Gesundheit

Lauterbach-Reform: Sterben, bis der Arzt kommt!

Sterben, bis der Arzt kommt: Lauterbach-Reform ist lebensgefährlich!
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)

Gesundheitsminister Karl Lauterbach verübt einen massiven Standortkahlschlag im Gesundheitswesen auf Rechnung der Beitragszahler. Noch vor der geordneten Strukturbereinigung lichtet aktuell eine massive Pleitewelle die Reihen vor allem auf dem Land. Adäquaten Ersatz vor Ort gibt es in der Regel keinen. Im Notfall steht der Bestatter bereit.

von Ralf Wurzbacher

Horst Vogel ist ein klassischer Vertreter der „einfachen Leute“, wie es sie hierzulande dutzende Millionen gibt. Er sagt Sätze wie diesen: „Dass es zugesperrt wurde, ist für uns eine Katastrophe gewesen.“ Gemeint ist das ehemalige Krankenhaus in Hersbruck, einer Kleinstadt im Nürnberger Land. 2019 hat es dichtgemacht und sämtliche Versprechungen, adäquaten Ersatz zu schaffen – „ein Ärztehaus, mit Tagesbettenstationen und allem Zeug“ –, blieben unerfüllt. Alles nur „vorgegaukelt, (…) gekriegt haben wir gar nichts“, beklagt der Rentner. Damals hatte er wie viele andere gegen die Schließung gekämpft, einmal war er mit 3.000 Mitstreitern auf die Straße gegangen. „Gebracht hat‘s nicht viel, aber wir haben es wenigstens versucht.“

Und heute? Vogel erzählt von einem Stammtischkollegen, der im Wirtshaus zusammengebrochen ist. Bis der Rettungswagen da war, „sind 30 bis 40 Minuten verflogen“. Der Notarzt habe zunächst nicht gewusst, wohin, „weil die Krankenhäuser abgemeldet waren“, befördert habe man den Mann dann nach Sulzbach-Rosenberg. Das liegt 27 Kilometer entfernt von Hersbruck, das in puncto medizinischer Versorgung zusehends ausblutet. „Die Ärzte wandern ab, die Hausärzte werden immer weniger“, schildert Vogel und bringt die Sache auf den Punkt: „Das ist schlecht, weil wir einfach eine gescheite Versorgung brauchen auf dem Land.“

Betroffene packen aus

Wie Vogel denken zahllose Menschen in Deutschland. Das „Bündnis Klinikrettung“ gibt ihnen im Rahmen einer neu aufgelegten Videoserie eine Stimme. Im Wochentakt wird jeweils ein Patient, eine Ärztin oder ein Krankenpfleger aus „persönlicher Erfahrung“ berichten, darüber, wie es ist, wenn in der örtlichen Klinik die Lichter ausgehen. Damit kämen diejenigen zu Wort, die in der Debatte „bisher weitestgehend ignoriert wurden: die Betroffenen“, heißt es in einer Medienmitteilung. Das Projekt sei ein „dringlicher Appell gegen die geplante Krankenhausreform, mit der systematische Schließungen von kleineren Krankenhäusern vor allem auf dem Land vorgesehen sind“.

„Betroffen“ von der „großen Krankenhausreform“, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ins Werk setzen möchte, ist auch Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Auch er stellt sich gerne als Gegner des Vorhabens dar, etwa indem er dem Minister vorwirft, mit dem Gerede von mehr Qualität und einer besseren Patientenversorgung „die Öffentlichkeit zu täuschen“. Dabei wolle Lauterbach tatsächlich nur „die Versorgungsstrukturen in ganz Deutschland in seine Berliner Schablone pressen“. Als „Mitkämpfer“ hat der DKG-Chef die Bundesländer auserkoren. Die böten Lauterbach Paroli, „um Versorgungsengpässe, lange Wartelisten und ungleiche Lebensbedingungen in Stadt und Land zu vermeiden“. Und sähen sich „in der Verantwortung, mit dem Blick auf die Regionen gemeinsam und im Dialog mit den Krankenhausträgern die Gesundheitsversorgung evolutionär weiterzuentwickeln“. Gaß‘ Verdikt zum Mitschreiben: „Die Länder kämpfen für die Interessen der Patienten.“

Master of destruction

Vorsicht Falle! Jene, die sich dieser Tage so eifrig und lautstark als Bewahrer und Entwickler der Krankenhausversorgung gerieren, betätigen sich in Wahrheit als Abrissunternehmer. Gerade die Bundesländer sind wahre Meister im Demolieren. Seit einer halben Ewigkeit lassen sie die Kliniken am langen Arm verhungern. Nach dem sogenannten Zwei-Säulen-Modell sind sie eigentlich verpflichtet, deren Investitionen zu finanzieren, was sie allerdings aus „Spargründen“ seit drei Jahrzehnten bestenfalls zur Hälfte der Erforderlichkeiten leisten. Anfang der 1970er-Jahre entsprachen die Investitionsmittel noch 25 Prozent der Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), die neben den privaten Krankenkassen die laufenden Kosten der Kliniken deckt. 2022 lag der Finanzaufwand nach GKV-Angaben „unterhalb von vier Prozent“.

Vor diesem Hintergrund: Worin besteht heute der „Kampf“ der Länder für die Patienten? Aktuell drohen sie mit einer Verfassungsklage, weil ihnen die Übergriffigkeit des Bundes in die landeshoheitliche Krankenhausplanung sowie Lauterbachs Anmaßung nicht passt, sein „Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz“ (KHVVG) am Bundesrat vorbei beschließen zu wollen. Auch stört sie die Tatenlosigkeit der Ampel angesichts des laufenden Kliniksterbens, für das sie mit ihrer Kürzungspolitik entscheidende Mitverantwortung tragen. Dazu kamen mit den jüngsten Krisen weitere Widrigkeiten. Die Pandemie hat die Patientenzahlen massiv und bis heute anhaltend einbrechen lassen. Mit dem Energiepreisschock im Gefolge des Ukraine-Kriegs hat sich die finanzielle Lage vielerorts noch dramatisch zugespitzt. Inzwischen stecken zwei Drittel der bundesweit noch rund 1.900 Vollversorger in akuten finanziellen Nöten. Die DKG rechnet allein im laufenden Jahr mit bis zu 80 weiteren Insolvenzen, nachdem seit Beginn der Pandemie schon über 60 Häuser pleitegegangen sind.

„Jede zweite“ Klinik weg

Vor allem missfällt den Ländern, dass sich der Kahlschlag so ungeordnet vollzieht, als „kalte Strukturbereinigung“, und über Nacht ganze Regionen zur Versorgungswüste verkommen könnten. Deshalb fordern sie wie auch die Klinikverbände „Soforthilfen“ in Milliardenhöhe, die ihnen Lauterbach aber stur verweigert. Nicht einmal einen Inflationsausgleich hat die Bundesregierung bisher bewilligt. Das hat Kalkül: „Jeder weiß, dass wir in Deutschland mindestens jede dritte, eigentlich jede zweite, Klinik schließen sollten“, hatte Lauterbach im Sommer 2019, seinerzeit als SPD-Abgeordneter, bekannt. Heute agiert er zurückhaltender, spricht lieber von „mehr Qualität“ durch „mehr Spezialisierung“. Gleichwohl gab er dieser Tage Bescheid, es werde zu Klinikschließungen kommen, und das sei so auch gewollt. Dies seien aber gezielte und geplante Abwicklungen im Sinne der Reform und keine, die sich ergäben, weil benötigte Häuser nicht über die Runden kämen.

Genau das geschieht gegenwärtig vielerorts: Benötigte Häuser gehen den Bach runter, und der Minister lässt es geschehen. Und je länger das so geht, desto größer sind am Ende die Verluste beziehungsweise die Gewinne der großen Klinikkonzerne und privaten Gesundheitsdienstleister, deren Agenda er vertritt. Diese nehmen sich der „heimatlosen“ Patienten gerne an und steigern so ihre Renditen. Aus der Perspektive sogenannter Gesundheitsökonomen, die Gesundheit als Geschäft begreifen, macht das Sinn. Die rückläufige Nachfrage muss auf weniger Profiteure verteilt werden. Deshalb degradiert man vornehmlich kleinere, öffentliche und Häuser im ländlichen Raum mittels „Leveln“ und „Leistungsgruppen“ zu schnöden Ambulanzen ohne Rundum- und Notfallversorgung und schleust so die „Kundschaft“ in die entfernten Vollkrankenhäuser und Spezialkliniken. Das ist der Kern der Lauterbach-Reform, wie ihn Jens Berger im Beitrag „Lauterbachs ‚Revolution‘ – Einfalltor für den Kahlschlag im Krankenhaussystem“ beleuchtet hat.

Gefügige Widersacher

Indes sind die Länder weit davon entfernt, das Projekt vom Prinzip her infrage zu stellen. Vielmehr betonen ihre Vertreter zu jeder Gelegenheit ihre wohlwollende Unterstützung. Allen sei klar, dass es eine Krankenreform (sic!) geben müsse, aber eben eine, die mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Laut DKG-Chef Gaß sperrten sich auch die Krankenhausträger nicht gegen die „notwendigen Weiterentwicklungen“, die da wären: „insgesamt weniger Krankenhausstandorte, Umwandlungen in regionale Gesundheitszentren, Standortfusionen, die stärkere Konzentration besonders komplexer Behandlungen in Zentren und mehr ambulante Versorgung“. Das alles sind blumige Umschreibungen für Marktbereinigung, die nur bitte schön nicht so rabiat und planlos wie heute abgehen soll und gefälligst in Hauptzuständigkeit der Landes- und Kommunalpolitik. Allerdings sitzt der Gesundheitsminister am längeren Hebel. Bei anhaltender Renitenz der Länder und weiteren Verzögerungen bei der Gesetzgebung geht das chaotische Kliniksterben munter weiter, womit der Minister seinem Maximalziel – „jede zweite Klinik“ weg – näherkommt. Denn Geld – dann für den systematischen Abbruch – soll es erst mit Inkrafttreten der Reform geben. Konkret soll der Umbau mit 50 Milliarden Euro von 2025 an über einen Zeitraum von zehn Jahren unterfüttert werden (wohlgemerkt auf Rechnung der Beitragszahler, wogegen mit Recht der GKV-Spitzenverband wettert).

Wie gefügig Lauterbachs „Widersacher“ im Ernstfall sind, hat sich bereits in der Debatte um das „Transparenzgesetz“ gezeigt. Das ist eine Art Vorschaltgesetz zur großen Klinikreform und nimmt die Einteilung der Standorte nach „Leveln“ vorweg. Per „Klinik-Atlas“ soll für jeden im Internet ersichtlich werden, welche Klinik welche Behandlungen wie gut oder schlecht mit welchem Personal bewältigen kann. Was mit dem Schlagwort „Transparenz“ beworben wird, ist Kritikern zufolge ein Ranking, um Patientenströme umzuleiten, weg von den kleinen hin zu den großen Fischen. Damit werde, noch ehe die Kernreform in Kraft ist, die laufende Konkurswelle forciert. Und sobald sie erst in Kraft ist, fällt die Auswahl der Abschusskandidaten noch leichter. Auf der Strecke blieben dabei wohl zuerst die „Level-1i“-Häuser, die künftig nur mehr als „sektorenübergreifende Versorgungszentren“ firmieren sollen, mit überwiegend ambulantem Charakter, ohne durchgehende ärztliche Versorgung und unter pflegerischer statt ärztlicher Leitung stehend. Die Länder hatten sich lange gegen das Konzept mit den „Leveln“ gewehrt. Am Ende gaben sie für das Gesetz im Vermittlungsausschuss grünes Licht.

Schlechter oder gar kein Ersatz

Was folgt daraus? Selbsternannten „Patientenschützern“ ist mit größter Vorsicht zu begegnen. Wer sein örtliches Krankenhaus retten will, sollte lieber auf eigene Faust dafür kämpfen. Je mehr das tun, desto besser stehen die Aussichten auf Erfolg. Denn ist die Klinik erst einmal weg, kommt in der Regel auch nichts mehr nach. Obgleich die Politik stets anderes behauptet. Auch Lauterbach verspricht für alle geschlossenen Häuser Ersatzlösungen, sogar mit qualitativem Mehrwert in der Breite. Das „Bündnis Klinikrettung“ ist der Sache auf den Grund gegangen und hat in einer vor einem Monat vorgelegten Analyse die Folgen der Abwicklung von insgesamt 66 Allgemeinkrankenhäusern seit 2020 nachgezeichnet.

Ergebnisse: Bei 51 blieben die Türen für immer zu, womit in 77 Prozent der Fälle die stationären Betten vollständig wegfielen, 7.632 an der Zahl. Erhalten blieben lediglich 1.059 Betten, entweder infolge der Umwandlung in kleinere Fachkliniken oder durch Verlagerung an andere Standorte. Komplett kompensiert wurde der Verlust an Kapazitäten nur bei drei Schließungen, wobei die Betten auch hier „ganz oder teilweise“ an andere Stelle „umgezogen“ sind. Die Konsequenz: „Geschätzt 400.000 Menschen mehr erreichen das nächste Krankenhaus nicht mehr innerhalb einer Fahrzeit von maximal 30 Minuten.“

Rettung fern, Patient tot

Und wo es doch Ersatz gab? In knapp 30 Prozent der Fälle sei der Bau von Gesundheitszentren in Angriff genommen worden, wobei diese nach Fertigstellung „nur unzureichend ausgestattet“ seien. Alternativ wären Alten- und Pflegeheime (neun Prozent), Ärztehäuser oder Tageskliniken (vier Prozent) sowie Fach- und Rehakliniken aufgetaucht. Nur da, wo an die Stelle einer Klinik ein Gesundheitszentrum trat, bestehen laut Auswertung überhaupt noch Regelungen zur Notfallversorgung. Alternativ greife allenfalls der Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen. In kleinstädtischen und ländlichen Regionen mit akutem Ärztemangel sei dieses reduzierte Angebot aber „nicht rund um die Uhr gewährleistet“.

Bernd Hontschik, Facharzt für Chirurgie und Buchautor, zog bei der Vorstellung der Studie Bilanz: „Zentralisierte Krankenhäuser mit großartigen personellen und technischen Voraussetzungen helfen nicht, wenn der Patient sie nicht mehr erreicht.“ Hersbruck ist bald überall in Deutschland.

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