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Schlumpf-Skandal: Die vergiftete Medienkampagne gegen Loretta

Schlumpf-Skandal: Die vergiftete Medienkampagne gegen Loretta
Der Fall Loretta: Desinformation gegen eine Jugendliche

Eine Schülerin wird aufgrund eines harmlosen Beitrags auf TikTok vom eigenen Schulleiter denunziert und von der Polizei aus dem Unterricht abgeführt. Kurze Zeit werden die Fotos des 16-jährigen Mädchens von großen Medien veröffentlicht. Sie wurden ihnen direkt von den Behörden zugeschickt. Ein ungeheuerlicher Vorgang.

von Henning Hoffgaard

Der Fall der 16jährigen Loretta aus Mecklenburg-Vorpommern, deren Schulleiter wegen offensichtlich nicht strafbarer Inhalte die Polizei in die Schule rief und das Mädchen aus dem laufenden Unterricht holte, beschäftigt die Republik. Am Montagabend veröffentlichte die Welt die polizeiliche Beschreibung der Screenshots aus den sozialen Netzwerken, die Anlaß für den Polizeieinsatz waren.

Das Blatt rückte die darin verbreiteten Aussagen in die Nähe rechtsextremer Gruppierungen wie etwa der Partei „III. Weg“. Angeblich sollen auch geheime Szenecodes, die laut FAZ für „Heil Hitler“ standen, Teil der Hinweisnachricht an den Schulleiter gewesen sein. Unserer Redaktion liegen diese von der Polizei angefertigten Beschreibungen und auch die Original-Screenshots vor. Ging es vielleicht gar nicht um Schlümpfe? Worum drehte sich das Gespräch dann?

Wie nun bekannt wird, bekam Loretta die ihr zugeschriebenen Nachrichten beim Gespräch mit der Polizei gar nicht zu sehen. „Die betreffenden Screenshots wurden nicht gezeigt und nicht im Einzelnen besprochen“, sagte der Pressesprecher der zuständigen Polizeidirektion Stralsund, Marcel Opitz, auf Anfrage. Er schloß dabei auch aus, daß es bei dem Gespräch mit den drei Beamten um ein Schlumpfvideo ging. „Schlümpfe spielten keine Rolle in dem Gespräch.“

Foto vor der Deutschlandflagge

Aber der Reihe nach. Was genau soll denn auf den Screenshots zu sehen sein, und was sagen Loretta und ihre Mutter dazu? Sie bestätigen den Inhalt grundsätzlich. Insgesamt geht es um acht Bilder. Unsere Redaktion gibt die polizeilichen Beschreibungen im Folgenden im Original – inklusive Rechtschreibfehler – wieder. Im Gegensatz zu anderen Medien konfrontierte diese Zeitung Loretta und ihre Mutter auch mit dem Inhalt.

Zu einem Bild etwa führt die Polizei aus: „Screenshot einer augenscheinlichen Story, auf der mutmaßlich die 16-Jährige ein Statement abgibt, zu sehen ein zur Seite gekipptes Video mit einem blonden Mädchen (augenscheinlich die 16jährige) mit einem erhobenen Daumen vor einer Flagge in den bundesdeutschen Farben, konkreter Inhalt unklar.“

Wofür steht „HH“?

Die nun erhobenen Rechtsextremismusvorwürfe speisen sich vor allem aus einer Bildbeschreibung. Sie lautet: „Abgebildet: mutmaßlich Tiktok: Kopf einer augenscheinlich weiblichen Person mit offenbar hellem Haar, beschrifteter Strickmütze und Kapuze auf und vermummt, so dass lediglich die Augenpartie zu sehen ist. Im Vordergrund steht ‚nix yallah yallah .‘ Der Nutzername unten links ist mit einem Zusatzzeichen einer Deutschlandfahne versehen, darunter die Zahl 1161 und darunter diverse Hashtags (‚#foryou #fürdich # fyp # fy . mehr‘) Der Schriftzug auf der Mütze könnte ‚Pit Bull West Coast since 1989‘ und die Zahl 1161 wird u.a. im Internet für Anti (1) Antifa (161) gebraucht. Der Kapuzenpullover/-jacke hat die Buchstaben ‚HH‘ aufgestickt.“

„HH“ soll dabei etwa laut der FAZ eindeutig für „Heil Hitler“ stehen. Oder eben für die Modemarke „Helly Hansen“. Loretta besitzt genau von dieser Marke eine Jacke. Ein entsprechendes Foto des Mädchens liegt der Redaktionvor. Die Kleidermarke wird auch von Politikern gern getragen. Etwa von Manuela Schwesig (SPD) – Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns. Sie trug die Marke sogar bei einem Auftritt mit Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD), als sie am 14. Januar 2023 einen geplanten Terminal für Flüssiggas an der Ostseeküste in Lubmin besuchten. „Es handelt sich um eine Daunenjacke der Marke Helly Hansen“, bestätigt die Mutter von Loretta. „Diese Marke ist gerade wieder überall im Trend, deshalb trägt sie diese.“

Ein Zahlencode, den nicht mal die Amadeu-Antonio-Stiftung kennt

Und was ist mit dem so gut wie völlig unbekannten „Zahlencode“ 1161. Er soll „im Internet“ laut der Polizei für „Anti-Antifa“ („Anti (1) Antifa (161“) stehen. Doch ist das wirklich so? Im Internet kursieren zahlreiche Seiten, die minutiös echte und vermeintliche rechtsextreme Codes beschreiben.

Allein „1161“ findet sich dort nie. Weder bei der Bundeszentrale für Politische Bildung noch bei einer umfangreichen Broschüre der Konrad-Adenauer-Stiftung. Selbst auf den Seiten der extrem linken Amadeu-Antonio-Stiftung findet sich der Zahlencode nicht.

Dennoch übernehmen zahlreiche Medien die Behauptung ungeprüft. „Der Zahlencode 161 steht wohl für Antifaschismus und der Zahlencode 1161 steht wohl für Anti-Antifaschismus, als gegen Linksextremismus“, mutmaßt Lorettas Mutter. Die beiden erfahren aus der Berichterstattung der Welt von dem angeblichen Zahlencode. Nur vereinzelte linksextreme Gruppierungen nutzen diesen „Zahlencode“. Ist das ein Maßstab für die Polizei? Auf TikTok gibt es hunderte Videos unter dieser Zahlenkombination. Kaum eine ist politisch. Bei der Marke Pitbull handelt es sich um eine gängige Kleidermarke. Sie kann problemlos bei Amazon bestellt werden.

„In Deutschland wird Deutsch gesprochen“

Auf welchen dünnen Beinen die Hinweismail an den Schulleiter steht, zeigt sich in der häufigen Verwendung von Begriffen wie „mutmaßlich“ oder „augenscheinlich“ durch die Polizei, die allerdings von Beginn an klar gemacht hatte, daß strafrechtlich nichts gegen Loretta vorgebracht werden kann.
Zu einem anderen Bild heiß es etwa: „Abgebildet: mutmaßlich Tiktok: Oberkörper einer augenscheinlich weiblichen Person, helles Haar, offenbar gleiche Mütze, gleiches Oberteil, Handy vorm Gesicht (Foto in Richtung Spiegel). Unten links gleich wie bei Bild 1. Im Vordergrund der Text ‚in Deutschland wird deutsch gesprochen‘ dahinter zwei rote Ausrufezeichen und eine Deutschlandfahne. Im Hintergrund mutmaßlich eine FC Hansa Fahne 1965 ‚Der beste Club der Welt‘.“

Daß in Deutschland deutsch gesprochen wird, ist keine rechtsextreme Parole. „Richtig, Amtssprache ist deutsch, was ja auch korrekt ist“, bemerkt Lorettas Mutter dazu trocken. So steht es auch in der Verfassung. Fehlende Fremdsprachenkenntnisse von Migranten gelten bei allen Migrationsforschern als eines der Haupthindernisse jeder Integration.

Altdeutsche Schrift

Am Ende bleibt ein Hauptvorwurf der Medien. Es geht um „Bild 3“: „Abgebildet: Screenshot augenscheinlich von einem Instagram-Profil; Profilbild schlecht zu erkennen, mutmaßlich eine weibliche Person abgebildet; Nutzername lässt die Vermutung zu, dass es die gleiche Person sein könnte wie von Tiktok (später bei Bild 7 tatsächlich Benennung des Insta-Profils); Profilbeschreibung: ‚heimat freiheit tradition, multikulti endstation‘ dahinter eine Deutschlandfahne und mutmaßliche Runenzeichen; außerdem in der Highlight-Section ein Ordner mit Bild ‚Stolze Deutsche‘ in offenbar altdeutscher Schrift mit Lorbeerkranz.“

Eine „mutmaßlich“ weibliche Person. Die Qualität der Bilder ist offensichtlich schlecht. „Heimat, Freiheit, Tradition, Multikulti Endstation“. Es ist in der Tat eine Losung, die „auch“ von der weitgehend in der Bedeutungslosigkeit versunkenen „Identitären Bewegung“ genutzt wird, wie die Welt raunt. Aber eben nur „auch“.

Es geht um „mutmaßliche“ Runenzeichen

Loretta ist 16. Wie viele ihrer Altersgenossen spielt sich vieles auf TikTok ab. Ungefiltert und abseits klassischer Internetseiten. Wer auf dem sozialen Medium nach „Heimat, Freiheit, Tradition, Multikulti Endstation“ sucht, bekommt ebenfalls dutzende, sogar hunderte Videos zu sehen – ohne jeden Bezug zu Splitterparteien. Gab es denn Runen auf dem Profil? Die Polizei selbst spricht in der Beschreibung ausdrücklich von „mutmaßlichen Runenzeichen“. Das „mutmaßlich“ allerdings unterschlagen die Medien – auch die zuerst berichtende Welt. Sie titelt im Text sogar „Keine Schlümpfe, sondern Ausländerfeindlichkeit und Runen“. Dem Blatt liegen die Screenshots aber gar nicht vor.

Die Mutter sagt, Loretta wisse „nicht einmal, was man mit Runen meint. Da hat sie wohl gefährliches (oder auch nicht) Halbwissen gerepostet.“ Sie hat es also in dieser Darstellung auch gar nicht selbst geschrieben.

Bleibt der „III. Weg“. Die bedeutungslose Splitterpartei benutzt die Parole „Deutsche Jugend voran“. Loretta nicht. Man muss schon drei Nachrichten der Minderjährigen hintereinander legen, um überhaupt auf diese Wortkombination zu kommen. Auch unter diesem Motto finden die TikTok-Nutzer zahlreiche Videos.

Mutter und Loretta widersprechen Polizeiversion

Und die Schlümpfe? Hier widersprechen sich die Aussagen der Polizei und des Mädchens tatsächlich. Loretta und ihre Mutter haben mehrfach bestätigt, daß die Beamten sie darauf angesprochen haben. Halten auch jetzt daran fest.

Polizeipressesprecher Opitz sagt zum Inhalt des Gesprächs zwischen Loretta und den Beamten: „Die Beamten entschlossen sich, zum Schutz der Jugendlichen ein präventives Gespräch zu führen. Sie stellten klar, daß Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist und ihre Posts als freie Meinungsäußerung gewertet werden. Des Weiteren ging es in dem Gespräch darum, sie vor möglichen Anfeindungen von Andersdenkenden zu schützen (zum Beispiel Verhinderung von Haß und Hetze im Netz) sowie mit ihr die Grenzen der Meinungsfreiheit zu besprechen, wenn zum Beispiel Straftaten begangen werden (zum Beispiel durch volksverhetzende Begriffe oder Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole).“ Unsere Redaktion gibt seine Antwort ungekürzt wieder.

AfD bringt Thema in den Bundestag

Opitz hatte, noch bevor der Fall öffentlich wurde, auf Anfrage dieser Zeitung aber auch ausdrücklich von einer „Art Gefährderansprache“ gesprochen und bestätigt, daß dafür am ehesten der Volksverhetzungsparagraph 130 im Strafgesetzbuch sowie der Paragraph 86a als Grundlage gedient hätten. 86a stellt die Verwendung von „Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“ unter Strafe.

Am Ende bleiben zurück: Ein 16jähriges Mädchen, strafrechtlich nicht relevante Beiträge und eine Mail an den Direktor, die mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet. Der „Fall Loretta“ ist noch nicht an seinem Ende angekommen. Am Freitag wird er voraussichtlich Thema im Bundestag.

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