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Gruseliges Thüringen? Wie Ramelow wurde, was er war

Gruseliges Thüringen? Wie Ramelow wurde, was er war
Bei Caren Miosga ging es viel um Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow.

Außer Thesen nichts gewesen: In der ARD sollen Bodo Ramelow und Thomas de Maizière erklären, was eigentlich im deutschen Osten los ist und warum dort so viele zum Russen überlaufen wollen. Das beliebte Koalitionsbingo zur Verhinderung der AfD darf da natürlich nicht fehlen.

von Ulrich Clauß

Die östlichen Bundesländer sind nach wie vor so etwas wie die deutschen „Flyover States“. Dieses geflügelte Wort wurde nach dem für viele überraschenden Sieg Donald Trumps bei der US-Präsidentschaftswahl 2016 populär. Es steht für die mangelnde Aufmerksamkeit der meisten Beobachter für die Lebensverhältnisse zwischen den beiden Wirtschaftszentren an Ost- und Westküste der USA. Die Staaten dazwischen seien von den Herolden der woken, linksliberalen Mainstreampresse immer nur überflogen worden, so eine häufig geäußerte Kritik. Dadurch sei es zu groben Fehleinschätzungen der tatsächlichen Stimmung in der amerikanischen Mehrheitsbevölkerung gekommen.

Auch bei Caren Miosga (ARD) war die Reiseflughöhe beträchtlich. „Wird der Osten unregierbar?“, fragte sie Bodo Ramelow (Die Linke), Thomas de Maizière (CDU) und die Soziologin Katharina Warda. Dabei hätte die Expertise des ehemaligen Bundesinnenministers und des langjährigen thüringischen Ministerpräsidenten eigentlich Licht ins Dunkle der ostdeutschen Wählerseele bringen sollen. Schließlich haben beide einen Großteil ihres Lebens im Osten Deutschlands verbracht. Die Soziologin stammt von dort.

Bald die Hälfte der Sendung drehte sich um die Frage, wie Ramelow wurde, was er einmal war, und wie er es mit seiner Linkspartei und deren Niedergang hält. Er vermisse die Pluralität einer starken Linken, meinte Ramelow. „Deswegen ist es weniger die Frage, ob Frau Wagenknecht oder nicht Frau Wagenknecht.“ Wenn die Linke anfange, sich durch Spaltung immer weiter zu schwächen, „dann passiert das, was wir in Italien schon gesehen haben“. Er habe lange Zeit die Europäische Linke begleitet und „seine Linke“ immer davor gewarnt. „Wir waren als plurale, breite Partei die große Hoffnung für die Europäische Linke, und jetzt sind wir das Gegenteil.“

Ohne Höcke geht es auch bei Ramelow nicht

Ja, damals war´s. Ramelows Ton gegenüber den Abtrünnigen blieb moderat, einen Seitenhieb konnte er sich dennoch nicht verkneifen. „Ich nehme zur Kenntnis, daß Sahra, die ja aus Thüringen ist, die ich eingeladen habe, mit mir zusammen in Thüringen Gesicht zu zeigen gegen den braunen Ungeist, am Ende heute es auch für zulässig hält, mit der AfD im Bundestag abzustimmen“.

Vom Niedergang der Europäischen Linken ging es direkt zum thüringischen Gottseibeiuns. Man solle sich nicht weiter an der AfD abarbeiten, plädierte Ramelow, obwohl das bis dahin in der Sendung noch niemand getan hatte. Ihm reiche es, „wenn wir die Originalzitate von Herrn Höcke in den Mittelpunkt stellen, wenn er sagt, er will keine Inklusion in den Schulen“. Behinderte Kinder sollten demnach nicht mehr „Teil der gemeinsamen sozialen Entwicklung sein“.

Ramelow bezog sich damit auf ein MDR-Sommerinterview aus dem vergangenen Jahr, in dem der thüringische AfD-Vorsitzende Björn Höcke die vielerorts prekäre Praxis der Inklusion an Regelschulen deutlich kritisiert hatte – so wie es auch viele Pädagogen tun. Von SPD- und Grünen-Politikern sowie vielen Medien war Höckes Äußerung danach bis hin zum „Euthanasievorwurf“ verzerrt worden. Auch Ramelow wollte Höckes Plädoyer für die Beibehaltung gesonderter Bildungseinrichtungen erst einschlägig markieren, zögerte dann aber, suchte nach Worten und landete schließlich bei „Sekretzierung“. Ob er damit „Selektion“ meinte, blieb offen.

De Maizière wird grundsätzlich

Auf die wiederholte Frage Miosgas, ob mit einer Koalition aus Wagenknechts BSW, ihm und der CDU in Thüringen eine Abwehrkoalition gegen die AfD denkbar sei, reagierte Ramelow gereizt. An solchen Spekulationen wolle er sich nicht beteiligen. Das würde nur das Vorurteil nähren, die Unterschiede zwischen den „demokratischen Parteien“ seien marginal und die AfD sei die einzige Alternative zum Kartell der Altparteien. „Weil ganz Deutschland sich am liebsten über Thüringen gruselt, und wir neigen dazu, auch jedes Mal wieder Stichworte reinzuwerfen.“

Dann ging es zusammen mit Ex-Innenminister Thomas de Maizière und der Soziologin Katharina Warda um die Ostdeutschen, die Russen und die im Osten verbreitete Weigerung, den ukrainischen Befreiungskrieg gegen den russischen Angriff zu unterstützen. „Die, die vorher noch wegen Corona-demonstriert haben, demonstrieren jetzt mit einer Friedensflagge, mit der Friedenstaube und der russischen Fahne gemeinsam in der Hand“, stellt Ramelow resigniert fest, konnte sich aber auch nicht erklären, warum das so ist. Ob das etwas mit seiner Partei zu tun habe, fragt Miosga und wechselt völlig unvermittelt das Thema in Richtung Mindestlohn und Rentenanpassung. Dafür sei der Bund zuständig, er könne nur das Geld ausgeben, das ihm zur Verfügung stehe, durchkreuzte Ramelow Miosgas Themenslalom und konzentrierte sich wieder auf das Spaltungsgehakel zwischen seiner Linkspartei und Wagenknecht.

De Maizière ging der Rußlandfrage nicht aus dem Weg und wurde grundsätzlich. „Letztlich geht es für mich um die Frage, was ist der höhere Wert? Frieden oder Freiheit?“ Wenn Frieden der höhere Wert sei, dürfe man keine Waffen in die Ukraine schicken. Denn jede Waffe verlängere das Töten und Sterben. „Wenn aber Freiheit der höhere Wert ist, möglichst Freiheit in Frieden, dann komme ich zu einer anderen Schlußfolgerung.“ Ja, das war seine Schlußfolgerung. Warum aber sehen das im Osten viele anders?

Die Flughöhe war zu hoch

Auch Ramelow verteidigte – wie schon in der Vergangenheit gegen weite Teile seiner Partei – den Beistand des Westens gegen die russische Invasion mit großer Entschiedenheit. Da war man sich also einig. Warum das viele Ostdeutsche anders sehen, geriet auch bei Ramelows kraftvoll wiederholtem Bekenntnis völlig aus dem Blickfeld. Abhilfe sollte am Ende Katharina Warda schaffen. Doch mehr als pauschale Assoziationen hatte sie nicht beizusteuern.

Im deutschen Osten gebe es traditionell eine „prorussische Einstellung“ und altlinken Anti-Amerikanismus, meinte Warda. „Eine internationale Rechte“ habe „das Thema Osten instrumentalisiert“ und zum „bösen Zwilling“ gegen den als „vielschichtig, Plural, divers, kosmopolitisch“ markierten Westen als Gegenmodell in Stellung gebracht. Das würde auf nahezu beliebige Felder ausgedehnt, von der Migrationsfrage bis zu Waffenlieferungen an die Ukraine.

Genaueres läßt sich aus dieser Reiseflughöhe wohl tatsächlich nicht erkennen. Dabei könnte alles viel einfacher sein, aber dazu müßte man Bodenkontakt herstellen. Wie das geht, hat Markus Lanz in der Vorwoche im Gespräch mit dem thüringischen Landrat Christian Herrgott (CDU) vorgemacht. Der hatte geschildert, zu welcher Politikverdrossenheit es führt, wenn man die Bevölkerung seines Landkreises, in dem 40 Prozent der Menschen nicht mehr als den Mindestlohn verdienen, mit hohen Energiepreisen, Sanierungskosten für die Häuschen und allerlei Lebensstilvorgaben drangsaliert.

Aber das wäre eine andere Sendung, in der man tatsächlich Antworten bekommen könnte auf die Frage, die in Miosgas Sendung gänzlich unbeantwortet bleiben mußte: „Wie kann Politik das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen?“ So aber blieb´s bei außer Thesen nichts gewesen.

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