Meinung

Hendrik Wüst: Das smarte Nichts

Hendrik Wüst: Das smarte Nichts
Hendrik Wüst, CDU-Politiker und Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen

Hendrik Wüst ist der neue Liebling der Medien. Er ist smart und fotogen und redet viel von neuer Zeit. Er führt die Union ins inhaltliche Nirgendwo – und steht wie niemand anderes für eine Politik, die eigentlich sinnfrei ist.

von Max Roland

„Erstmal ist es ja gut, wenn es in der Union eine Menge starker Leute gibt“.  Hendrik Wüst weicht aus – die Frage, ob er Kanzlerkandidat werden will, beantwortet er so direkt nicht. Er muss es auch gar nicht. Für jeden Beobachter ist offensichtlich, dass der junge Mann aus NRW seinen Fuß bereits in der Tür des Kanzleramtes sieht. Das haben auch die Zuschauer des ARD-Formates Bericht aus Berlin verstanden, die ihn direkt danach fragen: „Wann machen Sie Friedrich Merz klar, dass Sie Kanzlerkandidat werden wollen?“, lautet die Frage, die Wüst zunächst weglacht und dann mit dem Satz über die vielen starken Leute beantwortet.

Es ist ein typischer Wüst-Satz, wie er ihn so oft sagt in diesen Tagen. „Eine Menge starker Leute“ gibt es – und CDU-Chef Merz ist nur einer von ihnen. Hendrik Wüst gilt als Merz‘ größter innerparteilicher Rivale. Aus den Reihen der Christdemokraten ist er der Einzige, der dem Vorsitzenden die Kanzlerkandidatur noch streitig machen kann.

Wie er das macht, wird am besten illustriert durch ein Bild, das Wüst jüngst auf seinem X-Account postete. Dort sieht man ihn, Merz und Söder auf dem CDU-Parteitag. Wüst und Söder werden beim Handschlag gezeigt. Dazwischen steht Friedrich Merz. „Einig, geschlossen und stark“ schreibt Wüst dazu.

Wüst ist Medienprofi – und weiß, was Bilder transportieren. Ein Handschlag mit Markus Söder – über Friedrich Merz hinweg. Der steht im Zentrum, aber doch am Rand. Und damit ohne Zweifel da, wo Hendrik Wüst ihn haben möchte.

Es ist diese Art von Machtpolitik – mancher mag sie perfide oder ekelig nennen – die Wüst auszeichnet. Sie hat den Mittvierziger seit Beginn seiner Karriere geprägt, und diese Karriere ist deutlich länger, als sein vergleichsweise fast jugendliches Alter vermuten lässt. Vor drei Jahren war er noch Verkehrsminister in NRW und ein vergleichsweise kleines Licht: Nun ist er der mächtigste und wichtigste CDU-Politiker in Regierungsverantwortung.

Und das mehr oder weniger nur durch Zufall. Armin Laschet machte Wüst nicht zu seinem Nachfolger, weil er ihn so sehr schätzte – ihm fehlten bloß die Alternativen. Denn Wüst war einer der wenigen CDU-Minister mit dem für die Wahl erforderlichen Landtagsmandat. Und so wurde aus dem Mann, der sich vor drei Jahren noch um E-Bikes, Warnwesten für Kitakinder und Bushaltestellen kümmerte, ein Kanzleramts-Aspirant mit bester Startposition. Und geschickt spielt er seine Rolle aus. Er – jung, dynamisch, in Verantwortung – gegen den alten, unbeliebten, reinen Parteipolitiker Merz.

Aufgesetzt und durchgeplant: Wüst, die menschliche Marke

Hendrik Wüst hat eine Stärke, die Merz fehlt – er ist Medienpolitiker pur. Das macht ihn gleichzeitig erfolgreich und oft schwer erträglich: Alles an ihm scheint durchgeplant, wie von einem Team von PR-Spezialisten besprochen. Keine Kanten, stromlinienförmig, angepasst, clean. Und alles daran, alles an ihm, wirkt aufgesetzt. Er denkt seine Sätze vordergründig in Clips und Zitaten – die Inhalte sind dabei nicht immer hohl und austauschbar, auch wenn es so klingt. Im Landtag NRW heißt es, Laschet habe als Regierungschef noch „etwas Menschliches“ an sich gehabt – Wüst hingegen sei „durch und durch taktisch geprägt“.

Diesen Eindruck wird man nicht los, wenn man Wüst beobachtet, ihn sprechen und reden hört. „Ich möchte meiner Tochter eine Welt hinterlassen, in der Klimaschutz, Wohlstand und soziale Sicherheit miteinander versöhnt sind“, sagt er in einem Wahlwerbespot 2022. Da inszeniert er, der Ex-„Fahrradminister“, sich mit seinem Mountainbike. Wahrscheinlich, weil ein PR-Berater dazu Begriffe wie „dynamisch“ auf eine Mindmap geschrieben hat. Das alles mit seinem Kopf als Logo – Haare und Brille pseudo-ikonisch ausgeschnitten und auf jedes Video als Wasserzeichen geklatscht. Wüst als menschliche Marke – dahinter verschwindet der Mensch Hendrik Wüst.

Eine begrabene Vergangenheit und vergessener Konservatismus

Diese menschliche Marke blendet die mediale Öffentlichkeit. Weitgehend unbekannt sind heute noch seine Verfehlungen, die ihn vor 14 Jahren etwa das Amt des CDU-Generalsekretärs in NRW kosteten. Er war verstrickt in eine Spendenaffäre, bei der gegen Geld exklusive Gesprächstermine mit dem dem damaligen CDU-Ministerpräsidenten Rüttgers oder seinen Ministern auf dem Landesparteitag angeboten worden. Schon ein paar Monate vorher geriet Wüst in Erklärungsnöte, weil er monatelang von der CDU und vom Landtag in Düsseldorf gleichzeitig Zuschüsse für seine private Krankenversicherung kassiert hatte. Nachdem Recherchen den Fall ans Licht gebracht hatten, zahlte er rund 6000 Euro zurück.

Daran erinnert sich bloß kein Mensch mehr. Der Wüst von damals ist längst hinter der glatten Medienmarke verschwunden und versteckt – zusammen mit seinen Skandalen und auch mit dem, was vielleicht mal seine Überzeugungen waren. Heute gibt sich Wüst progressiv – als Mann der „Mitte“, wie man in der CDU sagt. Doch so war er nicht immer.

Eine Rückschau in die öffentliche Vergangenheit Hendrik Wüst zeigt bemerkenswertes auf. Zusammen mit dem ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus, dem langjährigen JU-Vorsitzenden Phillip Mißfelder und Markus Söder schrieb er 2007  das Positionspapier „Moderner bürgerlicher Konservatismus“. Darin liest man Sätze, die vom heutigen Wüst kaum stammen könnten: So sei „das Bürgerlich-Konservative das wesentliche Alleinstellungsmerkmal der Union“ und Basis für ihren Erfolg, schrieb der heutige Ministerpräsident damals. „Wir“, die Deutschen, müssten wieder wissen, „wo wir herkommen und wer wir sind. (…) Gefragt sind Identität und Beständigkeit.“ 

Gerade weil Deutschland derzeit nach links rücke, müsse mit der CDU eine bürgerliche Alternative erkennbar sein, schrieb er damals. „Das Beispiel Frankreich zeigt, dass mit bürgerlichen und wertkonservativen Positionen Wahlen zu gewinnen sind.“ Wüst formuliert eine Absage an „weltfremde Gesellschaftstheorien oder Ideologien“. „Gleichmacherei und multikulturelle Beliebigkeit schaffen nur Probleme, statt sie zu lösen“, heißt es dort. Und: Moderner Konservatismus „achtet nicht nur auf den Zeitgeist“. Wie passt das mit dem Hendrik Wüst zusammen, der heute in NRW regiert und dort Moscheen feiert, Regenbogenflaggen hisst und Frauenquoten fordert?  Eigentlich gar nicht.

Nicht von Ideen überzeugt, sondern von sich selbst

Oft ist das, was Wüst früher sagte, das komplette Gegenteil seiner heutigen Politik. „Nicht jedes Lebens- oder Gesellschaftsmodell verdient es, im Zeichen der Pluralität gleichermaßen gefördert zu werden“, schreibt Wüst in dem Positionspapier – 12 Jahre später verspricht er als Ministerpräsident, sexuelle und geschlechtliche Minderheiten vor „Ungleichbehandlung“ schützen zu wollen. Aus seiner Kritik an „Gleichmacherei“ wird Kritik an der Ampel, die angeblich zu wenig Frauen in Führungspositionen gebracht hat: „Wir haben bald einen Kanzler, der von zwei Männern vertreten wird“, bemängelte der irgendwann zum Oberfeminist gewordene Wüst während der Regierungsbildung 2021. 2015 galt er noch als Kritiker von Merkels Flüchtlingspolitik – als Ministerpräsident macht er sich ihr „wir schaffen das“ zu eigen und verleiht Merkel den Staatspreis Nordrhein-Westfalen.

Hat er seine Überzeugungen verraten – oder war er immer nur ein Fähnchen im Wind, das sich bloß gedreht hat? Jetzt jedenfalls surft er voll auf dem Zeitgeist – er richtet seine Politik eben nicht nach Überzeugungen, sondern nach den Rhythmen der Medienwelt aus. Schwer sei zu ergründen, was ihn außer dem eigenen Vorankommen sonst noch antreibt, porträtiert ihn der Spiegel

Wüst‘ durchtriebene Jagd auf Friedrich Merz

Im vergangenen Sommer schreibt Hendrik Wüst erneut für die FAZ. Vom Erzkonservativen, der über „Identität“ und „Wertkonservatismus“ schrieb, ist nichts mehr übrig, wenn man diesen Text liest. Stattdessen ruft er seine CDU auf, sich „dem Wandel nicht zu verschließen“. Er schreibt: „Die Schönheit der reinen Lehre sollen andere genießen“, die CDU solle „pragmatisch“ und unideologisch Politik machen, „Politik von Modernität, Mitte und Ausgleich“. Als Beispiel dafür nennt er Angela Merkel. Ein kaum verhohlener Angriff auf Friedrich Merz, der in diesen Tagen des Jahres 2023 noch mit Flügel-Gefechten beschäftigt ist auf seinem Weg, die Union wieder etwas konservativer erscheinen zu lassen.

Mittlerweile scheint sich die Partei mehr hinter Merz versammelt zu haben – nur Wüst ist offen dabei, ihn zu untergraben und zu torpedieren. Während der Parteichef Schwarz-Grün öffentlich eine Absage erteilt, lässt Wüst verlautbaren, Schwarz-Grün habe „viel Potenzial“. Damit meint er natürlich auch sich selbst, der ja in Düsseldorf herzlich mit den Grünen zusammenarbeitet.

Erst vor kurzem gab es wieder eine kaum verhohlene Kampfansage an Friedrich Merz: „Bei der Kandidatenfindung wird natürlich eine Rolle spielen, welcher Kandidat mit welchem Programm die besten Chancen hat. Der Erfolg bei möglichst breiten Bevölkerungsgruppen macht die Stärke von CDU und CSU als Volksparteien aus“, sagte Wüst dem Stern. Klar: Damit will er sich zum Kanzlerkandidaten ausrufen. Aber er sagt es eben nicht direkt – er drückt es nur aus. Auf diese unklare und doch durchsichtige, durchtriebene, perfide Art, die ihn prägt. Wenn er im Gegensatz dazu erklärt, die CDU sei „eine loyale Partei“, kann er damit eigentlich nur andere meinen.

Vorsichtig und auf der Lauer

Wüst nimmt im Vergleich zu Merz und Söder eine Sonderrolle ein. Er ist kein Alpha-Tier und Ego-Politiker wie der CSU-Chef, und er ist weniger impulsgesteuert als Merz. Er wird seine Optionen weise wählen und nicht, wie Söder 2021, einen offenen Kleinkrieg im eigenen Lager anzetteln. Das ist nicht sein Stil – ein Wüst legt sich auf die Lauer, wartet ab und zieht im Zweifel den Kopf ein. Gerade ist der CDU-Chef im Aufwind, seine Werte steigen – und Wüst wird kein Gefecht starten, das er nicht gewinnen kann. Dazu ist er zu kontrolliert. Er steht erstmal hinter Merz, um seinem Chef den Rücken zu stärken – bis er die Möglichkeit sieht, ihn von hinten zu erdolchen. Ein begabter Machtpolitiker weiß, wann er sich ruhig halten und abwarten muss.

Und das ist Wüst zweifellos: Ein begabter und moderner Machtpolitiker. Ein Politiker, den das Ziel der absoluten Stromlinienförmigkeit und das nach oben kommen antreibt. Der seinen Erfolg in Schlagzeilen und Ämtern, in Umfragen und daran misst, wie oft man irgendwo sein Konterfei aufklebt. Alte Weggefährten beschreiben einen jungen Hendrik Wüst im Stadtrat seiner Heimat Rhede: Dort habe er „nichts Substantielles angeschoben“, aber „immer darauf geachtet, auf Parteilinie zu sein“ und „an der eigenen Karriere gebastelt, nicht am Fortkommen seiner Stadt“. Seine Antriebe waren schon damals öffentliche Aufmerksamkeit und der unbedingte Wille zur Macht.

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