Meinung

Wokeness ist gesellschaftliche Depression

Wokeness ist gesellschaftliche Depression
Gender-Ideologie und Identitätspolitik: Deutschland ist weltweit führend in Sachen Wokeness

Deutschland ist in eine allgemeine Apathie verfallen. Long Covid, „Klimaangst“ und Prokrastination lähmen unsere einst für ihre Leistungsfähigkeit bekannte Gesellschaft. Doch das Ohnmachtsgefühl ist hausgemacht.

von Larissa Fußer

Ein gekrümmter Körper, bleiche Haut, zerzauste, ungepflegte Haare. Eine junge Frau guckt den Doktor und mich, seine Praktikantin, durch unendlich leere Augen an. „Mir geht es sehr schlecht“, sagt die etwa 30-Jährige ohne jegliche mimische Verzerrung ihres Gesichtes. „Ich bin so erschöpft – ich schlafe nur noch den ganzen Tag.“ Hier herzukommen sei ein unfassbarer Kraftakt gewesen, haucht sie mit kaum vernehmbarer Stimme. Schon seit Monaten habe sie das Haus kaum noch verlassen und auch keinen Besuch empfangen. „Wann hat das angefangen?“, fragt der Arzt. „Mit meiner Coronainfektion, Herr Doktor, ich versuche nun schon eine ganze Weile, aus dem Long Covid wieder herauszukommen, aber mir geht es nicht besser. Was kann ich nur tun?“ 

Der Arzt empfiehlt ihr, sich in einem Long Covid Zentrum vorzustellen und sich dort verschiedenen medizinischen Tests zu unterziehen. Die Krankschreibung verlängert er routinemäßig. Sie soll schon bald wieder kommen. Nachdem die Patientin gegangen ist, frage ich ihn, ob er wirklich denkt, dass die Patientin Long Covid hat. „Man kann es nicht ausschließen, aber natürlich treffen die Symptome auch auf eine Depression zu. Aber ich habe seit der Pandemie ständig sehr erschöpfte Menschen in meiner Sprechstunde. Das kann man nicht ignorieren, wir steuern in eine Long Covid-Krise.“

Zeitsprung. März 2024. Die Krankenkasse DAK meldet einen Höchststand bei den Krankenfehltagen aufgrund psychischer Erkrankungen. Auf 100 Versicherte kamen im vergangenen Jahr 323 Fehltage aufgrund von seelischen Problemen, heißt es in dem Bericht, der auf Basis der Krankschreibungen von rund 2,39 Millionen Erwerbstätigen, die im Jahr 2023 bei der DAK versichert waren, erstellt wurde. Das ist der höchste Stand seit zehn Jahren und entspricht im Vergleich zu 2013 einem Anstieg von 52 Prozent. Vor allem unter Jüngeren stiegen die Krankmeldungen zwischen 2022 und 2023 enorm an. Unter den 20- bis 24-Jährigen meldeten sich im vergangenen Jahr 34 Prozent mehr Personen aus psychischen Gründen krank als im Vorjahr. Bei den 25- bis 29-Jährigen waren es 31 Prozent. Am häufigsten wurden die Krankschreibungen mit Depressionen begründet.

„Warum sind wir alle so fertig?“

Ähnliches berichtet die AXA Versicherung in ihrem neuen Mental Health Report, für den Ende 2023 1.000 Personen zwischen 18 und 75 Jahren in Deutschland online befragt wurden. 31 Prozent der Deutschen geben dem Bericht zufolge an, derzeit unter Depressionen, Angststörungen, Essstörungen, Zwangsstörungen oder anderen psychischen Erkrankungen zu leiden. Bei den 18- bis 24-Jährigen sind es sogar 42 Prozent. Ebenfalls auffällig: Nur noch 42 Prozent der Deutschen blicken positiv in die Zukunft. Bei den unter 25-Jährigen sind es nur 39 Prozent. Im Vorjahr waren es in dieser Altersgruppe noch 47 Prozent gewesen. 

„Warum sind wir alle so fertig?“, fragte kürzlich die Zeit im Gespräch mit der Psychologin Nicole Plinz. Sie erklärt: Die Gesellschaft sei kollektiv müde, weil vieles im Umbruch ist und Angst mache. Geldsorgen, die Bedrohung von rechts, Kriege, der Klimawandel – all das löse bei vielen Menschen ein Ohnmachtsgefühl aus, das sie in die Erschöpfung treibe, meint die Therapeutin. Dabei sei vor allem das verbreitete Gefühl, mit den eigenen Handlungen die Krisen auf der ganzen Welt nicht bekämpfen zu können, maßgeblich. Hinzu komme der ständige Druck, sich selbst optimieren zu müssen, der viele Menschen in einem Überforderungsgefühl lähme. 

Der Berliner Psychiater Prof. Dr. Mazda Adli berichtet im Gespräch mit der Barmer Krankenkasse, dass gerade die sogenannte „Klimaangst“ eine zunehmende Rolle im klinischen Alltag spiele. „Insbesondere ist es eine Angst, die mit der Sorge verbunden ist, den Veränderungen der eigenen Lebensumwelt völlig ausgeliefert zu sein und kommenden Veränderungen nichts entgegensetzen zu können“, meint der Arzt. In der Therapie gehe es jedoch nicht darum, den Patienten die Angst zu nehmen, erklärt Adli. Stattdessen sei es wichtig, „diese Angst ernst zu nehmen und zu validieren, dass sie nachvollziehbar, verständlich, vielleicht auch berechtigt ist“. Betroffenen empfehle er, sich für Klimaschutz zu engagieren. „Auf diese Weise können wir Wege finden, mit der Angst umzugehen und gleichzeitig zum Klimaschutz beizutragen“, meint der Psychiater, der auch ein Forschungszentrum an der Berliner Charité leitet. 

Wunden aus der Coronazeit

Wenn man all diese Berichte hört und liest, könnte man wirklich meinen, dass wir in der schlimmsten aller Zeiten leben. Was ist los mit dieser gelähmten Gesellschaft? Was ist die Ursache der großen Erschöpfung? Allein äußere Umstände für diese Entwicklung verantwortlich zu machen, verfängt nicht wirklich. Immerhin ist es noch nicht einmal 80 Jahre her, dass unser Land durch den Zweiten Weltkrieg komplett zerstört wurde und von einer traumatisierten Generation neu aufgebaut werden musste. Erst vor 35 Jahren endete mit dem Mauerfall für Millionen Ostdeutsche das Leben in einer sozialistischen Diktatur. Wirtschaftskrisen, Kriege in Europa und der Welt – all das gab es schon, immer wieder sogar. Und dennoch will unsere Gesellschaft heute besonders beschädigt, besonders kaputt, besonders überfordert sein.

Zum Teil wird die Coronazeit viele Menschen in eine Verzweiflung getrieben haben, die sie bis heute nicht wieder loslassen oder überwinden konnten. Dass in den Pandemiejahren die Zahl psychischer Erkrankungen massiv zunahm, ist inzwischen durch zahlreiche Studien belegt. Und auch, dass erzwungene Einsamkeit, ständige Angstrhetorik, die staatlich forcierte Ausgrenzung von Ungeimpften und die offizielle und schamlose Missachtung zahlreicher Grundrechte Wunden hinterlassen haben, ist nicht verwunderlich.

Die Weigerung unserer Regierung und großer Teile unserer Gesellschaft, diese Zeit aufzuarbeiten, trägt ebenfalls nicht gerade zur Heilung bei. Genauso wenig wie die Tatsache, dass Gesundheitsminister Karl Lauterbach offenbar lieber eine Long Covid-Krise ausruft, als sich darüber Gedanken zu machen, dass er mit seiner Pandemie-Politik ein gutes Stück selbst zu den Ursachen des sich vor allem in psychischen Problemen manifestierenden Krankheitsbilds beigetragen haben könnte. 

Prokrastination als Trend

Es lassen sich aber nicht alle Probleme auf die Pandemie zurückführen. Darauf weisen zum Beispiel Untersuchungen der DAK hin, die zeigen, dass die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Störungen bereits seit 1997 nahezu kontinuierlich anstieg. Jetzt kann man argumentieren, dass die Gesellschaft sensibler für psychische Störungen geworden ist und deswegen nicht tatsächlich mehr Menschen krank sind als früher, es nur eher diagnostiziert wird. Vielleicht ist da auch etwas dran. 

Dennoch hat man in der letzten Zeit zunehmend das Gefühl, in seinem Alltag tatsächlich immer öfter von depressiven Menschen umgeben zu sein. Trotz zahlreicher vermeintlicher und tatsächlicher Krisen – Klimawandel, Rechtsruck, Krieg – herrscht in der Gesellschaft kein Widerstandsgeist. Stattdessen steckt man den Kopf in den Sand. Immer mehr Menschen – auch „Stars“ wie Kurt Krömer und Nora Tschirner – tragen ihre Depression vor sich her wie eine Auszeichnung. Als könnten sie dadurch zeigen, dass sie besonders empfindsam auf die vermeintliche Katastrophenlage der Welt reagieren. In den sozialen Medien gibt es einen Trend, die eigene Antriebslosigkeit offen zur Schau zu stellen – die Meister der Prokrastination solidarisieren sich dort miteinander, bestätigen sich in ihrer TikTok-Sucht und in der Beobachtung, dass sie mit über 30 Jahren immer noch keinen Schritt weiter im Leben sind als mit 20. 

Man bekommt den Eindruck, Deutschland hat die kollektive Lust an der Gebrechlichkeit entdeckt. Man könnte auch sagen: Hinter Weltschmerz versteckte Leistungsverweigerung ist zu einem identitätsstiftenden Merkmal geworden. Die Deutschen waren einmal für ihre Produktivität und Arbeitsbereitschaft bekannt – heute lacht das Ausland über uns, weil wir unsere gesamte Industrie gegen die Wand fahren – besessen von dem Gedanken, dass unsere Klimapolitik global etwas bewegen könnte. In den sozialen Medien heulen sich junge Erwachsene darüber aus, dass es so unfassbar anstrengend sei, 40 Stunden die Woche zu arbeiten. Wer mit Studenten redet, erfährt schnell, dass viele von ihnen allein von Bafög oder dem Geld ihrer Eltern leben – und gar nicht daran denken, sich einen Job zu suchen. 

Lähmendes Ohnmachtsgefühl

Arbeiten, das heißt sich verausgaben, auch mal etwas riskieren – all das ist in großen Teilen unserer Gesellschaft nicht mehr en vogue. Und jene, die sich noch heute auch bis über ihre persönlichen Grenzen abrackern, verzweifeln nicht selten an der zunehmenden Bürokratie und Abgabenlast, die unsere Regierung den Produktiven in diesem Land immer weiter aufdrückt – oder wandern aus. Es macht etwas mit den Deutschen, ja vielleicht mit dem ganzen Westen, dass man mit allen Mitteln die angebliche Klimaschuld durch irrationale Energie- und Wirtschaftspolitik begleichen und zusätzlich vermeintliche kolonialistische Vergehen büßen, gesellschaftliche Ungleichheit bekämpfen, Frauen, Schwarze und LGTBQ empowern und Geschlechterrollen überwinden will. 

Anstatt Leistung, honorieren wir heute einen Opferkult. Junge Erwachsene gehen wegen ihrer vermeintlichen „Klimaangst“ in Therapie, aber nicht wegen ihres offensichtlichen Unvermögens, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen und sich den Anstrengungen und Problemen der Welt zu stellen. Vielleicht hat die Zeit-Psychologin recht, wenn sie sagt, dass es ein Ohnmachtsgefühl ist, was viele Menschen in die Erschöpfung treibt. Doch was sie verschweigt, ist, dass dieses Gefühl hausgemacht ist.

Wer sich ständig an Dingen aufreibt, die er nicht verändern kann – wie beispielsweise dem Klima oder der angeborenen Ungleichheit der Menschen – der muss sich ohnmächtig fühlen. Wer sich aber auf sich selbst besinnt, sich herausfordert und versucht, alles ihm Mögliche zu tun, sein Umfeld und Leben zum Besseren zu verändern, der merkt, dass er durchaus etwas bewirken kann. Vielleicht ist es ein Vorteil, den Konservative in diesen Tagen gegenüber den Linken haben, dass sie darauf bedacht sind, sich auf sich selbst und ihr Umfeld zu fokussieren, anstatt die Probleme der gesamten Gesellschaft und Welt lösen zu wollen. Während die woke Linke in die Depression stürzt, können wir die Hände zusammen schlagen. Es ist nötig. 

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