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Pakistan: Die islamische Bombe vor der Explosion

Pakistan: Die islamische Bombe vor der Explosion
Pakistan steht vor dem Kollaps: Droht jetzt Atom-Terrorismus?

Atommacht Pakistan bröckelt. Wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch steckt das Land in einer tiefen Krise. Über ein Pulverfass in Südasien, dessen Explosion die ganze Welt erschüttern könnte.

von Max Roland

s ist wie der Stoff, aus dem Actionfilme der 90er-Jahre gemacht sind. Eine mächtige Nation mit Atomwaffen erlebt einen Militärputsch – und die ganze Welt stürzt ins Chaos. Was in Hollywood ein Job für Bruce Willis oder Denzel Washington wäre, ist in Pakistan eine reale Angst – ein bedrohliches Szenario mit dramatischen Folgen für Südasien und die Welt. 

Denn das 235-Millionen-Land steckt tief in der Krise: Politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Die relative Stabilität der letzten Jahre ist weggefegt. Die Islamische Republik Pakistan erlebte nach den Wahlen 2013 und 2018 immerhin friedliche politische Übergänge – das ist in der Geschichte des Landes keineswegs selbstverständlich. Während sich Pakistan jedoch auf die eigentlich im Februar erwarteten Wahlen vorbereitet, sieht es sich weiterhin mit einer fragilen Wirtschaft und einer sich vertiefenden innenpolitischen Polarisierung konfrontiert. Das Land ist instabil – in Pakistan bröckelt es an allen Ecken und Enden. 

Die Islamische Republik Pakistan ist seit ihrer Unabhängigkeit durch mangelnde Stabilität gekennzeichnet. Kurze demokratische Phasen wurden immer wieder von Militärputschen unterbrochen. Militärs regierten das Land von 1958 bis 1971, von 1977 bis 1988 und von 1999 bis 2008 – und der Generalstab ist und bleibt ein politischer Machtfaktor im Land. 

Die verzögerten Wahlen

Und nun ist die demokratische Regierung in Islamabad wieder instabil. Pakistans geschäftsführende Regierung unter Premierminister Anwaar-ul-Haq Kakar hatte ursprünglich den Auftrag, innerhalb von 90 Tagen nach ihrem Amtsantritt im August dieses Jahres allgemeine Wahlen im Land abzuhalten. Die Abstimmung wurde jedoch aufgrund von Sicherheitsbedenken und der anhaltenden wirtschaftlichen Turbulenzen im Land verschoben. Die Wahlkommission des südasiatischen Landes hat inzwischen den 8. Februar 2024 als Wahltermin festgelegt, aber es gibt noch viele Unwägbarkeiten hinsichtlich der Einhaltung dieses Termins im Februar. 

Seit der Absetzung des charismatischen Premiers Imran Khan kommt das Land nicht zur Ruhe. Khan sitzt seit mehreren Monaten wegen Korruption und anderer Vorwürfe im Gefängnis, ebenso wie viele Spitzenfunktionäre seiner Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI). Vor diesem Hintergrund stellen viele die Fairness der Wahlen infrage. Khan, der durch ein international viel beachtetes Misstrauensvotum im April 2022 gestürzt wurde, ist nach wie vor ein Machtfaktor im Land – der Populist ist beliebt, sogar der beliebteste Politiker im Land. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er bei freien und fairen Wahlen ein Comeback feiern könnte. Eine Mehrheit der Pakistaner steht der Übergangsregierung kritisch gegenüber.

Doch ob es überhaupt zu solchen Wahlen kommt, ist offen: Die Übergangsregierung unter Anwar ul Haq Kakar überschreitet ihr Mandat aktuell ganz erheblich. Eigentlich sollte sie nur für eine kurze Periode regieren und laut pakistanischer Verfassung lediglich die Neuwahlen organisieren. „Die Übergangsregierung hat lediglich die Aufgabe, die Wahlen zu überwachen, aber sie hat in vielerlei Hinsicht über ihre verfassungsmäßige Rolle hinaus gehandelt“, sagte Maleeha Lodhi, politische Analystin und ehemalige pakistanische Botschafterin in den USA, der Deutschen Welle. „Sie ist daran gehindert, wichtige politische Entscheidungen zu treffen, außer in dringenden Angelegenheiten“, sagte sie.

Die Regierung argumentiert jedoch, dass das Land eine schwierige Zeit durchmacht und dass sie viele Probleme lösen müssen, bevor Wahlen abgehalten werden können. „Wir haben schwierige Herausforderungen in Bereichen wie Wirtschaft, Privatisierung und Konnektivität in Angriff genommen“, sagte Premierminister Kakar Anfang November noch. Aber eine weitere Verzögerung der Wahlen könnte Kakars Block noch unpopulärer machen – und die Instabilität anheizen. 

Pakistans Wirtschaft im Teufelskreis

Auch wirtschaftlich ist Pakistan höchst instabil. Das Land hat mit akuten wirtschaftlichen Turbulenzen und einer rasant steigenden Inflation zu kämpfen. Islamabad ist international hoch verschuldet – bei privaten Geldgebern, ausländischen Mächten wie China, oder Institutionen wie dem IWF und der Weltbank. Im vergangenen Jahr haben die verheerenden Überschwemmungen in Pakistan Schäden in Milliardenhöhe verursacht, die das Land zusätzlich belasten. Ein Drittel des Landes war betroffen, als der Fluss Indus über die Ufer trat. Pakistans Mangel an ausländischen Devisen und die hohe Inflation machen es außerdem immer schwieriger, dringend benötigte Importe zu finanzieren.

Im Januar diesen Jahres hatte Islamabad nur noch Fremdwährungsreserven von wenigen Wochen, um Importe zu finanzieren. Durch harte Maßnahmen konnte Pakistan das Desaster noch abwenden: Die Zentralregierung verordnete unter anderem großflächige Stromabschaltungen. Der Fluss von Fremdwährungen nach Pakistan wiederum stockt, weil die Exportwirtschaft des Landes ins Stottern kommt: Die pakistanischen Produkte werden aufgrund der immer höheren Produktionskosten immer weniger wettbewerbsfähig. Wegen steigender Gaspreise musste beispielsweise die für das Land wichtige Textilindustrie im laufenden Jahr Millionen Menschen entlassen. Das Land scheint in einem ökonomischen Teufelskreis nach unten zu stecken. 

Die Militärführung, die mit Khan und seiner PTI-Partei verfeindet ist, behauptet, neutral zu sein, besteht aber darauf, dass sie eine weitere Destabilisierung des Landes nicht zulassen wird. Schon mehrmals putschte Pakistans Militär in der Vergangenheit, und die Militärdiktaturen waren oft von Brutalität gekennzeichnet. So verübte das pakistanische Militär Anfang der 70er einen Genozid im heutigen Bangladesch, welches damals Teil Pakistans war. Innerhalb eines halben Jahres wurden in systematischen Massakern drei Millionen Menschen getötet. Die Anzahl der Frauen, die Opfer von Vergewaltigungen wurden, wird auf 200.000 bis 400.000 geschätzt.

Das Militär hat bis heute massiven Einfluss auf die Politik in Pakistan und hat das Land in den Zeiten der Militärherrschaft radikal verändert. Aus einem multikulturellen und weitgehend säkularen Land, wie Pakistan nach seiner Unabhängigkeit einst konzipiert worden war, machte das Militär ein islamistisch-konservatives. Diese militaristisch-islamistische Denkweise sitzt deshalb tief im pakistanischen Staat. Das militärische Atomprogramm Pakistans wurde beispielsweise aus islamistischen Interessen gegründet und trägt den inoffiziellen Titel „die islamische Bombe“.

Warum ein pakistanischer Kollaps die gesamte Weltordnung bedroht

In der Region könnte eine Kettenreaktion ausgelöst werden, wenn regionale und globale Akteure in einen Konflikt rund um Pakistan hineingezogen werden. Ein wenig wie zu Beginn des Ersten Weltkrieges in Europa könnte eine Reihe von Interessenkonflikten, Bündnissen und geostrategischen Rivalitäten eine ungewollte Kettenreaktion auslösen. Sollte es zum Konflikt zwischen Indien und Pakistan kommen, wäre China mit Sicherheit ein Akteur. Und auch eine Eskalation von Spannungen mit den Taliban, die sich gerade manifestiert, birgt Risiken.

Die Beziehung zwischen Islamabad und den Taliban ist lang, tief und verwoben. Ohnehin hat Pakistan in den vergangenen Jahrzehnten eine Doppelrolle in der Region gespielt. Einerseits war das Land nomineller Verbündeter der USA im Krieg gegen den Terror – andererseits unterstützte Islamabad auch immer wieder genau diese Terroristen. Dass beispielsweise US-Spezialkräfte Osama Bin Laden am Ende in Pakistan ausfindig machten und töteten, war kein Zufall – für fast 20 Jahre unterstützte Pakistan die Taliban, auch Al-Quaida arbeitete Islamabad heimlich zu. So soll der pakistanische Geheimdienst ISI daran beteiligt gewesen sein, Osama Bin Laden nach der US-Invasion aus Afghanistan zu evakuieren – eine Operation der CIA war damals ganz kurz davor gewesen, den Terrorfürsten im Grenzgebiet zu Pakistan zu fassen.

Der ISI war immer wieder in terroristische Aktivitäten verwickelt und die 2021 kollabierte afghanische Regierung warf Pakistan stets vor, die Taliban im Geheimen zu unterstützen. Der pakistanische Geheimdienst wird beispielsweise beschuldigt, an der Entführung südkoreanischer Geiseln und dem Taliban-Angriff auf eine Militärparade in Kabul beteiligt gewesen zu sein. 2008 wurde der ISI für einen Selbstmordanschlag vor der indischen Botschaft in Kabul verantwortlich gemacht. Der ISI habe Terroristen nach Afghanistan geschleust, erklärten die afghanischen Behörden damals. Im Jahr 2010 veröffentlichte die London School of Economics eine Studie, die massive Hilfe der Pakistaner an die Taliban in Form von Geld, Munition und Ausrüstung dokumentierte.

Doch von der ehemaligen tiefen Verbundenheit ist mittlerweile nicht mehr viel übrig: Die Taliban und Pakistan stehen mittlerweile an der Grenze zum Krieg. Immer wieder kommt es zu Bombenanschlägen durch einen lokalen Ableger der Taliban, der jenseits der afghanischen Grenze in Pakistan operiert.

Mit seinen Kurz- und Mittelstreckenraketen kann das pakistanische Militär nicht nur das gesamte Staatsgebiet des Erzrivalen Indien, sondern auch die gesamte Golfregion, Zentralasien, den Kaukasus und Teile des europäischen Russlands erreichen. Rund 160 Kernwaffen – „islamische Bomben“ – soll Pakistan nach Angaben internationaler Beobachter besitzen. 

Durch den systemischen Islamismus in Pakistan war das Land in der Diskussion um nuklearen Terrorismus ohnehin jahrzehntelang Fokus der Sorgen vor einer nuklearen Proliferation zugunsten von Terrorgruppen. Ein Kollaps der staatlichen Strukturen in Pakistan birgt das ungeheure Risiko, dass auch nur eine dieser „islamischen Bomben“ ihren Weg zu entsprechend motivierten Terroristen findet – und dieser Weg ließe sich in einem implodierenden, ohnehin korrupten System sicherlich finden.

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