Das Geschäftsmodell massenhafter Abmahnungen wegen Hass und Hetze ist im Kern industriell. Soziale Medien werden von einer KI auf vermeintliche Verstöße gescannt. Hart am Rande des Strafrechts verläuft genau die Linie, die zum Zwecke der Zensur genutzt wird. Der heutige Bundeskanzler hat sich daran beteiligt.
Im Zuge der Enthüllung, dass auch Bundeskanzler Friedrich Merz in der Vergangenheit zahlreiche Anzeigen gegen Bürger wegen Meinungsäußerungen im Internet gestellt hatte, geriet auch das Unternehmen „SO DONE“ erneut in den Fokus. Die Agentur aus Rheine, einer Kleinstadt im Münsterland, ist laut dem Aufmacher auf ihrer Website angetreten, um Online-Hass „abzuschalten“. Sie war an zahlreichen Strafanzeigen des damaligen Kanzlerkandidaten der CDU beteiligt.
Ob man offline weiterhassen darf, wenn der Hass online besiegt sein sollte, lässt das Unternehmen offen. Hass ist laut Definition des Duden eine „heftige Abneigung; starkes Gefühl der Ablehnung und Feindschaft gegenüber einer Person, Gruppe oder Einrichtung“. Ein Gefühl kann man weder beseitigen noch juristisch erfassen. Emotionen sind Bestandteile menschlicher Existenz. Unzweifelhaft kann Hass zum Auslöser schwerster Straftaten werden. Hass kann aber auch die entscheidende Triebfeder zur Verbesserung sein. Jeder gute Deutschlehrer hasst Rechtschreibfehler und sucht nach Mitteln und Wegen, sie auszumerzen. Deswegen wird ein guter Lehrer dennoch nicht den schlechten Schüler hassen. Hass ist wertneutral. Hass entzieht sich jeglicher juristischen Bewertung. Hass geht den Staat nichts an.
Die defizitäre Einordnung des Begriffes und die daraus folgende moralische Überladung des Themas Hass und Hetze im Internet ist folglich der Kern eines Problems, das einen wohlbekannten Namen hat: Zensur. Da das Grundgesetz Zensur für unzulässig erklärt, wird hier ein Ausweg zur Beschränkung der Meinungsfreiheit geschaffen, in dem es um Behinderung nicht genehmer Kritik geht. Im Kern steht die Frage, ob eine Äußerung strafbar ist oder ob sie von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Die Hürde für die Strafbarkeit von Äußerungen hängt zu Recht sehr hoch. Ob eine Aussage strafbar ist oder nicht, hat allein die richterliche Rechtsprechung zu klären. Das wird von vielen nur zu gern vergessen und mit moralischen Kategorien versucht zu übertünchen. Gerade diese moralische Überladung ist das Geschäftsmodell von „SO DONE“. Die Gründungserzählung ist aufschlussreich.
Die volle Bandbreite des Unsinns
„SO DONE“-Co-Gründerin Franziska Brandmann war Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen und Mitglied im Bundesvorstand der FDP. Sie berichtet auf der Seite des Unternehmens, sie habe sich im Jahr 2022 öffentlich gegen Sexismus eingesetzt. Daraufhin sei sie als „Schlampe“, „Miststück“ und „Fettschicht“ bezeichnet worden. Sie wurde ferner aufgefordert, „aus dem Fenster springen“. Ohne Frage, diejenigen, die die junge Frau derartig beschimpft hatten, zeigten unverhohlen ihre schlechte Kinderstube. Die zu entwickelnde Eigenschaft, die einen Menschen dagegen feit, sich davon beeindrucken zu lassen, nennt man Resilienz. „Geräusche aus der Gosse“, so hieß es in der Kindheit des Verfassers dieser Zeilen, „nehmen wir nicht wahr“.
Brandmann entschied sich, es eben doch wahrzunehmen und „es sich nicht gefallen zu lassen“. Gemeinsam mit Rechtsanwalt Alexander Brockmeier und Datenwissenschaftler Marcel Schliebs entwickelt sie ein Geschäftsmodell gegen „Hass im Netz“. Der Slogan lautet „Wir schalten Hass im Netz ab“. Vergegenwärtigt man sich an dieser Stelle noch einmal die Definition von Hass, wird die volle Bandbreite des Unsinns sichtbar. Tatsächlich wurde bis dato und wird in Zukunft kein einziger Fall von Hass beseitigt werden können. Mutmaßlich sorgt das Unternehmen eher für die Vermehrung von negativ konnotierten Gefühlen bei denjenigen, deren Meinungsäußerungen im Netz sie versuchen mit dem Zivil- oder Strafrecht zu zensieren. Es ist unbestritten, dass strafrechtlich relevante Äußerungen von der Justiz angemessen zu ahnden sind. Wo eine Äußerung vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt ist – und sei sie noch so unangenehm –, ist die Verfolgung übergriffig und sowohl juristisch als auch moralisch höchst fragwürdig.
In die Schlagzeilen geriet das Unternehmen aktuell, weil es an einigen der Strafanzeigen beteiligt gewesen sein soll, die Friedrich Merz gegen Bürger gestellt hatte. Etliche der Anzeigen soll der damalige Kanzlerkandidat der CDU persönlich unterzeichnet haben. Schon früher war das Unternehmen in den Blick der Öffentlichkeit geraten. Prominente Politiker machten auf der Seite Werbung. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und der damalige Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wurden durch den Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel schließlich für ihre Werbung dort abgemahnt. Mit der „Werbung für einzelne Marktteilnehmer“, die der Anwalt seinerzeit monierte, verstießen sie als Bundesminister und Ministerpräsident gegen ihre „Pflicht zur neutralen Amtsführung“ und damit gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften. Steinhöfel gewann, und seitdem sind die Bilder und Werbetexte der abgemahnten Politiker von der Internetseite der Firma „SO DONE“ gelöscht. Die einschlägige Stelle des Berichts der Welt am Sonntag hatte der Jurist bei X gepostet und auf den Artikel verwiesen.
Das Verfahren hat gleichsam industriellen Charakter
Das Geschäftsmodell von „SO DONE“ ist relative einfach. Jeder kann sich melden, der glaubt, von Hass und Hetze verfolgt zu sein. Über eine Webmaske nimmt man Kontakt mit dem Unternehmen auf und kann Informationen weitergeben sowie Screenshots hochladen. Eine KI prüft die Meldung, und bei Aussicht auf Erfolg wird das Unternehmen tätig. Ist man dauerhaft Opfer von Hass, bietet das Unternehmen an, Kanäle von Sozialen Medien gezielt nach Hasspostings zu durchsuchen. Das geschieht automatisiert.
Mit Hilfe von KI filtert die Anwaltsfirma strafrechtlich relevante Kommentare heraus und leitet nach manueller Prüfung rechtliche Schritte gegen deren Verfasser ein. In ersten Berichten über Friedrich Merz wurde die Zahl 5.000 genannt, aber später zurückgenommen. Dann war von hunderten Anzeigen die Rede. Die Zahlen zeigen unabhängig von der tatsächlichen Anzahl im konkreten Fall (die kaum zu ermitteln sein dürfte) die Möglichkeiten. Automatisiert werden zigtausend Posts pro Stunde in allen denkbaren Medien gescannt. Eine solche Big-data-Anwendung bringt Unmengen an Daten zusammen, in denen sich immer noch eine endliche, aber riesige Zahl an Treffern finden lässt.
Nur so lässt sich erklären, warum das Unternehmen seinen Kunden den Dienst kostenlos anbietet. Das Angebot umfasst nämlich sowohl die Anzeige der mutmaßlichen Täter als auch das rechtliche Vorgehen zur Durchsetzung der Rechte der Betroffenen. Das Unternehmen „SO DONE“ tritt dabei als Prozesskostenfinanzierer in Aktion und beauftragt „SO DONE legal“ mit der Übernahme der anwaltlichen Tätigkeit. Das Kerngeschäft der „SO DONE GmbH“ besteht darin, gezielt nach Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu suchen und diese mittels Abmahnungen durch die „SO DONE legal Rechtsanwaltsgesellschaft mbH“ dagegen vorzugehen. Das Verfahren hat gleichsam industriellen Charakter.
Werkzeug der Zensur unliebsamer Meinungsäußerungen
Solche Abmahnungen werden vielfach im Namen prominenter Politiker verschickt, deren öffentliche Stellung sie besonders empfänglich für Kritik macht. In der Vergangenheit war besonders die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann in die Kritik geraten. Mit „Abmahnungen – Die dubiose Geschäftemacherei der Abgeordneten Strack-Zimmermann“ war ein Achgut.com-Beitrag überschrieben, in dem Medienanwalts Joachim Steinhöfel das „Massengeschäft“ beschrieb.
Mehrere Medien hatten Strack-Zimmermann vorgeworfen, mit Abmahnungen mehr Geld zu verdienen als mit ihrer Abgeordnetentätigkeit. Auch Strack-Zimmermann war Kundin von „SO DONE“. Damit mutiert das eigentlich als Schutzinstrument gegen Verleumdungen gedachte zu einem Werkzeug der Zensur unliebsamer Meinungsäußerungen und damit zu einem wirksamen Instrument gegen Machtkritik. Und sowohl für „SO DONE“ als auch für die Kunden lohnt es sich wirtschaftlich. Viele Abgemahnte zahlen, weil sie den Ärger scheuen oder es ihnen peinlich ist. Die Strafanzeigen sind da im Grunde nur der Beifang, der aber, steht um sechs Uhr die Polizei für die Hausdurchsuchung vor der Tür, noch einmal weitaus bedrückender ist als eine Abmahnung samt Geldforderungen.
Kritiker von „SO DONE“ bemängeln vor allem den Umgang der Firma mit den Daten der ins Visier geratenen Bürger. Die Tätigkeit der Agentur unterliegt, so betonen Fachleute, den strengen Anforderungen des Datenschutzrechts. Insbesondere ist hier die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zu beachten. „Die Verarbeitung personenbezogener Daten“ so schreibt Rechtsanwalt Markus Haintz auf anwalt.de, „die für die Identifikation und Verfolgung der Täter notwendig ist, muss gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO auf das berechtigte Interesse der Betroffenen gestützt werden.“ Die persönlichen Daten würden, so der Anwalt weiter, in aller Regel von der Staatsanwaltschaft an Rechtsanwalt Brockmeier weitergegeben, der diese über seine „SO DONE legal Rechtsanwaltsgesellschaft mbH“ heraussuchen lasse. Es wird empfohlen, sich im Falle einer Abmahnung immer anwaltlich beraten zu lassen.
Auch datenrechtliche Aspekte, wie das Auskunftsrecht haben Rechtsanwälte in so einem Fall im Blick. So richtig attraktiv werden Geschäftsmodelle wie „SO DONE“ außer durch mangelnde Resilienz von Personen des öffentlichen Lebens, verbunden mit galoppierend grassierender schlechter Kinderstube, vor allem durch zwei Aspekte: einerseits KI, andererseits Paragraf 188 StGB. Bezüglich KI bewegen wir uns derzeit in vielen Bereichen im rechtsfreien Raum. Darf eine KI mein X-Profil lesen, wenn sie mir nicht sichtbar folgt? Ob sich KI überhaupt in rechtliche Dimensionen fassen lässt, ist noch sehr fraglich. Die Entwicklung einer in die Systeme zu implizierende Ethik für KI wird unabdingbar werden. Mit der Technologie an sich werden wir leben müssen. Der Majestätsbeleidigungsparagraf aus der Merkel-Werkstatt hingegen gehört ersatzlos gestrichen. Und eine Deindustrialisierung des daraus hervorgegangenen Massengeschäfts wäre ausnahmsweise eine gute Sache.
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