Das muss man sich erst mal so richtig vorstellen: Die Politik genehmigt sich jedes Jahr über acht Wochen Sommerpause, und haben noch nicht mal ein bisschen Scham dabei.
von Michael Münch
Heute ist Wochenende. Und ich ertappe mich, wie ich am Sonntag morgen wieder einmal auf diese absurde Zahl starre: 57 Tage. Das ist die Dauer der Sommerpause des Deutschen Bundestages. Also fast zwei Monate, in denen unsere Volksvertreter kollektiv abtauchen, obwohl unser Land in einer der tiefsten Krisen seiner Geschichte steckt. Wirtschaftlich, sozial, energetisch, finanziell, institutionell. Und dann verschwindet die politische Klasse einfach. Für 57 Tage. Fast ein Sechstel des Jahres. Mitten im Sturm.
Und ich frage mich, immer wieder: Was würde ich als Unternehmer tun? Die Antwort ist einfach. Ich würde die Sommerpause abschaffen. Komplett.
Nicht kürzen, nicht reformieren – sondern streichen. Warum sollte es in einem modernen Industrieland überhaupt eine Sommerpause geben? Ich würde jedem Abgeordneten, wie jedem anderen Berufstätigen, erst mal nur die gesetzlich geregelten 20 Urlaubstage im Jahr zugestehen. Verteilt über das Jahr, individuell planbar. Wer sich besonders verdient macht, bekommt vielleicht ein paar Tage zusätzlich. Aber das war es dann auch.
Jedes Jahr dasselbe
Es gibt keinen Anspruch auf kollektiven Stillstand. Ein Parlament darf sich nicht wie ein Schülerkollektiv in die Sommerferien verabschieden. Es gibt kein Recht auf ein Hängemattenparadies auf Staatskosten. Denn kein Unternehmer, der bei Verstand ist, würde sich mitten in einer existenziellen Krise für zwei Monate ausklinken. Kein Geschäftsführer, kein Handwerksmeister, kein Gastronom, kein Spediteur. Wer Verantwortung trägt, bleibt an Deck – wenn das Schiff Schlagseite hat. Man schaltet ja auch nicht das Cockpitlicht aus, wenn die Turbinen brennen.
Und doch erleben wir jedes Jahr dasselbe: Parlament und Regierung packen die Koffer, obwohl der Bundeshaushalt noch nicht beschlossen ist. Statt klarer Entscheidungen bleibt nur Zeitdruck für den Herbst. Statt Reformen verschleppt man Verantwortung. Statt Lösungen gibt es Ausflüchte. Der Wirtschaftseinbruch? Wird im Herbst diskutiert. Der Bürokratieabbau? Liegt auf Eis. Die Energiepreise? Unerledigt. Die Kindergrundsicherung? Zerstritten. Die Migrationspolitik? Blockiert. Die IT-Sicherheitsrichtlinie? In der Warteschleife. Die Verfassungsrichterwahl? Geplatzt. Aber Hauptsache, das Plenarsaallicht ist aus und die Bundestagskantine bleibt geschlossen
Desinteresse am Zustand der Republik
Es ist, als würde man das Haus brennen lassen, weil das Grillfest schon geplant war. Jeder normale Mensch würde für so ein Verhalten sofort die Kündigung kassieren. In Berlin jedoch bekommt man dafür warmen Applaus und, wenn es ganz gut läuft, noch ein Interview im ZDF-“Morgenmagazin” über die Kunst des politischen Durchatmens. Es geht nicht nur um Urlaub, sondern um Haltung. Wer 57 Tage kollektiv abtaucht, signalisiert aber vor allem eins: Desinteresse. Desinteresse am Zustand der Republik, an den Sorgen der Bürger, an den Mahnungen der Wirtschaft. Für das Land bleibt dann nur noch der heiße Herbst, das kalte Erwachen und ein Stapel unerledigter Akten.
Und warum? Weil sich eine politische Klasse bequem eingerichtet hat in einem System aus Selbstbedienung, Selbstbeschwichtigung und Selbstüberschätzung. Da gibt es keine Pflichten mehr, sondern Privilegien. Und kein Pflichtgefühl, sondern Urlaubsanspruch. Kein Ernst, sondern Entspannung. Ach ja, eines haben die Damen und Herren in Berlin aber doch noch rechtzeitig geschafft, bevor die Sonnenmilch geöffnet werden kann: Die Diätenerhöhung. Die ging noch durch. Rückwirkend, versteht sich. Ohne Streit. Ohne Pause. Perfekt!
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