockefeller. Auch die Rothschilds waren eng mit Morgan sowie mit anderen aufstrebenden Kreditinstituten wie etwa Kuhn, Loeb & Co., Jacob Schiff und Paul Warburg verbunden. Der Geldadel in den USA wirkte massiv auf die Präsidentschaftswahlen von 1912 ein, damit seine Marionette Woodrow Wilson zum Präsidenten gewählt wurde. Wilson ermöglichte anschließend die Gründung des Federal Reserve Systems im Jahre 1913, das US-amerikanische Zentralbankensystem, mit dem maßgeblich der Erste Weltkrieg finanziert werden konnte.

Der zweite Versuch – Fes und Agadir

1911 wurden Gerüchte einer Rebellion in Fes gestreut. Daraufhin setzte Frankreich ein großes Truppenkontingent in Marsch, das sich dann als Besetzungsarmee entpuppte. Deutschland protestierte lediglich, indem es ein kleines Kanonenboot nach Agadir entsandte. Dies wurde allerdings von der Geheimen Elite maßlos übertrieben: Man behauptete, Deutschland wolle in Agadir einen Marinestützpunkt errichten und von dort aus die Seefahrtswege bedrohen. In Frankreich selbst widersetzte sich der neu gewählte Ministerpräsident Joseph Caillaux den Kriegshetzern und nahm Verhandlungen mit dem Deutschen Reich auf. Erneut also gingen die Deutschen nicht in die Falle und handelten schon wieder eine diplomatische Lösung aus. Die Geheime Elite würde die vollständige Kontrolle über die französische Regierung übernehmen müssen.

In ganz Europa, in Großbritannien und im Empire suchte sich die Geheime Elite Politiker und Diplomaten, die sie nach ihrem Willen formen konnte. In Paris setzte sie Alexander Iswolski, inzwischen russischer Botschafter in Paris, darauf an, den amtierenden französischen Ministerpräsidenten Caillaux zu schwächen, und ihn durch Raymond Poincaré ersetzen zu lassen, einen überzeugten Revanchisten. Unter Poincaré verwandelte sich das französisch-russische Bündnis von einem Verteidigungsabkommen hin zum Kriegsabkommen. 1914 hielten französische Banken über 80 Prozent der russischen Staatsschulden: Poincaré und seine Förderer koppelten die Darlehen an die Bedingung, dass Russland sein Militär ausbaue und das Eisenbahnnetz so modernisiere, dass sich die Truppen schneller gegen Deutschland in Stellung bringen lassen könnten. Die Rothschild-Häuser in London und Paris arbeiteten Hand in Hand daran, Russland über verschlungene Kanäle mit dem notwendigen Kapital zu versorgen.

Pulverfass Balkan

Als das Jahr 1912 anbrach, war es der Geheimen Elite bereits zweimal misslungen, das Deutsche Reich zu einem Krieg anzustacheln. Marokko schien sich also dafür nicht zu eignen, so dass Agenten der Geheimen Elite die schwelenden nationalistischen Spannungen auf dem Balkan anfachten mit dem Ziel, die ganze Region in einen Brandherd zu verwandeln. Die Kommandokette lief vom Foreign Office zu Iswolski in Paris, weiter zu Außenminister Sergei Dmitrijewitsch Sasonow in Russland und schließlich zum russischen Botschafter in Belgrad Nikolaus Hartwig, der als Panslawist die expansionistischen Bestrebungen Serbiens gegen Österreich-Ungarn unterstützte. Außenminister Sasonow meldete dem Zaren, dass sich die Briten insgeheim verpflichtet hatten, Frankreich bei einem Krieg mit Deutschland zu unterstützen. Entsprechend ermutigt, taten sich die Russen mit dem serbischen Nationalisten Oberst Apis und dessen Organisation «Schwarze Hand» zusammen, um das Attentat gegen den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand vorzubereiten.

Als seine Ermordung gelungen war, sorgte die Geheime Elite dafür, dass sich die Morde in Sarajewo zu einer umfassenden Krise auswuchsen. Dabei erhielt Österreich-Ungarn zunächst eine Menge geheuchelter Unterstützung; auch Deutschland wurde mit Freundschaftsbekundungen und Sympathiebeteuerungen hinters Licht geführt. Auf diese Weise wurde Graf Berchtold, seit 1912 österreichischer Minister des kaiserlichen und königlichen Hauses und des Äußern, schließlich zu einer kühnen Reaktion ermutigt: Er würde der serbischen Aggression ein für alle Mal ein Ende bereiten. Mit anderen Worten: Er würde in die britische Falle tappen und Deutschland getreulich folgen. Wie bereits 1912 reiste der französische Ministerpräsident Raymond Poincaré nach Sankt Petersburg und bekräftigte sein Versprechen, dass Frankreich, sollte Deutschland Österreich beistehen, an der Seite Russlands in den Krieg ziehen würde. Im Parlament, in der Presse und in Diplomatenkreisen wurde Deutschland unterdessen vorgelogen, dass sich die Beziehungen zu Großbritannien deutlich gebessert hätten. Dabei trieben die Agenten der Geheimen Elite ihre Vorbereitungen für die Zerstörung des Kaiserreiches immer weiter voran.

Serbiens Antwort auf Österreichs Forderungen setzte schließlich die Falle in Kraft, die man Graf Berchtold gestellt hatte. Während der deutsche Reichskanzler Bethmann Hollweg noch verzweifelt nach Wegen suchte, den Frieden zu wahren, und auch Graf Bechthold nun bereit war, «einen Schritt vom Abgrund» wegzutreten, genehmigte der Zar am 26. Juli eine Teilmobilisierung der russischen Streitkräfte. Dass die Generalmobilmachung durch eine Großmacht die erste Kriegshandlung war, galt als allgemein akzeptierte Tatsache.

Am 1. August sandte der russische Botschafter Alexander Iswolski ein Telegramm aus Paris nach Sankt Petersburg: «Frankreichs Kriegsminister, in herzlicher und bester Laune, informierte mich, dass die Regierung sich verbindlich zum Krieg entschieden habe.» Also fast 24 Stunden bevor Deutschland die Generalmobilmachung verkündet und Russland den Krieg erklärt hatte. Um 16 Uhr gingen aus dem zentralen Telegrafenamt in Paris Telegramme mit dem Befehl der Geheimmobilmachung ab. Zu diesem Zeitpunkt hatten auch Serbien, Österreich, Russland, Frankreich und Großbritannien auf die eine oder andere Weise damit begonnen, ihr Militär vorzubereiten. Einzig das Deutsche Reich hatte noch nichts unternommen. Erst nachdem der Kaiser 24 Stunden lang vergeblich auf eine Antwort seiner telegrafischen Forderung gewartet hatte, Russland solle sämtliche Truppenbewegungen entlang der Grenze einstellen, befahl er die Generalmobilmachung.

So entschloss sich das Deutsche Reich als letzte der europäischen Großmächte zu diesem unwiderruflichen Schritt, der ihm von der Entente Cordiale aufgenötigt wurde. «Wie», fragen Docherty und Macgregor, «passt das zu der Behauptung, Deutschland habe den Ersten Weltkrieg begonnen? (…) Was sonst hätte Deutschland tun können? Entweder geduldig die eigene Vernichtung abwarten oder zuschlagen, um sich zu verteidigen. Damit die deutschen Streitkräfte bei einem Zweifrontenkrieg überhaupt eine Chance hatten, mussten sie blitzartig Erfolge einfahren.»

Eine gerechte Sache

Der britische Außenminister Edward Grey wusste mittlerweile, dass die britische Öffentlichkeit nicht zum Krieg bereit wäre, wenn Deutschland nicht klar als Aggressor hingestellt werden könnte. Also benötigte er noch unbedingt eine vermeintlich gerechte Sache, um die Briten mit in den Krieg zu reißen: Man fand sie im «tapferen kleinen Belgien», das man vor den verachtenswerten «Hunnen» beschützen müsse. Als der deutsche Botschafter in London den Vorschlag unterbreitete, dass Belgiens Souveränität gewahrt bliebe, insofern Großbritannien dafür seine Neutralität versprechen würde, bekam er von Außenminister Grey keine aufrichtige Antwort. Stattdessen log er, dass es vorläufig nicht die geringste Absicht gebe, feindlich gegen Deutschland vorzugehen. Auf diese Weise sorgte Grey dafür, dass jedes Angebot von Frieden und Neutralität aus Berlin abgelehnt oder zurückgehalten wurde. Gleichzeitig zeigte er sich über das deutsche Verhalten überaus empört: Angeblich habe das Kaiserreich alle Bemühungen um Einigung abgetan, um stetig auf den Krieg zuzumarschieren. Dabei wusste er nur zu gut, dass Deutschland notwendigerweise durch Belgien würde marschieren müssen, um sich gegen Frankreich zur Wehr zu setzen.

Am Abend des 2. August übergab der deutsche Botschafter in Brüssel den versiegelten Brief, den Generaloberst Moltke der Chef des deutschen Genalstabs, ihm vorher zur Aufbewahrung zugestellt hatte. In dem Schreiben hieß es, Deutschland habe verlässliche Informationen, dass Frankreich durch Belgien marschieren und das Kaiserreich angreifen wolle. Deutschland sei als Reaktion darauf seinerseits gezwungen, in Belgien einzumarschieren. Wenn sich Belgien nicht in den Weg stelle, verspreche Deutschland, nach Ende des Krieges und mit Friedensbeginn das Territorium zu räumen, für alle entstandenen Schäden aufzukommen und die Lebensmittel zu bezahlen, welche von den deutschen Truppen verbraucht würden. Sollte Belgien die deutschen Einheiten dagegen nicht widerstandslos passieren lassen, sehe Deutschland sich leider gezwungen, Belgien als Feind zu betrachten. Der belgischen Regierung wurden zwölf Stunden Zeit für eine Antwort gegeben, also bis 7 Uhr am Morgen des 3. August. König Albert I. von Belgien schickte Sir Edward Grey eine Botschaft: Belgien werde das deutsche Ansinnen ablehnen, man bitte um die Hilfe Großbritanniens.

Als nun endlich feststand, dass Deutschland die belgische Neutralität definitiv verletzen würde, ließ Außenminister Grey seine heuchlerische Maske fallen und «machte sein Engagement für eine Sache öffentlich, die nicht benannt werden konnte – den Vernichtungskrieg, den die Geheime Elite gegen Deutschland führen wollte». Im Kabinett ging es nun schlagartig um die Loyalität gegenüber Belgien. Sollten die Briten einfach tatenlos mit ansehen, wie Belgien unter die Räder kommt, wäre der Ruf des Empire auf ewig beschädigt. In Wirklichkeit hatte es bereits seit 1906 streng geheime Militärabkommen zwischen Belgien und Großbritannien gegeben: bis in die kleinsten Details hatten Briten und Belgier ihre Militärtaktik geplant und aufeinander abgestimmt. Die Neutralität Belgiens war also nichts weiter als eine weitere Lüge, eine Täuschung, die man psychologisch sehr geschickt aufrechterhalten hatte, um die Briten vom Krieg gegen Deutschland zu überzeugen und die Deutschen als Bösewichter darstellen zu können. Nun erklärte Grey im Unterhaus, dass Großbritannien nicht tatenlos zusehen würde, sollte es zu einer Invasion Belgiens kommen, dass man Frankreich auf See unterstützen und Deutschland davon in Kenntnis setzen würde.

Am 3. August 1914 hielt Sir Edward Grey vor dem Unterhaus eine Rede, in der er noch einmal betonte, wie sehr er sich und seine Kollegen vom Foreign Office darum bemüht hätten, den Frieden in Europa zu bewahren. Er sprach vom furchtbarsten Verbrechen, das je die Seiten der Geschichtsbücher besudelte, dann eilte er aus dem Parlament, um Deutschland das schicksalhafte Ultimatum zu stellen – wohlwissend, dass die Besetzung Belgiens bereits im Gange war, die zentrale britische Forderung also nicht mehr zu erfüllen war. «Das Ultimatum war somit im Grunde eine Kriegserklärung.» Dann unterschrieb König George V. am Abend des 4. August 1914 im Buckingham Palace die offizielle Kriegserklärung. So bekam die Geheime Elite endlich ihren Krieg gegen Deutschland, den sie seit so vielen Jahren angestrebt und geplant hatte. Kaum begonnen, wurde das Kaiserreich auch schon propagandistisch mit Schuld überhäuft.

Vier Jahre später, am 11. November 1918, wurde nördlich von Paris, im Wald von Compiègne, in dem Eisenbahnwagon von General Foch der Waffenstillstand mit Deutschland unterzeichnet. «Der Vertrag besagte, der deutsche Kaiser habe einen Expansionskrieg geführt und Europa tyrannisiert, während Großbritannien, Frankreich und Russland alles getan hätten, um dies zu verhindern. Deutschland habe sich der schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Freiheit, die je eine Nation beging, die sich selbst als zivilisiert bezeichnet, schuldig gemacht. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln – Universitäten, Presse, Kirchenkanzeln und dem gesamten Staatsapparat – trug die Geheime Elite diese falsche Schuldzuweisung in die Welt hinaus. Sie diffamierte den Kaiser und Deutschland und glorifizierte die Entente-Mächte.» Gleichzeitig musste die tatsächliche Verantwortung der britischen Elite für den Krieg vertuscht werden: die wahren Hintergründe sollte auch die Nachwelt niemals erfahren.

Tatsächlich waren diese Leute auch in der Lage, die für sie relevante Geschichtsschreibung zu kontrollieren – und zwar «von der kleinsten Dorfschule bis hinauf zu den Elfenbeintürmen der akademischen Welt». Regierungsunterlagen wurden sorgfältig darauf überprüft, ob sie in die offizielle Version der Geschichte des Ersten Weltkrieges einfließen durften oder nicht. Potenziell belastende Unterlagen wurden verbrannt, aus den offiziellen Registern getilgt, vernichtet, gefälscht oder umgeschrieben.

Geschichte als Immunsystem

Wir können davon ausgehen, dass eine solche Betrachtung der Geschichte – ganz besonders, wenn es sich nun um die wahre Beschreibung historischer Tatsachen handelt – auch heute noch politisch mehr als unerwünscht ist; mit anderen Worten: «volkspädagogisch wertlos», weil eine solche Geschichte wohl nicht dazu beiträgt, die Deutschen «in Schach zu halten». Viele Menschen im In- und Ausland scheinen immer noch eine tief verankerte Angst davor zu haben, dass die Deutschen – sobald sie keine Schuld, oder auch nur weniger Schuld und Gewissensbisse verspürten, jene mörderische Bestie in sich wieder aufsteigen lassen könnten, die für einen Großteil der Gräuel des 20. Jahrhunderts verantwortlich gemacht wird. Dabei sollte man nicht vergessen, dass gerade die offensichtlich ungerechtfertigte Schuldzuweisung in Bezug auf den Ersten Weltkrieg selbst nicht ganz unverantwortlich war am Erstarken des Nationalsozialismus. Schließlich diente sie als Rechtfertigung für die Kriegsreparationen, die von den Nationalsozialisten propagandistisch ausgeschlachtet wurden, um gegen die Weimarer Republik, um gegen Freiheit, Demokratie, ja gegen das sogenannte «internationale Judentum» zu wettern.

Selbst die Bundesrepublik wurde noch in die Pflicht genommen und musste bis etwa 1983 14 Mrd. DM an Reparationszahlungen für den Ersten Weltkrieg zurückzahlen. Eine stolze Summe, wenn man davon ausgeht, dass die Schuldzuweisungen auf Lügen beruhten. Hinzu kamen Zinsen in einer Höhe von 251 Millionen Mark aus den Jahren 1945 bis 1952, die bis zur Wiedervereinigung Deutschlands ausgesetzt und schließlich ab dem 3. Oktober 1990 wieder fällig wurden, und schließlich am 3. Oktober 2010 getilgt wurden.

Wichtiger ist jedoch die Frage, welche Wirkung dieses Schuldbewusstsein im Bereich des Seelisch-Geistigen hat. Wenn es nun wirklich so ist, dass im deutschen Volk – im Sinne einer «historisch gewachsenen Kulturgemeinschaft, in der die Menschen eine ganz spezifische seelische Grundhaltung zur Welt einnehmen und zu einer besonderen Art des gedanklichen, künstlerischen und religiösen Strebens hinneigen»2, wenn in dieser deutschen Kulturgemeinschaft «das tiefe Streben veranlagt ist, zu den Ursachen der materiell wahrnehmbaren Welt zu dringen und die Erkenntnis auf die hinter der Oberfläche wirkenden geistigen Kräfte zu erweitern, die den Erscheinungen zugrunde liegen»3, dass «der Deutsche», wie Friedrich Hebbel 1860 schrieb, «alle Eigenschaften hat, sich den Himmel zu erwerben», so kann man sich fragen, welche Folgen dieses Schuldbewusstsein für das Streben nach den geistigen Quellen des Daseins haben könnte. Könnte es nicht sein, dass die Deutschen vor der eigenen inwendigen Hölle eine solche Angst haben, dass sie wie programmiert davor zurückschrecken, nach den Sternen zu greifen?

Womöglich wirkt das deutsche Schuldbewusstsein, das mit einer Dämonisierung der deutschen Kultur einhergeht, in allen seinen Facetten wie eine Art geistiges Immunsystem. Betrachtet man nun all die Geschehnisse, die zu den zwei Weltkriegen geführt haben, aus einer geistigen Perspektive, dann können diese Weltkriege als diabolische Inszenierungen erscheinen, die u.a. auch dazu geführt haben, dass die Deutschen so sehr an sich selbst verzweifeln, dass sie keinen Gebrauch mehr von ihren spirituellen Eigenschaften machen, dass ihr Streben, zu den Ursachen der materiell wahrnehmbaren Welt zu dringen, aufgeben, um sich nur noch rein weltlichen Dingen zu widmen. Möge der Tag kommen, da die Deutschen und alle, die mit der deutschen Kultur auf die eine oder andere Weise verbunden sind, bei klarem Wissen um die grauenhaften Taten der Nationalsozialisten – Taten, die tatsächlich auch im Namen des deutschen Volkes begangen wurden – zurückfinden zu den lichten Quellen ihrer eigenen Kultur.

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