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Lügenpresse in Aktion: FAZ und Verfassungsschutz im „Fake News“-Strudel

Lügenpresse in Aktion: FAZ und Verfassungsschutz im „Fake News“-Strudel

Russland verübt Cyberangriffe auf deutsche Politiker und den Bundestag, sagt der Verfassungsschutz. Belege präsentiert er nicht. Die FAZ druckt es trotzdem. Wie „postfaktisch“ sind die Leitmedien?

von Paul Schreyer

Am Freitag vergangener Woche (09.12.2016, Red) titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung prominent auf Seite 1: „Verfassungsschutz macht Russland für Cyberangriffe verantwortlich – Präzise Erkenntnisse über staatliches Vorgehen unter dem Deckmantel von Hackern“. Ein entsprechender Verdacht wurde schon länger in den Medien diskutiert, doch bislang mit eher zurückhaltender Wortwahl, nicht zuletzt angesichts fehlender Beweise und magerer Indizien. Insofern markiert der FAZ-Text eine neue Selbstgewissheit. Darin heißt es:

„Verfassungsschützer haben mittlerweile präzise Erkenntnisse, dass Cyberangriffe auf deutsche Politiker und politische Institutionen wie den Bundestag vom russischen Staat geführt werden. Bisher war zwar Russland im Zusammenhang mit Angriffen auf deutsche Computersysteme genannt worden, etwa von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach der Hackerattacke auf die Telekom vor zwei Wochen. Doch blieben solche Hinweise vage. Nun hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (…) mitgeteilt, dass russische „Propaganda- und Einflussoperationen“ im Rahmen der Angriffskampagne APT28 von „staatlichen Stellen“ geführt würden. Neu sei, dass diese Angriffe „unter falscher Flagge“ stattfänden. Staatliche russische Stellen verübten Cyberangriffe unter dem Deckmantel vermeintlicher Aktivisten aus der Hackerszene.“

Durch die Verwendung des zur Zeit populären Kürzels APT („Advanced Persistant Threat“) wird der Eindruck wissenschaftlich-technischer Korrektheit vermittelt, allerdings nennt der Artikel keine näheren überprüfbaren Belege für die Behauptungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) zur Verwicklung „staatlicher Stellen“ aus Russland.

In der letzten detaillierten öffentlichen Stellungnahme des Geheimdienstes zum Thema, dem im Oktober erschienenen „BfV-Newsletter Nr. 3/2016“ hatte die Behörde noch wesentlich vorsichtiger formuliert. Ein amerikanisches IT-Sicherheitsunternehmen habe „Hinweise auf russische Angriffskampagnen“, weiterhin gäbe es „Indizien“, die „auf eine Urheberschaft russischer Nachrichtendienste hinweisen“ würden. Viel mehr wusste der Verfassungsschutz zuletzt zum Thema „russische Beteiligung“ nicht zu vermelden.

Wie also kommt die Behörde nun zu ihren neuen „präzisen Erkenntnissen“, die Russlands Täterschaft beweisen? Eine Nachfrage bei der Pressestelle des BfV, inwieweit die aktuellen Erkenntnisse in irgendeiner Weise über das im hauseigenen Newsletter präsentierte, dünne Material vom Oktober hinausgehen, beantwortete die Behörde mir so (Originalzitat):

„Wie Sie bereits in Ihrer Anfrage vermuten, können wir Ihnen mit weiteren Informationen, die bereits in unserem BfV-Newsletter Nr. 3/2016 veröffentlicht wurden, nicht weiterhelfen.“

An dieser Stellungnahme irritiert die sprachliche Fehlerhaftigkeit fast noch mehr als die inhaltliche Leere. Auf weitere Nachfrage bat man um Verständnis, dass der Verfassungsschutz „Berichterstattung nicht kommentieren“ würde und „insofern auch keine Bewertung abgeben“ könne.

Äußerungen des Präsidenten aufgeschrieben

Um der Sache weiter auf den Grund zu gehen, wandte ich mich im Folgenden direkt an den Autoren des FAZ-Artikels, Dr. Eckart Lohse, einen erfahrenen Redakteur des Blattes aus dem Berliner Büro, der in diesem Jahr auch schon prominent im Fernsehen zu sehen war. Ich berichtete ihm von der wenig ergiebigen Auskunft des Verfassungsschutzes – seiner Quelle -, und fragte, was denn nun konkret die von ihm genannten „präzisen Erkenntnisse“ für eine Verwicklung des russischen Staates seien, und ob sie über die Erkenntnisse aus dem BfV-Newsletter vom Oktober hinausgingen, wo ja lediglich vage Indizien präsentiert worden waren. Lohse antwortete:

„Da wir nicht unterstellen können, dass unsere Leser durchweg die Newsletter oder andere Veröffentlichungen des BfV zur Kenntnis nehmen, habe ich aktuelle Äußerungen des BfV und von dessen Präsidenten zu staatlichen russischen Aktivitäten in meinem Artikel aufgeschrieben.“

Auf diese ausweichende Antwort hin fragte ich nach, wie man auf der Basis des eher vorsichtig formulierten zwei Monate alten Newsletters auf eine knallige Überschrift wie „Verfassungsschutz macht Russland für Cyberangriffe verantwortlich – Präzise Erkenntnisse über staatliches Vorgehen“ kommen könne. Dazu meinte der FAZ-Autor, wiederum ausweichend, dass nicht er, sondern ich „den Newsletter ins Spiel gebracht“ habe: „Ich habe mich in meinem Artikel auf Mitteilungen des BfV und Äußerungen des Präsidenten bezogen, die höchst aktuell waren.“

Doch das wesentliche Problem, abseits aller Details, müsste auch Lohse klar sein: In seinem auf Seite 1 veröffentlichten Artikel werden neue „präzise Erkenntnisse“ zu einer direkten Verantwortung des russischen Staates behauptet, diese dann aber nicht genannt, so dass die Vorwürfe nicht überprüfbar sind und damit spekulativ bleiben. Zugleich werden die Verdächtigungen mehr oder weniger als bewiesene Tatsachen präsentiert. Das ist, so darf man sagen, hart an der Grenze zum Verbreiten von „Fake News“. Denn wo ist die Garantie für die Leser, wo zumindest die unabhängige journalistische Überprüfung, dass die vom Verfassungsschutz lancierten Vorwürfe überhaupt fundiert sind und der Wahrheit entsprechen?

Problematische Nähe zum Verfassungsschutz

Die FAZ scheint das nicht weiter zu kümmern. Wenn der Verfassungsschutz etwas zuspielt, dann veröffentlicht man es offenbar, ohne weitere kritische Fragen zu stellen. Auch persönlich kennt man sich anscheinend gut. Markus Wehner, ein enger FAZ-Kollege von Eckart Lohse, mit dem er gemeinsam mehrere Bücher verfasst hat (Biographien zu Guttenberg und Steinbrück), moderierte schon auf Konferenzen des Verfassungsschutzes.

Am Sonntag letzter Woche legten Wehner und Lohse nach und veröffentlichten gemeinsam einen ganz ähnlichen Text mit der Schlagzeile: „Sicherheitskreise: Russland hackte geheime Bundestagsakten“. Wiederum referierte man dort eine „Einschätzung deutscher Sicherheitskreise“, insbesondere einen „hohen Sicherheitsbeamten“, der anonym von einer „hohen Plausibilität“ für eine Verwicklung Russlands sprach.

Doch plausibel ist hier zunächst wenig. Und die ganze seltsame Inszenierung rund um anonyme Informanten aus dem Halbdunkel der Geheimdienste und wilde Spekulationen gegen Moskau sind im Kern auch kaum mehr als eine Kopie ganz ähnlicher Vorgänge in den USA, wo derzeit die dortigen Geheimdienste mit Nachdruck behaupten, dass Putin die US-Wahl manipuliert habe. Ein entsprechender Artikel in der Washington Post erschien übrigens ebenfalls am Freitag vergangener Woche. Die Quelle dort: eine „geheime Einschätzung“ der – für ihre Vertrauenswürdigkeit bekannten – CIA.

Demokratie in Gefahr?

Die ganze aktuelle These „Russland manipuliert den politischen Prozess in Deutschland mit Computerhacks“ ist darüber hinaus auch inhaltlich alles andere als schlüssig. Denn wie soll so eine Manipulation eigentlich genau funktionieren? Konkret gefragt: Durch die Veröffentlichung welcher geheimen Daten sollen deutsche Politiker so kompromittiert werden können, dass die Demokratie in Gefahr gerät? Sind angesehene Amtsträger etwa in dunkle Machenschaften verstrickt, von denen der Verfassungsschutz weiß und nun besorgt ist, dass auch Russland davon Kenntnis erlangen könnte? Wenn dem so sein sollte, dann ist die Frage erlaubt, worin aus demokratischer Perspektive eigentlich der Schaden einer Veröffentlichung liegen soll.

Diese Frage gilt ähnlich für die Debatte in den USA, wo durch Wikileaks bekannt wurde, dass die Parteiführung der Demokraten hinter den Kulissen gegen den eigenen Kandidaten Bernie Sanders intrigierte, und darüber hinaus, wie eng und inzestuös die Kontakte des Clinton-Teams zu etablierten Medien im Wahlkampf waren. Strittig ist bislang zwar, ob die Wikileaks-Enthüllungen sich ihrerseits auf russische Hacker stützen, wie die CIA es – ohne Belege und mit schlechter Reputation – behauptet, oder nicht vielmehr auf US-Whistleblower. Sowohl Julian Assange als auch Craig Murray behaupten letzteres und beteuern, die Quelle zu kennen, die nicht mit Russland in Verbindung stehe. Unabhängig aber vom genauen Ursprung der Informationen darf als unstrittig gelten, dass solche Enthüllungen von Missständen generell nicht etwa dem politischen Prozess schaden, sondern, ganz im Gegenteil, ihm nützen – zumindest, sofern man darunter ein faires und offenes, den Bürgern rechenschaftspflichtiges System versteht. Möglicherweise wird diese Definition jedoch nicht von allen geteilt.

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