Meinung

Der „gemeingefährliche“ und letzte richtige Gewerkschafter

Der „gemeingefährliche“ und letzte richtige Gewerkschafter
Claus Weselsky, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer

Erst blockieren die Landwirte die Straßen und jetzt streiken auch die Lokführer wieder. Wer nicht auf die Autobahn kommt, kann jetzt auch nicht mit dem Zug fahren. Während die protestierenden Bauern aber Sympathien genießen, ist der Streikführer und Gewerkschaftschef Claus Weselsky eher unbeliebt. Warum eigentlich?

von Peter Grimm

Nun streiken die Lokführer wieder und die Züge stehen. Wer fürchtet, von einer Traktoren-Blockade nicht auf die Autobahn gelassen zu werden, kann bis Freitag auch nicht auf die Schiene ausweichen. Und jeder Lokführerstreik hat seit vielen Jahren ein Gesicht – das des Gewerkschaftschefs Claus Weselsky. Er ist dieser Tage deshalb auch sicher wieder in allen Medien präsent. Den Medienkonsumenten bleibt dann nicht verborgen, dass Claus Weselsky wenig Freunde in deutschen Redaktionsstuben hat. Der Mann passt einfach nicht so recht ins Weltbild vieler Redakteure. Seine öffentlichen Äußerungen drehen sich weder um die Klima- oder eine andere Weltenrettung, noch ruft er zum Kampf gegen rechts oder für mehr Vielfalt auf. Wenn er redet, dann über die Interessen der Bahn-Beschäftigten, die seine Gewerkschaft vertritt. Sein Kampf ist der Arbeitskampf. Parteipolitik hält er da raus, obwohl er einer Partei angehört, nämlich der CDU. Aber er ist bislang öffentlich nicht als Wahlkämpfer aufgefallen.

Mit seinem undiplomatischen und kämpferischen Auftreten gegenüber den Arbeitgebern fiel er aber auf. Als er stellvertretender Gewerkschaftschef war, gab es keinen Zweifel, dass er den Vorsitz übernehmen würde, sobald sein Vorgänger in den Ruhestand geht. Bevor es soweit war, schrieb die damals noch existierende Financial Times Deutschland 2007 über ihn:

„Alles läuft darauf hinaus, dass Weselsky dann die GDL mit ihren 34.000 Mitgliedern führen wird. Ein Ostdeutscher als Gewerkschaftschef, das wäre ein bundesdeutsches Novum. Aber es wäre folgerichtig: Ihre meisten Mitglieder hat die GDL in den neuen Bundesländern, hier sitzt die besonders streitlustige Machtbasis der kleinsten von insgesamt drei Bahngewerkschaften. Und hier fallen schon mal ziemlich kämpferische Parolen, die auch Weselsky pflegt. „Wilde Streiks“ hätten seine Lokführer angedroht, falls der Arbeitsrichter in Chemnitz den GDL-Warnstreik erneut verbieten würde, sagt der Vize-Gewerkschaftschef. Und noch bevor das Arbeitsgericht mit der mündlichen Anhörung begann, noch bevor ein Urteil fiel, stand für Weselsky fest: ‚Das ist doch ein wild gewordener Arbeitsrichter.'”

Ein streit- und streiklustiger Ossi an der Spitze einer kämpferischen Gewerkschaft, damit konnten viele Redakteure offenkundig wenig anfangen, die den Typus des meist sozialdemokratischen, westdeutschen Gewerkschaftsbosses bevorzugten, der in Interviews mit entschieden klingendem Genossen-Deutsch aufwartete, ansonsten aber auch sehr geschmeidig sein konnte.

Weselsky, gebürtiger Dresdner, versuchte nie, seine sächsische Herkunft hinter hannoversch klingendem Hochdeutsch zu verbergen. Er überstand interne Machtkämpfe, entledigte sich kritischer Stellvertreter, hatte aber offenbar die Mehrheit seiner Gewerkschaftsmitglieder immer hinter sich. Und Streikbereitschaft macht einen Gewerkschaftschef nur stärker, wenn er den Eindruck hinterlassen kann, Arbeitskämpfe zu gewinnen. Um das zu erreichen, ließ er seine Lokführer auch gern mal zu Zeiten streiken, zu denen man damit alles andere als Sympathien erntet, beispielsweise zum Ferienbeginn.

„Der kompromissloseste Arbeiterführer Deutschlands.“

Eine solche Streiksaison gab es im Herbst 2014, und natürlich schrieben die Zeitungen über Weselsky und stellten ihren Lesern diesen Streikführer vor, der ihnen das Bahnfahren vergällte. Man muss Jüngeren vielleicht noch erklären, dass damals die Züge in den allermeisten Fällen annähernd nach Fahrplan fuhren und Zugausfälle noch eine seltene Ausnahme waren. Auch damals hatte man sich als Fahrgast über die Bahn geärgert, aber die heutigen Zustände waren seinerzeit noch unvorstellbar. Weselsky also war für das Medienpublikum so etwas wie der personifizierte Bahnstreik. Die Medienschaffenden beschrieben den Mann oft sowie hier im Tagesspiegel:

„Dieser Dialekt. Das ist das Markanteste, das an Claus Weselsky, 55, auffällt, abgesehen von seinem akkurat gestutzten Schnäuzer. Er sächselt. Und redet von „glaren Bodschafden an den Arbeidgeber“, die „Eisenbohn“, über „Dariefverdräge“, unzureichende „Angebode“ und, aus seiner Sicht unvermeidbar, den „Arbeidsgampf. Jeder Mensch spricht so, wie er spricht, aber bei Weselsky, geboren in Dresden, hat die Sprache eine eigene Bedeutung. Sächsisch ist laut einer Umfrage der unbeliebteste Dialekt im Land. 30 Prozent finden das Idiom „besonders unsympathisch“. Dass ihm das egal ist, dass er redet wie sonst keiner der wichtigen Arbeitnehmer-Vertreter, sagt einiges über sein Selbstverständnis.“

Im Focus hieß es, ebenfalls im Oktober 2014, über ihn:

„Die Bezeichnung „harter Hund“ ist für Claus Weselsky fast noch untertrieben. Der Chef der Lokführer-Gewerkschaft GDL geriert sich derzeit als der kompromissloseste Arbeiterführer Deutschlands.“

Er gerierte sich nur als „kompromissloser Arbeiterführer“? Offenbar war und ist er das auch. Aber aus Artikeln wie diesem sprach völlige Ablehnung, vielleicht auch deshalb, weil es diesen Typus Gewerkschafter kaum noch gibt, einen, der sich nicht um seinen Ruf schert, wenn die Mitglieder in der eigenen Gewerkschaft zufrieden sind.

„Dass Millionen Bahnreisende wegen ihm stundenlang auf zugigen Bahnsteigen warten müssen? Egal. Dass ihm Politiker und selbst die größere Bahngewerkschaft EVG Machtgelüste unterstellen? Interessiert ihn nicht. Im Gegenteil: Kaum fahren die Züge am Montag wieder nach Plan, kündigt Weselsky für kommende Woche den nächsten Streik an. Wer ist dieser Mann? Auf jeden Fall ist er den Lokführern weniger nah, als er glauben macht: Ja, Weselsky war selbst mal Lokführer – aber das ist schon 22 Jahre her. Und er verdient heute mehr als das Doppelte dessen, wofür seine GDL-Mitglieder auf die Straße gehen. Tauchurlaube in den Tropen können die sich von ihrem Gehalt kaum leisten.“

Diesen Einkommensunterschied zwischen Chefs und Mitgliedern gibt es allerdings bei allen anderen deutschen Gewerkschaften ebenso oder vielleicht noch stärker, ohne dass das bei einem Arbeitskampf thematisiert worden wäre.

Hassobjekt für Journalisten

Für manche Kollegen war der Chef der Lokführergewerkschaft in jenen Jahren offenbar ein richtiges Hassobjekt. Stefan Niggemeier hatte 2015 einige Wortmeldungen deutscher Journalisten über den GDL-Chef auf seiner Seite publiziert, die Tobias Rüther zuvor für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung gesammelt hatte. Ein durchaus beeindruckendes Zeitdokument:

„Irrlichternd bewegt sich Claus Weselsky durch die Welt, die für ihn eine Bühne ist – bei seinen öffentlichen Auftritten immer mehr ähnelnd jenem „großen Diktator“ aus Charlie Chaplins Schwarzweißfilm – und riesigem Erfolg aus dem Jahre 1940. Irgendwie zum Lachen, aber bitter, sehr bitter. Verwurzelt ist der Chef der Loklenkergewerkschaft GDL natürlich nicht in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sondern eher in den östlichen sechziger oder siebziger Jahren desselben. Was es damals an Streikrecht in der DDR nicht gab (brauchte ja auch keiner im Arbeiterparadies), will der Dresdner nun mit Gewalt nachholen. Wozu hat er all die politischen Seminare gemacht und die Kampfkraft der proletarischen Massen studiert? Da müsste doch nun im Westen mal mindestens der Ehrentitel des Größten Lokführers aller Zeiten herausspringen.“

Reinhard Schlieker, ZDF, in seiner Kolumne für „Börse am Sonntag

„Würde den Herrn Weselsky ja gerne mal einem Waterboarding unterziehen – allerdings: Bei diesen Zugtoiletten…“

Günter Klein für den „Münchner Merkur“ auf Twitter

„Claus Weselsky, man muss das leider so krass sagen, führt sich auch im reichlich gesetzten Alter von 55 Jahren nicht wesentlich anders auf als das kleine Arschloch der großen Pause, dem es irgendwann gleichgültig zu sein scheint, dass ihn keiner mag. Er legt es regelrecht darauf an, zur Hassfigur Nummer eins der Republik zu werden. Mister 109 Stunden. Der Mann, der für seine Ziele die Republik stillstehen lässt. So etwas maßt sich sonst keiner an. Wahrscheinlich empfindet sich Weselsky als so etwas wie ein Freiheitskämpfer. Aber das tun die Salafisten auch.“

Andreas Hoidn-Borchers auf stern.de

Nicht nur diese Medienschaffenden, auch die DGB-Gewerkschaften und etliche Politiker hätten den Gewerkschafter gern gestoppt, denn die großen Gewerkschaftsapparate mögen eines überhaupt nicht: Wettbewerb. Und ihre Führung sieht gegen einen kampfstarken Gewerkschafter ebenfalls recht blass aus. Ein Weselsky verdirbt da einfach die Maßstäbe.

Gegen die Macht der Spartengewerkschaften sollte eigentlich 2015 das sogenannte Tarifeinheitsgesetz helfen. Danach sollte in einem Unternehmen ein Tarifvertrag nur mit der mitgliederstärksten Gewerkschaft geschlossen werden können. Das wäre bei der Deutschen Bahn eigentlich die zum DGB gehörende Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG. Da die Deutsche Bahn ihr Unternehmen zuvor in etliche Einzelbetriebe aufgespaltet hat, gibt es einige, in denen die GDL weiterhin Tarifverträge abschließt. Aber seitdem gibt es zwischen EVG und GDL natürlich einen erbitterten Kampf um die Tarifhoheit. Und für die insgesamt kleinere Gewerkschaft geht es natürlich eher ums Überleben als für die größere. Das motiviert einen Mann wie Weselsky sicherlich umso mehr, aber das kann man ihm kaum vorwerfen.

Besserer Ruf durch Vorstands-Boni?

Und wie sieht es nun im aktuellen Arbeitskampf aus? „Weselsky sucht den Konflikt“, titelt die Süddeutsche Zeitung am Montag und schreibt: „Vordergründig geht es beim Ausstand der Lokführer um mehr Geld für weniger Arbeit. Doch tatsächlich verfolgt der Gewerkschaftschef auch eine ganz eigene Agenda.“ Wenn man die verschiedenen Medien-Seiten anschaut, erscheint der Ton im Moment Weselsky gegenüber milder zu sein als bei den Streiks 2014.

Das hat wahrscheinlich sehr stark mit den Entwicklungen bei der Bahn zu tun. Die lässt Fahrgäste leider immer öfter auch ohne Zutun von Streikenden auf der Strecke bleiben. Die Pünktlichkeit erreicht Negativ-Rekorde, beim Service herrscht oft Mangelwirtschaft, und gleichzeitig haben sich die Vorstände angesichts dieses Desasters Ende letzten Jahres noch Millionen-Boni gegönnt, offiziell u.a. als Belohnung dafür, dass es jetzt mehr Frauen in Führungspositionen bei der Bahn gibt.

Ein Unternehmen, das so freigiebig für jene ist, die es in eine täglich neu erfahrbare Krise gestürzt haben und dann bei den Lokführern geizt, kann nur schwer mit Spar-Notwendigkeiten argumentieren. Als die Bonus-Zahlungen gemeldet wurden, haben viele Medienkonsumenten gefragt, wie viele Lokführer-Gehälter das umgerechnet wären. Deshalb ist Weselsky in dieser Streiksaison nicht mehr der alleinige Buh-Mann für die Betroffenen der Streiks. Die haben inzwischen vielleicht auch ein größeres Verständnis dafür als 2014. Wir werden ja jetzt sehen, ob sich die Stimmung gegenüber den Bahnstreiks ähnlich entwickelt wie die gegenüber den bäuerlichen Straßenblockaden. 

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